Die im Dunkeln sieht man nicht

Lobbyismus Berater sind so einflussreich wie nie zuvor – weil ihre Gutachten zum Viagra der Politik geworden sind
In diesem Geschäft gilt die Sarrazin-Formel: Eine gute Geschichte ist wirksamer als tausend richtige Argumente
In diesem Geschäft gilt die Sarrazin-Formel: Eine gute Geschichte ist wirksamer als tausend richtige Argumente

Illustration: Otto für den Freitag

Dirk Notheis und Stefan Mappus haben der politisch interessierten Öffentlichkeit einen großen Dienst erwiesen. Der Investment-Banker von Morgan Stanley und der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg haben mit ihren veröffentlichten E-Mails zum 4,7-Milliarden-Rückkauf des Energieversorgers EnBW durch das Land Baden-Württemberg anschaulich vermittelt, wie das Wechselverhältnis von „Berater“ und „Politiker“ praktisch abläuft. Die Mails sagen mehr über dieses Schattenmanagement als wikipedia zum gesamten Themenkomplex.

Nur ein flüchtiger Blick in die Zeitung genügt, um festzustellen, dass fortlaufend zu allen denkbaren Fragestellungen Gutachten in Auftrag gegeben werden, die oft entscheidungsrelevant sind. Dahinter stecken stets Politikberater, die vollstrecken, was ihre Auftraggeber wünschen, aber nicht durchzusetzen vermögen. Sie sollen eine Hebelwirkung entfalten und im Kostüm der vermeintlichen Unabhängigkeit den Weg für Privatisierungen weisen, neue Geschäftsfelder eröffnen, öffentliche Subventionen erschließen – oder Projekte verhindern.

Jüngstes Beispiel ist die Studie der Unternehmensberatung McKinsey mit der wenig überraschenden Empfehlung, „ein gemeinsames System von gesetzlicher und privater Krankenversicherung“ zu etablieren. Die gleichlautenden, kurz zuvor bekannt gewordenen Pläne der Kanzlerin zur Abschaffung „Privater Krankenversicherungen“ hatte selbst Insider der CDU überrascht. Kommt nun eine verspätete „Bürgerversicherung“, natürlich unter einem anderen Namen?

Auffallend ist, dass bestellte Wahrheiten und fundamentale Defizite dabei kaum registriert werden. Die Branche ist von (Lösungs-)Ansprüchen und (Leistungs-)Mythen überfrachtet. Die Entschlüsselung dieser von Fiktionen und Projektionen befeuerten Fehleinschätzungen würde ein blühendes Gewerbe entzaubern. Ihre klandestine Praxis ist aber der Treibstoff für die Überschätzung der kommerziellen Berater.

Im Kontrast zu ihrer kommerziellen Konkurrenz pflegt die seriöse „wissenschaftliche Politikberatung“ eine professionelle Skepsis gegenüber Vorhersagen. Aber es sind diese Vorhersagen – das Viagra der Politik –, die vor allem gefordert werden. Wolfgang Streeck, der Leiter des Max-Planck-Instituts für Sozialforschung in Köln, bilanziert den möglichen Nutzen der Wissenschaften für die Politik deshalb äußerst vorsichtig. Sie können „mit Gründen vor Risiken warnen und zugleich, wo Optimismus angebracht sein könnte, zu Risiken ermuntern.“ Man braucht keine besondere Fantasie, um festzustellen, dass solche nüchternen Leistungsversprechen bei der politischen Klasse mehr Irritationen auslösen als Aufmerksamkeit zu stimulieren.

Eine Wenn-dann-Logik

Hier treffen zwei Welten aufeinander, die sich im Kern wenig zu sagen haben, weil sie sich zwei entgegengesetzten Handlungssystemen verpflichtet fühlen. An diesem Punkt setzen die „konventionellen“ Politikberater an, die die Schranken des Kritischen Rationalismus kennen und deshalb einen ganz anderen Zugang wählen: Sie agieren kundenorientiert und interessengeleitet, auftragsfixiert und opportunistisch.

Die Selbstbegrenzung auf historische Kontextanalyse, solide Sortierung des verfügbaren Wissens, vorsichtige Erklärungen sowie den weitgehenden Verzicht auf Prognosen wird man von den einflussgetriebenen Berliner Politikberatern dagegen nicht erwarten dürfen. Im Gegenteil: Sie neigen zu vollmundigen Versprechen und eindeutigen „Wenn-dann-Konstellationen“. Dabei ersetzen öffentlichkeitswirksame Formeln und Kategorien der Durchsetzungsfähigkeit den nüchternen Fakten-Check. Unter den Vertretern der „wissenschaftlichen Politikberater“ gilt zudem die erfahrungsgesättigte Lebensweisheit: Je unabhängiger die Berater sind, desto geringer ist ihr Einfluss.

„An ihren Beratern sollt ihr sie erkennen,“ hat Egon Bahr einmal gesagt. Er markierte damit einen nützlichen Suchpfad zur Entzifferung des Beratermarktes und führt zu der entscheidenden Frage: Gibt es in der hektisch-hysterischen Spitzenpolitik überhaupt eine Nachfrage nach einem anstrengenden, entscheidungsrelevanten Beratungsprozess? Oder kommt man besser ohne aus? Sind gute Berater – die Zweifler, Skeptiker, Nachfrager sein müssen – nicht Sand im Getriebe?

