Spätestens seit der ersten deutschen Islamkonferenz im September 2006 steht das Thema "Islamischer Religionsunterricht" ganz oben auf der Agenda der Bildungspolitik. Man will weg von den schwer kontrollierbaren Koranschulen der Hinterhofmoschee, weg von streng religiöser Erziehung durch schlecht oder gar nicht ausgebildetes Personal, hin zu einem staatlich verantworteten, wissenschaftlich-pädagogisch begleiteten Lehrfach. Doch bis heute gibt es in keinem Bundesland analog zum christlichen einen ordentlichen islamischen Religionsunterricht gemäß Grundgesetz, sondern nur Modellversuche, die sehr unterschiedlich ausfallen. Islamunterricht in Deutschland wirkt wie ein längst überwunden geglaubter kleinstaatlicher Flickenteppich unterschiedlichster Modelle. Vergangene Woche wurden die ungleichen Beispiele auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung diskutiert.
Die älteste Form stellt der so genannte Konsularunterricht vor allem für Diplomatenkinder dar. Daneben gibt es etwa in Bayern und Nordrhein-Westfalen muttersprachlichen Unterricht von Lehrkräften, die in der Türkei ausgebildet wurden und türkische Unterrichtsmaterialien verwenden. Beide Modelle gelten als überholt und werden von Bildungsexperten als integrationshemmend angesehen. Nach jahrelangem Rechtsstreit gelang es der Islamischen Förderation in Berlin (IFB), die wegen ihrer Nähe zu islamistischen Gruppen sehr umstritten ist, ein eigenes konfessionelles Fach durchzusetzen. Seit August 2003 unterrichtet der muslimische Verein an bisher 37 Berliner Grundschulen rund 4.500 Schülerinnen und Schüler. Mit gerade einmal 200 Teilnehmenden an zehn Berliner Grundschulen fällt der anatolische Islamunterricht dagegen kaum ins Gewicht. Gerade die Berliner Situation hat den Ruf nach einem staatlichen Islamunterricht wieder lauter werden lassen, will man doch eine mögliche Indoktrination oder heimliche Islamisierung an öffentlichen Schulen unbedingt verhindern.
"Man hat in der Vergangenheit aber leider zu oft kleine Brötchen gebacken, die Ausstattung der Schulversuche ist zum Teil miserabel. Alles darf nichts kosten, die Lehrerausbildung reicht nicht aus", klagt der Düsseldorfer Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Zwar wurden Modellversuche in Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bremen, Ludwigshafen, Erlangen und vor allem in Nordrhein-Westfalen gestartet. Doch für Kiefer sind diese alle durch bildungspolitische Halbherzigkeit geprägt. Islamunterricht in Deutschland ist Pionierarbeit. Auf keinen Fall will man staatlicherseits eine Import-Didaktik aus der Türkei oder anderen muslimischen Ländern einfach nur kopieren. So gibt es bis heute auch kein ordentliches deutsches Unterrichtsmaterial. Fast alles muss improvisiert werden.
Sieht man genauer hin, so lassen sich in den staatlichen Modellversuchen aber durchaus auch ermutigende Ansätze entdecken. Seit dem Schuljahr 2003/2004 wird an 21 niedersächsischen Grundschulen islamischer Religionsunterricht erteilt - in deutscher Sprache von staatlichen Lehrern. Zum ersten Mal gäbe es dadurch etwa einen besseren Kontakt zu den muslimischen Müttern und Vätern. "Die Eltern fühlen sich als Experten in ihrer eigenen Religion und wenn sie etwas als fragwürdig ansehen, kommen sie in die Schule und fragen nach. Dieses Fach ermöglicht es, in den Dialog mit Eltern einzutreten, wie es uns bislang nicht gelungen ist. Und man kommt so auch über andere Fächer ins Gespräch", sagt Heidemarie Ballasch vom niedersächsischen Kultusministerium.
Zwei Stunden in der Woche lernen junge Muslime Basiswissen über den Islam, die Lebensgeschichte des Propheten Mohammed, die wichtigsten Feste oder eben die bedeutendsten Gestalten im Koran, ohne dass der Unterricht versetzungsrelevant wäre. Viele entdecken hier ihre Religion ganz neu. Türkische Kinder bemerken, dass es auch andere Nationen gibt, die muslimisch sind, dass der Islam nicht allein türkisch ist. Das Ziel ist, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrer Religion sprachfähig werden und sich neben evangelischen und katholischen Mitschülern in ihrer Religionszugehörigkeit als gleichwertig empfinden. Die staatlichen Lehrer unterrichten das Islam-Fach bis jetzt nebenbei, ohne dafür vernünftig ausgebildet zu sein. Doch Studiengänge für islamische Religionspädagogik sind Neuland. An der Universität Münster gibt es seit dem Sommersemester 2005 den viersemestrigen Erweiterungsstudiengang Islamunterricht. Die Uni Osnabrück richtet in diesem Jahr erstmals ein Erweiterungsfach für das Lehramtsstudium ein.
Der größte Versuch mit staatlichem Islamunterricht läuft seit 1999/2000 in Nordrhein-Westfalen - in allen Schulformen in den Klassen eins bis zehn. Das Fach "Islamkunde" haben etwa 8.000 Schüler an 150 Schulen gewählt. Dieser Unterricht ist anders, als viele ihrer Eltern es gewohnt sind und erwarten. Das führt häufig zu Irritationen. Denn religiöses Lernen fand bislang nur nach dem Frage-Antwort-Schema statt. Muslimische Lernbücher waren allein Katechismen, also Sammlungen wichtiger Glaubensinhalte. Die eigene Religion, den Propheten Mohammed und den Koran nicht nur einfach zu verehren, sondern auch kritisch zu befragen, stellt eine ganz neue Qualität von Islamunterricht dar. In NRW versucht man dazu das Novum eines multikonfessionellen Unterrichts, in dem sowohl sunnitische, schiitische als auch alevitische Lehrtraditionen zu Wort kommen. Die Islamkunde will keine Glaubensvermittlung, sondern Reflexion über den Glauben nach den Maßstäben moderner Pädagogik.
Vielleicht ist der Ansatz in Nordrhein-Westfalen der mutigste, um junge Muslime zu einem selbstkritischen Religionsverständnis zu erziehen. Aber auch hier wird es wohl mangels finanzieller Ausstattung und genügend gut ausgebildeter Lehrer noch lange dauern, bis die staatliche Islamkunde ein landesweit ordentliches Lehrfach wird.
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