Die Postanschrift Gustaf-Gründgens-Platz 1 in Düsseldorf gehört zu den Theateradressen mit Aura. Doch wer sich darunter eine prächtige städtische Eingangsbühne des weithin bekannten Theaters der Landeshauptstadt von NRW vorstellt, liegt völlig falsch. Der Platz mit dem berühmten Namenspatron ist ein Unort, dessen zugiger Leere man schnurstracks ins Foyer entkommen möchte. Immerhin in das Foyer eines der prominentesten Theaterneubauten der alten Bundesrepublik. Ein Bau, um den lange gerungen, dann viel gestritten, gegen den bei seiner Eröffnung unter Polizeischutz und mit Dantons Tod sogar wütend protestiert wurde (es sollen vor allem 68er gewesen sein) – und der schließlich zu einer Ikone moderner Theaterarchitektur wurde.
Man muss sich das mal vorstellen: Vor der umfassenden Sanierung seit 2018 stand das von dem Krefelder Architekten Bernhard Pfau (1902 – 1989) entworfene Düsseldorfer Schauspielhaus als Theaterbau sogar zur Debatte. Das weiße, mit runden Formen spielende und entfernt an ein Schiff erinnernde Gebäude hätte auch – mit Zustimmung des SPD-Oberbürgermeisters Thomas Geisel – in ein „Kongresszentrum“ umgewidmet werden können, wie die für veränderte Funktion und meist damit einhergehende Verunstaltung erfundene Vokabel lautet.
Doch bei dem Streit setzten sich die Bühnenbefürworter durch, und so ist das mit 60 Millionen Euro unter der Leitung des Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven generalsanierte Düsseldorfer Schauspielhaus ein wegweisendes Beispiel für die architektonische wie designerische Erhaltung und technische Erneuerung von Theatern der Bundesrepublik. Diese, insgesamt 190, verbinden sich fast ausnahmslos mit der Geschichte von Kriegszerstörung, Wiederaufbau, teilweiser Unterbringung in Provisorien und einer Periode des Booms von Theaterneubauten, der von Mitte der 1950er Jahre (Münster und Mannheim) bis zum Beginn der 1970er Jahre (Wolfsburg und Darmstadt) währte.
Teuer, teurer, kalte Füße
Zu keiner anderen Zeit in der Geschichte Deutschlands wurden so viele Theater gebaut wie während dieser Boomjahre. Dazu gehören etwa die Deutsche Oper Berlin, die Freie Volksbühne (heute Haus der Berliner Festspiele), die Theater in Bonn, Ulm, Ingolstadt, Wuppertal und eben auch Düsseldorf. In der DDR spielten viele Theater in wiederaufgebauten Gebäuden (prominent die Berliner Volksbühne) oder mussten in kriegsbedingten Provisorien verbleiben (markantes Beispiel ist das Hans Otto Theater in Potsdam). Einen vergleichbaren Boom von Theaterneubauten gab es nicht. Eine Entsprechung kann man allerdings in den zahlreichen Mehrzweck-Kulturhäusern sehen, mit dem in moderner Architektur von Wolfgang Hänsch ausgeführten Dresdner Kulturpalast 1969 als Höhepunkt.
Der Pfau-Bau, für den Christoph Ingenhoven auch Frank Lloyd Wrights (1867 – 1959) einzigen und legendären Theaterentwurf im texanischen Dallas studierte, wurde mit Brechts Leben des Galilei eröffnet, mit Burghart Klaußner in der Titelrolle und in der Regie von Lars-Ole Walburg. Die Wahl des Stücks passte insofern, als es bei Galilei eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen der Optik gibt, freilich nicht ganz in dem Sinne, wie es die Wiederherstellung von Architektur betrifft. Denn zahlreiche Notoperationen und Verschlimmbesserungen – insbesondere an und hinter der komplizierten, weiß leuchtenden Fassade – machten die grundlegende Sanierung nötig. Dass Theater technisch überholt werden müssen, leuchtet ein, aber die relativ geringe Haltbarkeit von solchen Gebäuden wie dem in Düsseldorf – oder mehr noch jenem sogar baupolizeilich gesperrten in Wuppertal – erstaunt doch sehr.
Einem viel größeren Projekt dieser Art sieht Mannheim entgegen. Dort steht dem von Gerhard Weber (1909 – 1986) unter Einbeziehung der Entwürfe Mies van der Rohes Mitte der 1950er Jahre errichtete Nationaltheater die Generalsanierung ab dem kommenden Jahr bevor. Das Theater ist ein Doppelhaus mit Oper (1.200 Plätze) und dem Kleinen Haus für Schauspiel (630 Plätze). Fast schon in Flughafendimensionen wird die Sanierung vorbereitet, für die 240 Millionen Euro veranschlagt sind, wobei noch einmal geschätzte zwölf Millionen für die über die Jahre notwendige Anmietung von Ersatzspielstätten dazukommen.
Düsseldorf
Vorbildlich Der Theaterkritiker Martin Krumbholz lässt die vergangenen 50 Jahre am Düsseldorfer Schauspielhaus Revue passieren. Der Schauspieler Wolfgang Reinbacher erzählt im Interview von großen Theatermomenten. Darüber hinaus versammelt der Band Beiträge ehemaliger Regisseure und Intendanten, von Künstlern, Kulturpolitikern und Schauspielern: fünfzig. Das Düsseldorfer Schauspielhaus 1970 bis 2020, herausgegeben von Wilfried Schulz und Felicitas Zürcher im Verlag Theater der Zeit Berlin, 400 S., 30 €.
