Ende September wird Norwegens größter Theaterdichter seit Ibsen 60 Jahre alt, ein paar Tage vor dem intensiv vorbereiteten Auftritt als Gastland der Frankfurter Buchmesse. Auf diesen Anlass ist zudem das Erscheinen der ersten Teile eines gigantischen Prosawerks gerichtet, der , mit der sich Jon Fosse auch in Deutschland in Erinnerung bringen wird. Bei Rowohlt erscheint in diesen Tagen Der andere Name – Heptalogie I – II.
In Oslo, am Det Norske Teatret, wurde indes letztes Wochenende ein Fosse-Festival eröffnet und seine letzte große Prosaveröffentlichung (Trilogie, Rowohlt 2016) als Bühnenversion gezeigt. Sie schildert das Schicksal von Alida und Asle, die Ende des 19. Jahrhunderts aus einem Dorf an der norwegischen Westküste nach Bergen fliehen müssen, nachdem Asle Alidas Mutter und einen Bootsbesitzer erschlagen hat, wofür er schließlich gestellt und hingerichtet wird. Alidas Tochter Ales, die sich als betagte Erzählerin an die traumatische Geschichte ihrer Familie erinnert, hat der flämische Regisseur Luk Perceval nun ins Zentrum seiner Bearbeitung gestellt. Das Bühnenbild zeigt ein paar Boote kieloben auf der riesigen Bühne des Norske, darüber schwebt fast vier Stunden lang eine helle Nebelwolke wie an den Bergen Bergens. Die fantastische Gjertrud Jynge als Ales führt mit ihrem Spiel zwischen Greisin und bohrendem Gewissen der Geschichte durch eine Inszenierung, die im Ganzen die existenzielle Wucht einer griechischen Tragödie hat und mit Standing Ovations gefeiert wurde.
Jon Fosse ist nationales Kulturgut, ihn zu feiern keine Übertreibung. Im Foyer des Theaters steht ein Schrank mit dem bisherigen Gesamtwerk des Autors von Stücken, Romanen, Gedichten, Essays und sogar Kinderbüchern, an die 50 Buchausgaben insgesamt. Man kann sie in einer Tragetasche mit dem Konterfei des Dichters mitnehmen. Vertont und veropert ist er selbstverständlich auch schon. Bei der Eröffnung des Festivals ihm zu Ehren dankte der in Österreich lebende Dichter mit den Worten, wie wenig er solche Auftritte mag, sich aber doch darüber freuen kann, wenn sie seinem Werk gelten.
Poesie der Gegenwart
Die zweite Produktion des internationalen Fosse-Fests bestritt Kai Johnsen mit einem frühen Stück, Da kommt noch wer (1996). Der Osloer Regisseur und Dramaturg hatte vor 25 Jahren den noch jungen Autor zum Stückeschreiben förmlich überredet und ihn bei seinen ersten Theatertexten beraten. Dass daraus mal Sachen werden würden, die in 40 Sprachen auf der ganzen Welt gespielt werden, das konnte sich auch Johnsen, der viele Stücke der ersten Phase uraufführte, damals kaum vorstellen. Jetzt erinnert seine neue Inszenierung von Da kommt noch wer noch einmal daran, was ein nunmehr schon klassischer Fosse auf der Bühne ist: Ein junges Paar, das in ein altes Haus zieht und auf seltsam bedrohliche Weise Besuch vom Nachbarn bekommt. Rätselhafter Minimalismus der Handlung, soghafte Musikalität der Sprache, diese Verlorenheit.
Johnsen, der Entdecker, weiß freilich wie kaum ein anderer, dass man das Geheimnis eines Fosse-Stücks nicht preisgeben darf, soll seine Wirkung sich voll entfalten. Bei Ibsen wirken grausame Schuldverstrickungen der unmittelbaren Vergangenheit, bei Fosse wird daraus eine Poesie der unheimlich schwebenden Gegenwart – ein Kosmos.
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