Im Jahre 2005 verlegte der Berliner Merve Verlag mein Buch Anblasen. Texte zur Kunst. Es wurde mir – wie zuvor schon die zwei Bände Gottesbeweise, die sich wie geschnitten Brot verkauften – zum Rätsel: Wie um Himmels Willen konnte dieses „Anblasen“ zu meinem bestverkauften Buch werden und sich anheischig machen, bei Merve die Topseller Deleuze und Baudrillard und sogar den großen, alten Denktanker („think tank“) Foucault zu überholen?
Dabei handelte es sich meinerseits um kleine, schnöde Kunsttheorie; so heißt es ganz wahrheitsgetreu ja auch im Titel: „Texte zur Kunst“. Und klar doch, meine Theorien und Grübeleien zur Kunst – ich kenne mich aus in dem Betrieb, dem idiotenhaften! – mühte ich mich lesbar und genießbar zu halten, und ich nahm schon an, dass es sich unter einigen Kunststudenten und sonstigen Eleven beliebt machen könnte. Aber und dennoch: Unerklärlich! – das breite Interesse daran, die enthemmte Kauflust, die ständig neue Auflage – was war geschehen? Nun, ich wollte eigentlich – einmal nur! – mein künstlerisches Tun von den Schreibarbeiten entbürden und mehr ins leichtgängig Optische schwenken, und so malte ich damals alle meine bisher veröffentlichen Bücher in Öl. (Dafür brauchte ich zwei Tage, für das Schreiben der Bücher hatte ich zwei Jahrzehnte benötigt!) Probehalber und größenwahnsinnig hatte ich auch immer wieder eigene Werkausgaben als nebeneinander stehende Buchrücken gezeichnet, und diese Gesamtausgaben wuchsen von Mal zu Mal auf 24 Bände. Weiter wollte ich es nicht ausarten und lächerlich werden lassen. Hegel kam nur auf 20.
Du meine Güte! Buchobjekt!
Um Eintönigkeiten zu vermeiden, befürworte ich auch sonst jede mir angetragene Unüblichkeit ohne Zaudern, und so wollte es mir damals gut passen, als der Kunstsammler und Schweiz-Frankfurter Aldo Frei mir unverhofft eine „Kunst-Edition“ anbot. „Wer oder was ist eine Kunstedition?“ ermittelte ich baff. (Ich kapier’s bis heute nicht.) Nun: „Buchobjekt, Kunstbuch, limitierte Auflage, so die Richtung. Wie du willst, Kapielski. Mach mal.“
Du meine Güte! Buchobjekt! Damit hatte ich mich längst gründlich befasst, und ich kannte all die guten Sachen, die unübertroffenen Buchwürste vom Roth, das an beiden Seiten gebundene und mit zwei Buchrücken versehene Buch Double bind von Richard Olson (es gibt eine fest gebundene und eine Taschenbuchausgabe), das endgültig-spitzfindige BOOK von George Brecht. In diesen Gefilden war im Grunde alles ausgereizt und ausgedacht – und wenn nicht, dann doch vom großen Timm Ulrichs. Oder letztmöglich doch von mir?
Na, hallo! Denn die Fügung fügt, vereinzelt: Und da sitze ich eines Tages also füglich in meiner an sich sehr gemütsarmen Eckkneipe und lasse den einfallsdurstigen Blick sacht umherschweifen, da steht – Halt! Stopp! – oben auf dem Geldspielautomaten steht die große, aufgeblasene Flasche Bier, sehr realistisch, detailgenau. Diese Luftreklame läßt dann mit der Zeit den Kopf hängen, kippt fast nach vorn, droht einen Glückspieler zu erschlagen, da eilt beizeiten der Wirt herbei, mit der Luftpumpe und bläst die Bouteille zurück in ihre statthafte Façon. Immer ein großer Auftritt, wie er unten pumpt und oben hebt die mannshohe Skulptur langsam und frisch beseelt ihre Kuppe, und das schlaffe Trinkvolk gafft und raunt von früher.
