Meinung schaffen

Theater In Salzburg inszeniert Peter Handke den Streit der Ansichten
Ausgabe 30/2020
Peter Handke im Oktober 2019, kurz nachdem ihn die Nachricht über den Erhalt des Literaturnobelpreises erreicht hatte
Peter Handke im Oktober 2019, kurz nachdem ihn die Nachricht über den Erhalt des Literaturnobelpreises erreicht hatte

Foto: Alain Jocard/AFP/Getty Images

Am Morgen des 6. März 2003 verbrannte sich der 18-jährige Zdeněk Adamec aus dem böhmischen Humpolec auf dem Prager Wenzelsplatz. Er hinterließ die Botschaft: aus Protest gegen den Zustand der Welt. Aus Protest gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen hatte sich 34 Jahre zuvor an nahezu gleicher Stelle der Student Jan Palach mit Benzin zur lebenden Fackel gemacht. Davor diktierte er für die Nachwelt: „Meine Tat hat ihren Sinn erfüllt. Aber niemand sollte sie wiederholen.“

Palach wurde als Symbol des Widerstands ein Held der Tschechen und Slowaken. Bis heute wird seines Fanals mit großer Verehrung gedacht. Adamec dagegen wurde eher kritisch bis ablehnend betrachtet. Seine Tat habe keinesfalls die Legitimität von der des Jan Palach, hieß es in einem Kommentar des staatlichen Rundfunks. Zumal dann in der Öffentlichkeit kontrovers erörtert wurde, ob der Computer-Hacker, der mit seiner Gruppe „The Darkers“ ganze Stromversorgungssysteme ausschalten konnte, ganz allein für seine hehre Weltanklage den symbolischen Suizid gewählt habe.

Vor einem Jahr, also rund drei Monate vor der Nobelpreis-Bekanntgabe, schrieb Peter Handke sein Stück Zdeněk Adamec. Eine Szene. Die Szene ist, wie in der Einleitung ausführlich beschrieben, tatsächlich weiträumig und weitgehend unbestimmt. Auf den böhmischen Dörfern oder in einem spanischen Kloster – oder in einem Gasthaus in „Humpolec in Böhmen, oder wo. Zeit: jetzt oder sonstwann“. Dort ist eine wiederum unbestimmte Zahl von Sprechern versammelt, die sich über Adamec austauschen. Dazu heißt es: „Junge? Alte? – Wie es euch gefällt –“

Das Gespräch der Unbekannten dreht sich jedenfalls um Zdeněk Adamec. Angelesenes und Aufgeschnapptes wird zusammengetragen. An kritischen Stimmen fehlt es nicht: „Da will uns einer mit typisch tschechischen Selbstverbrennungsstories und Aktualitätenhorror das Fest verderben.“ Falls das Palaver doch im Wirtshaus von Humbolec stattfindet, müssen doch zumindest einige ihn gekannt haben. So bewegt sich das Gespräch auch auf die Kindheit von Adamec zu, etwa sein Rodel-Vergnügen im Winter. Und das hat nun garantiert in keiner Zeitung gestanden. Auf den ersten Blick mag überraschen, dass Handke eine Figur der Zeitgeschichte ins Zentrum seines neuen Stücks rückt – diese freilich in Abwesenheit. Mit der Geschichte des Dragoljub Milanović, des nach den NATO-Angriffen auf Belgrad zu einer Haftstrafe verurteilten Direktors des serbischen Rundfunks und Fernsehens, hat er das im letzten seiner Bücher zu den Jugoslawien-Kriegen zwar schon einmal getan. Auf den zweiten Blick ist die Szene indessen vor allem eine Fortschreibung von Handkes Erkundungen, wie Meinungen zwischen Medien und Vermutungen entstehen und weitergegeben werden.

Die Gruppe der durchaus individualisierten Sprecher steht abseits der großen Geschichte in den Hauptstädten. Zwar auch aus deren Medien informiert, ist das Gespräch im Wirtshaus kein Stammtisch, sondern ein Hinterfragen dessen, was schon im Umlauf ist, gedruckt oder geglaubt oder auch bezweifelt. Und das wird nun szenisch vorgeführt, wobei Peter Handke nach seinem Familienepos in dramatischer Prosa Immer noch Sturm von vor zehn Jahren ein gewagtes Stück weiter geht: Wer wie (und ja auch: wo) in diesem Gespräch eine Stimme bekommt, ist Sache des Theaters, Auftrag seiner Fantasie, aber auch Aufgabe der genauen Texterkundung in die Tiefe.

Info

Bevor das Stück am 2. August in Salzburg uraufgeführt wird, kann es schon gelesen werden: Zdeněk Adamec. Eine Szene Peter Handke Suhrkamp 2020, 71 S., 20 €

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