Der bühnenlose Dramatiker

Nachruf In der DDR wollte er Realitäten abbilden, die nicht abgebildet werden sollten, und flüchtete sich in die Antike: zum Tod des Dramatikers Jochen Berg (1948 bis 2009)

Wer ihn kannte, wusste, er würde sich nicht ohne eine letzte Pointe aus dieser Welt stehlen. Gleichzeitig mit Michael Jackson ruderte er als Fremder in der Nacht über den Styx. Fast gestorben war er schon mehrmals: an Alkohol, Morphiumsucht, literarischem Vergessensein. Für die DDR-Kulturpolitik war er als junger Dramatiker schon mit seinem ersten Stück Dave (1973) so gut wie gestorben. Es wurde nicht aufgeführt, weil es darin keine erkennbare Handlung gab, nur Jugendliche, die sich der DDR-Realität verschließen und sich über die Alten lustig machen.

1974 nahm das Deutsche Theater Berlin den Absolventen der Schauspielschule "Ernst Busch" als Hausautor unter Vertrag und er fing an, wie andere Autoren vor ihm, die eins auf die Schnauze bekommen hatten, antike Stoffe zu bearbeiten. 1976 druckte das Journal Theater der Zeit Bergs Version von Euripides' Iphigenie auf Tauris ab, und Alexander Lang wollte das Stück um die vorm Opfertod von den Göttern ins Ausland gerettete Griechin inszenieren. Die SED-Bezirksleitung ließ Analysen anfertigen, um herauszufinden, wo das Taurerland liegt, im Westen oder Osten, und fürchtete, dass man mit der in Jamben verfassten Iphigenie Bergs die offene deutsch-deutsche Frage aufs Theater bekommt. Die Premiere fiel aus und der Autor wurde endgültig fallengelassen, bezog aber bis 1990 weiter sein monatliches Salär. Dank eines Gönners im ZK durfte Berg, der in Bleicherode im Harz 1948 geboren wurde, in Erfurt seine Liebe zum Theater entdeckte und schließlich nach Berlin ging, mit einem Dauervisum in der BRD arbeiten. 1982 brachte Hans-Günther Heyme in Stuttgart die Iphigenie zur Uraufführung. Es folgten Niobe (München), Klytaimnestra, IphigeneiaNiobe am Sipylos (Westberlin), und Tetralogie (Düsseldorf). Auf die Frage, weshalb er in der DDR mit Gegenwartsstücken anfing und dann Antikenstoffe in Versform neuinterpretierte, antwortete der stets in feinsten englischen Anzügen auftretende Dichter Jochen Berg aus der Bergstraße: „Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich dieser aufgeblasenen VEB- und LPG-Geschichtsträchtigkeit nicht mehr huldigen wollte durch Be-und Umschreiben von Scheinrealitäten. Das bisschen sozialistische Realität, das auf dem Theater vorkommen durfte, hatten Baierl, Hacks, Müller bestens in Szene gesetzt. Übriggeblieben wäre Psychologie, das Elend der Zimmerschlachten.“

Nach dem Ende der DDR kehrte der verlorene Sohn nach Ostberlin heim und bewies 1991 an der Volksbühne mit Fremde in der Nacht in Frank Castorfs Regie, dass er auch zu aktuellen Themen etwas zu sagen hat. Die bittere Abrechnung der Kinder vom Marx und Vita-Cola mit ihren Eltern ging unter in den theatralischen Wirren der Wendezeit, in der die Deutungshoheit der Intendantenfrage die Bedeutung des Spielplans überlagerte. Das Deutsche Theater revanchierte sich noch mit einer lieblosen Iphigenie auf Tauris im Hof der Nebenspielstätte "Baracke" und entließ den Hausautor in die freie Stücke-Marktwirtschaft. Von da an sah man Jochen Berg vor allem als Stammgast im "Lampion", der legendären Szenekneipe am Kollwitzplatz. Mit dem überragenden Jazzpianisten Ulrich Gumpert hatte Berg 1989 im Westen die Oper Die Engel erfolgreich aufgeführt und auf Platte eingespielt. Gumperts Soloplatte Dave nach dem gleichnamigen Stück zählt noch heute zu den Sternstunden des DDR-Jazz.

Im wiedervereinten Deutschland wollte den beiden keine fruchtbare Zusammenarbeit mehr gelingen. Berg schrieb in seinen neuen vier Wänden in der Rykestraße täglich Briefe an Peter Hacks und las in Arno Schmidts Zettels Traum, der wie eine Bibel aufgeschlagen auf dem Stehpult lag. Immer seltener sah man den Dichter mit der schwarzen Hornbrille auf der Straße. Immer öfter lag er auf der Neurologie in der Charité. 2004 meldete er sich noch einmal mit dem Stück Tageswerk auf der Berliner Bühne zurück, um danach endgültig zu verstummen. Am Donnerstag, den 25. Juni 2009 ist der gelernte Krankenpfleger, der sich selbst nicht gesundpflegen konnte und jeden, der sich um ihn sorgte, übellaunig verprellte, im Alter von 61 Jahren gestorben. Sein Wunsch, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof neben den großen Dichtern begraben zu werden, wird sich wohl nicht erfüllen.











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