In Düsseldorf ist man auf den eingehaltenen Kostenvoranschlag besonders stolz, während bei dem vier- bis fünfmal größeren Projekt am Neckar schon so mancher Stadtobere kalte Füße bekommen haben mag und sich angesichts der monumentalen Ausgaben Skepsis breitmacht. Doch das Haus ist ein zum Erhalt verpflichtendes Baudenkmal. In einer dort laufenden Inszenierung von Tschechows Möwe kann man das Stimmungsbild der Mannheimer dazu im Publikum erleben. In dem Stück geht es um ein kleines, hölzernes Sommertheater, das nach ein paar Jahren schon Ruine ist, worüber die Figuren sich kurz austauschen. Gelächter und Geraune gehen durch die Reihen, und man blättert im Programmheft nach dem Namen des Regisseurs Christian Weise, mit der Frage, ob der das extra ins Stück reingeschrieben habe.
In Köln schaut man nicht ohne Neid nach Düsseldorf, zum ewigen Rivalen am Rhein. Das für 830 Zuschauer angelegte Kölner Schauspielhaus, 1962 fertiggestellt, war schon nach 50 Jahren marode und wird seit 2012 offenbar in Langzeit saniert, was den Theaterfreunden immerhin eine der interessantesten Ausweichspielstätten beschert hat. In der allerdings weitab vom Zentrum gelegenen Halle DEPOT in Köln-Mülheim zeigte der Ex-Volksbühnen-Mann Frank Castorf zusammen mit seinem Bühnenbildner Aleksandar Denić gerade zum zweiten Mal, wie Theater im imposanten Breitwandformat aussieht.
In Darmstadt dagegen wurde die Sanierung schon vor 15 Jahren abgeschlossen. Das Haus vom Ende des Theaterbaubooms war auch ästhetisch längst aus der Zeit gefallen und mit den bauliche Eleganz aufweisenden Theatern in Mannheim und Düsseldorf kaum zu vergleichen. Kritiker bezeichneten den kantigen Betonklotz als „Kulturbunker“, der obendrein von der Tiefgarage her gedacht sei und nicht von den tatsächlichen Bedürfnissen des Theaters. Mit der Sanierung erfolgte die Aufhübschung der Fassade an der Eingangsseite, um den Eindruck von betonierter Wucht etwas abzumildern und den Anspruch von Offenheit hin zur Stadt stärker zu proklamieren.
Betonierte Wuchtigkeit
All diese Theaterneubauten der alten Bundesrepublik waren mehr oder weniger in größere Konzepte von Stadtentwicklung nach dem Krieg eingebunden, die den Ideen von der „autogerechten“ oder besser gesagt autofixierten Stadt und ihrem vor allem vom Konsum bewegten Zentrum folgten und die Theaterneubauten dabei in die Tradition der repräsentativen Bauten einer Stadtgesellschaft stellen sollten. In diesem Sinn ist die Belebung des Gustaf-Gründgens-Platzes, wo diese Einheit bislang nicht gelang, auch eine späte Korrektur, wenn jetzt mit dem benachbarten, gleichfalls von Christoph Ingenhoven entworfenen Gebäude ein neuer Ensemblezusammenhang mit dem Theater im Zentrum an diesem Platz entsteht. Innen stellten diese neuen Theater vor allem eine Demokratisierung des Zuschauerraums her, mit einem meist aufsteigenden Parkett ohne Logen und höchstens einem Rang, während die aus dem 19. Jahrhundert übernommene Portalbühne mit großzügigem Volumen ausgestattet wurde – was für das Verhältnis von Zuschauern und Bühnenraum keinen radikalen Neuansatz bedeutete, wie er etwa in der Bauhaus-Moderne visioniert worden war. Noch in Düsseldorf zum Beispiel wurden 1970 zur Eröffnung nur geladene Gäste eingelassen, was den Unmut draußen noch verstärkte.
Ein anderes Problem können diese gegenwärtig laufenden Theaterrenovierungen nicht lösen: Theatersäle mit Platzzahlen im oberen dreistelligen Bereich sind ja nicht nur zu füllen, sie müssen von der Bühne auch ästhetisch so ausgefüllt werden, dass Zuschauer trotzdem nicht das Gefühl haben, in einer Art Kongresszentrum fern vom Geschehen zu sitzen. Die Theaterbau-Boomjahre konnten eben auch mit einem anderen Publikum rechnen.
Der letzte Theaterneubau der alten Bundesrepublik, das von dem Kölner Architekten und Träger des renommierten Pritzker-Preises Gottfried Böhm (der im Januar seinen 100. Geburtstag feierte) entworfene und 1992 eröffnete Theater in Itzehoe, hatte daraus – sicher nicht nur wegen der vergleichsweise geringen Größe der Stadt – die Konsequenzen gezogen. Böhm orientierte sich an Shakespeares berühmtem Globe Theatre in London, am Südufer der Themse, mit bühnennahen Galerien und schlug danach mit einem weiteren originellen Gebäude ein neues Kapitel der Theater-Architekturgeschichte auf: Für Potsdam entwarf er 2006 das Neue Theater, die Hauptspielstätte des Hans Otto Theaters, um die lange gerungen und gestritten wurde. Schnell wurde das Neue Theater wegen seines Fächerdachs und der Ähnlichkeit mit dem bekanntesten Gebäude Australiens liebevoll „Sydney an der Havel“ getauft.
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