Da war sofort mein Einfall da: Nimm dein gedrucktes Gesamtwerk, alle Bücher, all dein fleißiges Schreibzeugs, deinen frühen EVS-Kram (vulgo: Eigen Verlag Stinkt) – und diesen ganzen Klumpen Buch lassen wir dann aus Gummi, als aufblasbaren Buchmeter herstellen – und da haben wir dann die Edition! Man merkt ja sofort, ob ein Einfall ein besonderer und solitärer, ein Bravourknüller ist. Allein die symbolisch-künstlerischen Nebengeräusche solch einer Luftbibliothek: das Aufgeblasene, Schwammige, „fake hype“, das war trefflich, und da rankte sich auch flugs mein ganzer Kunstschmäh dran hoch. Dazu dieser Schuss Selbstironie: Wer ist gefeit vor Bluff und Blase in Kunst und Literatur? Und dass ein Leben nichts als ein Hauch ist und wie eine Blase vergeht und dahinfährt? Andererseits war dem Kunstpublikum das schiere Destillat meines Werkes vergönnt, mein Geist, mein Pneuma, das sie, die Kunstkäufer, mit dem ihren würden selbst aufblasen dürfen!
Kurz und gut, das Gesamtluftwerk wurde professionell ins Werk gesetzt (24 Stücke von der Zürcher Firma „Luft Laune“), und dazu hatte sich derweil soviel Anmerkung und Text aufgestaut – also doch wieder Schreibarbeit, ein Fluch! -, dass der Begleittext als Buch bei Merve erschien unter dem Titel „Anblasen. Texte zur Kunst“ und sich, wie gesagt, dann gleich wie Narrengold, nee, wohl eher wie Trompetengold verkaufte. Eben darum ratlos, hockten wir eines Tages im Verlag beisammen und rätselten: Warum kaufen die alle dieses Buch? Wenn die Verlage derlei wüssten, gäbe es nur noch gesegnete Großverlage! Aber sie müssen alle rätseln, und das Geheimnis erschließt sich ihnen gottlob nie. Und eben darum gibt es immer noch Bücher, die famos sind und die dann doch keiner kauft. So also gaben wir uns der nutzlosen Spekulation um den Bucherfolg hin, unterdes eine etwas kecke Junglektorin ihren Blick jäh von der Bildschirmarbeit riss und wenige spitze Worte zwischen uns warf: „Pah! Anblasen! Stellt euch doch nicht so doof. An-BLASEN! Aufblasbar, Puppe, Sexshop. DAS ist es! – nichts weiter! Ein Missverständnis!“
Na ja, nun, es schien so zu sein. Ein jeglicher unter uns Alten war von der Hypersexualisierung dieser Gesellschaft ja doch schon derart verödet und abgestumpft, dass er dergleichen gar nicht mehr in Betracht zog. Aber da war was dran: Die alte dumpfe Sex-Pompfe hatte mal wieder ihre fruchtbringenden Effekte gezeitigt. Und nun wurde auch erklärlich, warum das Buch sich im Antiquariatshandel alsbald enorm gestaut und geschichtet hatte; der Buchkunde, der Anblasen-Ersteher hatte etwas über das Blasen lernen und lesen wollen, eben Texte zur Kunst des Blasens, und auch einiges, als Anfänger eben, übers Anblasen – und nun dann das.
Als tränke man ein Wasser
Dabei hätten zumindest schon mal die Kenner der U-Boot-Materie bei der Kaufentscheidung argwöhnisch bleiben müssen. Das sind ja nicht wenige, die Das Boot im Kino, im TV und als fünfte Wiederholung sahen und daher Etliches vom Anblasen wissen. Vielmals erschallte dort unten im Tauchboot das Kommando „Anblasen!“ und dann wurde geschraubt, gehebelt und aufgetaucht. Und so hätte Umsicht walten können in Anbetracht des Buches „Anblasen“ dergestalt: Vorsicht und Bedacht! – Könnte nicht doch das Anblasen gemeint sein, oder das Anblasen? Oder DAS Anblasen oder eben dieses hier?
Was ist man arglos und harthörig, wenn es heuer um Sex geht! Er – beziehungsweise es – ist ja nichts weiter, als fad und banal geworden. Als tränke man ein Wasser, wie schon Lenin, die allsiegende Sichel der Sexualtherapie, aufklärte. Beinahe so flachtrivial, wie es mir im Speisewagen widerfuhr, wo ich den Kellner frug, der etliche Speisen trug: „Kommt jetzt Bochum?“ – „Nein“, beschied er, „jetzt kommt erst mal Essen!“
Thomas Kapielski schreibt und lebt in Berlin-Neukölln. Er musiziert im Oberkreuzberger Nasenflötenorchester und erhält 2011 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor
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