Spuren

Linksbündig Maxim Biller vor Gericht

Bohlen hat es getan. Heiner Lauterbach auch. Autoren wie Henry Miller, Charles Bukowski und Max Frisch waren darunter. Sie waren mit Frauen im Bett gewesen und haben später in einem Erinnerungsbuch darüber geschrieben. Nicht immer freundlich, in jedem Fall aber intim und detailliert, haarscharf an der Charmegrenze der Provokation entlang. Lediglich im Falle der Schauspieler und Sangeskünstler wurde prozessiert, erwirkten betroffene Damen einstweilige Verfügungen und geschwärzte Textpassagen. Man konnte sich des Eindrucks eines präzise inszenierten Ping-Pong-Spiels nicht erwehren, der Skandal machte das Buch bekannter, die Auflage stieg und alle profitierten davon und waren zufrieden.

Im Falle der literarischen Autoren herrschte Stillschweigen, obwohl auch hier, nur notdürftig verhüllt, Apartes ausgeplaudert wurde. Doch es folgten keine öffentlichen Anklagen, Prozesse oder Forderungen auf Schadensersatz. Bis vor kurzem. 2003 wurde Maxim Billers Roman Esra per Gerichtsurteil verboten, weil sich zwei Frauen in den Figuren des Romans wiederzuerkennen glaubten und davon offenbar auch die juristischen Instanzen bis hinauf zum Bundesgerichtshof nachdrücklich zu überzeugen wussten.

Biller, der so unterschiedliche Stilisten wie Thomas Mann, Heinrich Böll und Giorgio Bassani schätzt, hat einmal geschrieben, dass er "beim Schreiben herausfinden will, warum die, die ich kenne, so sind, wie sie sind, und warum dann am Ende die Menschen so sind, wie sie sind". Die Wirklichkeit also als Steinbruch der Literatur, Realismus als ästhetisches Programm, spannend und unterhaltend erzählen - das ist, grob gesagt, Billers literarisches Konzept. Als er auch in Esra über das Leben, in dem auch seine damalige Freundin und deren Mutter ihren Anteil hatten, schrieb, ließ er Facetten dieser Erfahrungen mit einfließen.

Doch irgendwie muss Biller den bevorstehenden Schlamassel schon geahnt haben und hat seinen Text als "Roman im Roman" konzipiert, in dem Esra zu ihrem Schriftsteller-Freund Adam Sätze sagt wie "Du mußt mir versprechen, daß du nie etwas über mich schreibst". Sicher hat Biller zu wenig verfremdet, war zu frech, aggressiv oder fahrlässig, als er direkte Anleihen aus dem realen Leben seiner einstigen Lieben in den Text hat einfließen lassen. Nun ist der "Möglichkeitsinn der Literatur" (Robert Musil) in eine gerichtsnotorische Dimension gerutscht, die weder der Freiheit der Kunst noch der Sicherung der Persönlichkeitsrechte wirklich zuträglich sein dürften.

Ganz schuldlos ist die Literaturszene allerdings auch nicht: Wer auf der Schleimspur des amerikanischen Boulevards auf hohe Verkaufszahlen spekuliert und dafür auch mal einen unerlaubten Blick unter die Bettdecke wirft, riskiert Klagen und Prozesse nach amerikanischem Vorbild. Das sollte bei uns keine Schule machen. Man muss aber nicht gleich, wie der Autor Daniel Kehlmann, sich "wie in einer Diktatur" fühlen und den "Gerichtshof der Literaturgeschichte" anrufen, um die Absurdität der neuerlichen Beschwerde der Klägerinnen zu fühlen. Dass Billers Roman verboten wurde, ist problematisch genug. Die aktuelle Forderung der beiden Frauen auf Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro dekuvriert deren wahre Absichten. Sie haben keine Angst um ihre Individualrechte, sondern benutzen im Gegenteil die Öffentlichkeit, die sie vorgeblich so fürchten. Nur das engste Umfeld Billers hätte die Figuren identifizieren können, ansonsten wäre Billers Roman eben als fiktiver Text gelesen worden.

Eine ideale Trennschärfe zwischen Kunst und Wirklichkeit wird es nie geben, ob nun im Schreiben erfunden, übertrieben, polemisiert, stilisiert, erinnert oder vergessen wird. Doch der "Intimitätsterror" (F.J. Raddatz) der Talkshows, Chatrooms und Skandalpresse hinterlässt Spuren, selbstverständlich auch in der Kunst. Kündigt der Leser dem Autor einseitig die stillschweigende Konvention, dass ein fiktionaler Text vom Anspruch auf Authentizität suspendiert ist, wird die Lage kritisch. Wollen wir trotzdem Einblicke in Ehen, Freundschaften, Geschäfte und menschliche Beziehungen aller Art? Natürlich, das ist schließlich unser Leben. Aber es wäre für alle Seiten dienlich, wenn Autoren das Prinzip "Realismus" nicht als Paparazzi-Freibrief verstehen und andererseits sich alle Personen, die glauben, in literarischen Texten aufzutauchen, an Nabokovs Diktum halten würden: "Literatur ist immer Erfindung. ... Wer eine Erzählung wahr nennt, beleidigt Kunst und Wahrheit zugleich."


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden