Zwei Überraschungen bietet der Dokumentarfilm von Daniel Burkholz. Erstens: 70 Jahre nach dem Spanischen Bürgerkrieg leben von den 40.000 Freiwilligen der Interbrigaden noch drei Dutzend Männer und Frauen. Trotz ihres Alters zwischen 86 und 99 Jahren, der Erfahrung von Internierungslager, KZ, gesellschaftlicher Ächtung und bitterer Armut scheinen die meisten nicht nur lebendig, sondern ungebrochen kämpferisch und wortgewaltig, was die aktuelle Weltpolitik anlangt.
Zweitens: Junge Linke singen die alten Kampflieder der Spanischen Republik mit frischem Elan, tragen die Bataillonsfahnen und salutieren mit der rechten Faust an der linken Stirn, dem Gruß der Brigadistas. Ansonsten lässt der 45-minütige Film Brigadistas leider viele Fragen offen und enttäuscht durch eine konfuse Erzählweise und unklare Dramaturgie. Weshalb die Veteranen nach Spanien reisten, kann man nur erahnen (2006 jährte sich der Putsch Francos zum 70. Mal), wer sie wohin begleitete, bleibt offen und außen vor, wie die spanische Öffentlichkeit darauf reagierte. Aus den persönlichen Erinnerungen der Veteranen formt sich kein Geschichtsbild. Der kurze Film versucht, das ist sein Verdienst, die Überlebenden einer europäischen Tragödie zu würdigen, scheut aber jede Diskussion mit ihnen nach der Devise: Opa war in Ordnung.
Dabei wissen nicht viele junge Menschen, worum es 1936 bis 1939 im Spanischen Bürgerkrieg ging; wiewohl einer der bestdokumentierten Kriege des 20. Jahrhunderts, weil Kameramänner wie Ivens, Karmen und Capa oder Schriftsteller wie Hemingway, Koestler und Orwell die erste Materialschlacht des Faschismus in Europa abgebildet haben. Es ist kein Geheimnis, dass die Westmächte den Kampf der demokratisch gewählten Spanischen Republik gegen den Putschisten Franco nicht unterstützten, die Sowjetunion zwar Waffen, geschulte Kommandeure und Politoffiziere schickte, Stalin aber hinter der Front reihenweise ihm nicht treu ergebene Kommunisten und Anarchisten liquidieren ließ. Tausende Spanienkämpfer, die nach der Niederlage der Spanischen Republik ins "Paradies der Arbeiterklasse" flohen, starben in der Lubjanka oder im Gulag. Von 210 spanischen Piloten, die zur Ausbildung in die SU kamen, kehrte kaum einer heim. Sie wurden von Dolores Ibarruri (La Passionara) und anderen Führern der KPS als "Feinde der Sowjetunion" beschuldigt und entsprechend behandelt.
Davon ist im Film keine Rede, an die dunklen Kapitel erinnern sich die alten Kämpfer ungern. Sie erzählen den grünen Jungen, wie sie die Faschisten vor Madrid aufhielten (der einzigen Schlacht, die sie gewannen), ihnen die Frühstücksbrote stahlen oder mangels Waffen mit Dynamitzündern das Laufen lehrten. Rosaria Sanchez Mora, ehemalige Schneiderin, verlor dabei ihre rechte Hand und wurde von den Kameraden im Stich gelassen. Sie hat Franco überlebt und könnte gewiss noch viel erzählen. Der Film lässt ihr aber keinen Raum, hastet von einem Festakt zum anderen, sammelt affirmatives Greisengemurmel, zeigt verblasste Fotos junger Brigadistas und feiert die "Heldin der Heldinnen der ganzen Welt", La Passionara, mit substantivischen Parolen ihrer Tochter, die fatal an Margot-Honecker-Reden erinnern.
Kurt Goldstein, einer der prominentesten Antifaschisten und ehemaliger Chefideologe des DDR-Rundfunks, erzählt in fließendem Spanisch über seine Jahre in Auschwitz, aber nichts über seine Rolle als Politkommissar "Julio" in den Interbrigaden. Ob er sich daran errinnert, dass er als Mitglied im DDR-Komitee der Spanienkämpfer Walter Ulbricht einen Kampforden verliehen hat, obwohl der nur kurz in Spanien war und nie an der Front, um mit Franz Dahlem in Madrid Todesurteile gegen "trotzkistische Abweichler" zu unterschreiben? Oder wie das Antifa-Komitee Walter Jankas Spanienbuch verhinderte und gegen Peter Weiss´ Ästhetik des Widerstands Sturm lief?
"Die Rhetorik ist der Friedhof der menschlichen Wirklichkeiten, bestenfalls ihr Altersasyl", schrieb der spanische Philosoph Ortega y Gasset. Die Ahnungslosigkeit der Filmemacher zeigt sich in den Interviews der Autorin Heike Geiswald, die wie eine Altenpflegerin der Caritas mit den Überlebenden redet. "Würden Sie es denn heute wiedermachen?", fragt sie den Österreicher Josef Eisenbauer. "Heute nicht mehr", lautet die klare Antwort. Man kann den Mann verstehen angesichts der naiven Parole eines jungen Linken: "Nieder mit der Monarchie! Es lebe die Republik!". Er war wohl zu jung, als Juan Carlos 1981 die konstitutionelle Monarchie vor putschenden Militärs rette.
Brigadistas wird gezeigt am 30. 7. (Köln), am 3. 8. (Bochum), am 30. 9. (Bonn). www.roadside-dokumentarfilm.de
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