Dunstumzug

Rauchzeichen Der Musiker Joe Jackson ist in Berlin-Kreuzberg aufgetaucht

Was um alles in der Welt Joe Jackson nach Berlin-Kreuzberg verschlagen hatte, fragte ich mich, nachdem ich einigermaßen überrascht die freudige Nachricht erfahren hatte. Seit dreißig Jahren war hier kein angelsächsischer Musiker von Format beim Einwohnermeldeamt registriert, seit den Tagen also, als Iggy Pop und David Bowie in der Schöneberger Hauptstraße wohnten und Lou Reed an der Hasenheide.

Heutzutage trifft man höchstens Jack Reiley mit Mitch Ryder im "Gagarin" an der Rykestraße und Helen Schneider in der Paris-Bar, ansonsten bleiben die Stars des Rock´n Roll-Zirkus kaum länger als ein Konzert in der Stadt. Mit Joe Jackson kommt endlich etwas Glanz in die Hütte, auch wenn der 1954 in Staffordshire geborene Brite nie einen Hit in den Charts landete und unter den New-Wave-Solisten die ewige Nummer drei nach Elvis Costello und Graham Parker blieb. Seit seinem fulminanten Debütalbum Look Sharp (1979) hat der sowohl stilistisch wie optisch aus der Art geschlagene Allroundmusiker mit dem Allerweltsnamen die Kritik stets zu herablassenden Verrissen inspiriert, aber seine Fans nie enttäuscht.

Sie folgten dem "zornigen, jungen Perfektionisten" (Rolling Stone), dessen heisere Kehlkopfstimme für Rockrhythmen zu gehetzt und für Barmusik zu nuanciert klingt, auf all seinen klandestinen Ausflügen in den Punk, Reggae, Swing-Jazz, Latino und die Piano-Klassik. Der couragierte Eklektiker mit der soliden Ausbildung am Londoner Royal College of Music bekennt, dass er sich nicht eigenständig genug für einen definitiven Stil fühlt. Weit davon entfernt, der bestaussehende Bursche der Straße zu sein, wusste der leptosome und an Pigmentose leidende Knabe früh, dass er nur als Außenseiter Chancen haben würde, geliebt zu werden.

In Jacksons Songtexten vermischen sich sozialkritische Themen mit zynischer Medienschelte, Allzumenschliches mit Abseitigem, Himmel und Hölle der Liebe, die Beteiligte zu Narren werden lässt, mit der Frage, was einen echten Mann ausmacht in Zeiten der Metrosexualität. In der Ballade Cancer aus seinem brillanten Album Night and Day macht sich Jackson über den Gesundheitswahn der US-Amerikaner lustig, der die Leute krank und die Pharma-Industrie reich macht. Mit der Ironie des traurigen Clowns, der sich verstellt und alles wagt, dass er selbst den Schmerz vortäuscht, der ihn wirklich plagt (Fernando Pessoa), blieb "JayJay" in der Neuen Welt dem breiten Publikum fremd. Nur in New York und Memphis, wo man eine Schwäche für Showfreaks hat und ein Gefühl für Lieder über "post-pubertäre Angst und heraufkommende Senilität" (Time Out), liebt man den passionierten Klavierspieler, der stets mit Rockband ohne Akustik-Gitarre auftritt und schon mal allein am Klavier einen ganzen Abend bestreitet.

Mit der Liebe scheint es nun allerdings vorbei, seit Jackson, der zuletzt auch als Buchautor hervorgetreten war, in der New York Times mehrfach gegen das Rauchverbot und die damit verbundene Hysterie angeschrieben hat. Ursprünglich wollte der moderate Nikotingenießer nur seinen Unmut gegen das Kreuzzugartige der Antiraucherkampagne im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zum Ausdruck bringen. Doch mit seiner Befürwortung des Rauchens trat Joe Jackson eine Lawine der Entrüstung los, die seinen Ruf als Musiker beschädigt hat. Er wurde verdächtigt, von der Tabakindustrie gesponsort zu werden und sich zum Zwecke der Eigenwerbung in den Medien profilieren zu wollen. Die Reaktion der Gesundheitsfanatiker wäre gewiss nicht so vehement ausgefallen, hätte die New York Times nicht ebenso viele Dankesbriefe erhalten.

Wegen dieser Vehemenz kehrte Joe Jackson seiner Wahlheimat den Rücken und zog nach Berlin. Anfang Mai startete er eine Deutschland-Tour mit seinen alten Bandgefährten Graham Maby und Dave Houghton in der Kreuzberger Passions-Kirche. Die etwas in die Jahre gekommenen Jackson-Fans wiegten die Köpfe beim Slow Song, trampelten mit den Füßen bei Home Town und sangen beim politisch-unkorrekt Everything gives you cancer, there´s no cure, there´s no answer. Danach verließen die Zuhörer die Kirche und zündeten sich eine Zigarette auf der Straße an. Denn in den meisten Kneipen am Mariannenplatz ist Rauchen mittlerweile verpönt, wenn auch erst 2008 verboten. Dann wird Joe Jackson nach Palic (Rauchen) in Serbien ziehen müssen. Dort ignoriert man EU-Normen aus Prinzip.


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