An der Wiege

Polemik Raoul Schrotts Logbuch "Die fünfte Welt"

Das Gebiet im Nordosten des Tschad an der Grenze zu Libyen und Sudan zählt für den poetischen Weltvermesser Raoul Schrott zu den seltenen terrae incognitae dieses Planeten. Ihn interessieren neben den archaischen Funden - Zeichnungen, Gegenstände und andere präzivilisatorische Relikte - diese weißen Flecken auf der Landkarte stets auch als Projektionsflächen der Sprache und der Imagination, jenseits eines standardisierten Massengeschmacks und einer neuzeitlichen Medienwelt. Er sucht die Wiegen unserer Wirklichkeit, stets auch als Sprachforscher und Radardenker.

Nur dieses Mal mündet ein Großteil seiner Beobachtungen weder in ein Logbuch noch in eine "Episodik des Entdeckens", sondern weitgehend in einen soliden journalistischen Text, der nicht mit politischen und moralischen Meinungen geizt. Dass der Genozid in Darfur nur "Kolportage" sei, ist vielleicht die pointierteste - und zweifelhafteste - Aussage inmitten eines für Schrott ungewöhnlich konkreten Textes. In spürbarer Gereiztheit fallen Begriffe wie "spießig", totalitär" und "kurzsichtig", werden westliche Medien und Perspektiven belächelt, wird die Arbeit von Hilfsorganisationen in ungewöhnlicher Schärfe kritisiert: "Von einem selbstlosen Interesse, das nicht nur eine Moral abarbeiten will, sondern sich enthusiastisch für etwas zu begeistern vermag, ist jedenfalls nichts zu spüren." Es steht nicht an, über die Berechtigung dieser Vorhaltungen zu urteilen, aber um sie nachvollziehen zu können, hätte es eingehender Schilderungen und Begründungen bedurft. So bleibt es bei kurzen Polemiken, die dann lediglich durch lapidare Einschränkungen wie: "Dass Massaker verübt worden sind, ist klar" konterkariert werden.

So bleibt nach der Lektüre ein zwiespältiger Eindruck zurück. Erst im zweiten Teil dieses schmalen Buches taucht man mit Schrott in diese unbekannte Welt ein, in eine "konturlose Weite", in der allein der Zugang zum Wasser Leben verspricht. Schrott hätte zwei Bücher schreiben sollen: ein politisches Pamphlet, in dem er den Bürgerkrieg und die Situation im Sudan, den von der Welt vergessenen Genozid, schildert - und ein poetisches Logbuch auf dem Weg von der vierten Welt der Nomaden in die fünfte der ewigen Leere der Sahara.

Raoul SchrottDie fünfte Welt. Ein Logbuch. Fotos von Hans Jakobi. Haymon Verlag, Innsbruck 2007. 128 S., 17,90 EUR

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