Merkels Hofregeln

Ein weiterer blinder Fleck, den die Berater bei ihren Versprechen und Visionen regelmäßig übersehen, bezieht sich auf das entscheidende Schmieröl im politischen Betriebssystem: die Ressource Nähe und Vertrauen. Nahezu jeder Spitzenpolitiker stützt sich in seinen Beratungen allein auf sein engstes politisches Umfeld. Wer aus Merkels Küchenkabinett nur Halbsilben ausplaudert, war die längste Zeit dabei. Ohne Angabe von Gründen wird die Kommunikation gekappt, wenn nur der Hauch eines Zweifels an der geforderten Vertraulichkeit aufkommt. Merkels Hofregeln sind universell für den Politikbetrieb.

Auf das Schweigen ihres engsten Vertrauten Thomas de Maizière konnte sich die Kanzlerin stets verlassen. Die Skepsis des früheren Kanzleramts-Chefs gegenüber der überhitzten Beraterbranche ist im Spitzenfeld seiner Klasse beispiellos. De Maizière ließ in einer Rede an die Berater-Szene keinen Zweifel daran, dass Politikberatung heute „in Wahrheit Lobbyarbeit ist“ und keine Entscheidungsverantwortung trage. Die ungeschminkte Botschaft des Vorsicht-Politikers mit den Sekundärtugenden eines berechenbaren Spitzenbeamten: Die Beraterzunft müsse sich von dem eingefahrenen System der Gefälligkeitsgutachten, gewagten Konzepte, frisierten Statistiken und halbgaren Vorschläge verabschieden.

Ganz anders Heinrich Tiemann: Der Ex-Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Steinmeiers Ex-Koordinator für die Bund-Länder-Beziehungen ist – bezogen auf den Markt der Beratung – die Kontrastfigur. Der frühere Gewerkschaftsfunktionär aus der Grundsatzabteilung der IG Metall, der in der Ära Schröder in vielen Funktionen einflussreicher Strippenzieher war, hat einen praktischen Tipp für die Berater parat. Sie sollten auf blumige Beratungstexte oder ausladende Ergebnisberichte verzichten und stattdessen „das Ding auf zwei Seiten, nicht auf 20 Seiten bringen.“ Dieses Modell machte Schule.

Die Botschaft ersetzt die Analyse, die Message ist wichtiger als die präzise Durchdringung der Fragestellung. In Dutzenden von rot-grünen Kommissionen wurde dieses Prinzip traktiert. Bei Beratungs-Kommissionen von Hartz bis Rürup waren die großen Beratungsfirmen die Füllfederhalter. Sie konnten so ihren Nutzen maximieren: Einerseits vertieften sie ihren Kontakt und Zugang zu Spitzenpolitikern, andererseits gelang es ihnen, die Interessen der Wirtschaft zum Fixpunkt aller Lösungsvorschläge zu machen. Besonders im Ausbau des Gesundheitsmarktes wirkt dieses Beratungsmuster fort.

Der Potsdamer Politikwissenschaftler Werner Jann hat das Muster dieses Beratungsmarktes entziffert: „Entscheidend ist die Bedeutung von Ideen, Weltbildern, Narratives.“ Es gilt also die Sarrazin-Politik-Formel, wonach eine gute Story wirksamer ist als tausend richtige Argumente. Im politischen Tagesgeschäft und der hybriden Medienwelt geht es vor allem um die „Deutungshoheit“. Kommerzielle Berater haben dieses Muster verinnerlicht.

Zwei Verbesserungsvorschläge

Die ethische Misere der kommerziellen Berater ist jüngst in der Dissertation zum Themenfeld „Ethik und Qualität in der Politikberatung“ von Shamim Rafat noch einmal ausgebreitet worden. Rafat, der selbst als Berater tätig ist, zeichnet darin ein kritisches Bild seiner Branche und präsentiert den zentralen Befund seiner Akteursbefragungen: „Moralische und rechtliche Grundsätze und Prinzipien spielen für die Befragten (Anm. Politikberater) in kriterialer Hinsicht keine nennenswerte Rolle. Über die ethische Dimension der Kriterien ist kein explizites Wissen vorhanden.“ Was wissenschaftlich belegt ist, wird von der Berufsvereinigung der Politikberater sogar zum Selbstverständnis erhoben. Dominik Meier, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (degepol), spricht von „praktischer (lobbyistischer) Politikberatung.“ Die traditionelle Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Politikberatung „lässt sich nicht mehr halten.“ Beide Berufsgruppen vereine ein Ziel: „Sie beraten, um zu beeinflussen.“ Schonungslos offen, frei von professionellen Zweifeln.

Zwei Vorschläge, um die Chancen einer seriösen, unabhängigen Politikberatung zu verbessern. Erstens: Das Konzept der „wissenschaftlichen Politikberatung“ sollte durch die Auftraggeber evaluiert werden. Sie müssten sich dabei zu den Grundlagen dieses Konzeptes verbindlich äußern und sich auf einen Kodex für eine wirklich unabhängige, lösungsorientierte Beratung verpflichten. Zweitens: Eine neue Kommission sollte eine umfassende Analyse der „kommerziellen Politikberatung“ in und um die Grauzone des Lobbyismus vornehmen, um so die Defizite und Schwachstellen dieser Branche zu vermitteln.Nur so kann eine missbrauchte Disziplin stabilere Fundamente bekommen.

Thomas Leif arbeitet als Journalist und Moderator und hat mehrere Bücher zum Thema Lobbyismus geschrieben. Zuletzt erschien Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland

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