Jürgen Leinemann, der geniale Analytiker des deutschen Politikbetriebs, hat früh eine journalistische Grauzone ausgemacht, die bis heute nicht ausgeleuchtet ist: Die größte (Korruptions-)Gefahr für seriösen Journalismus bestehe in der Abhängigkeit von Informanten, die beständig Material für vermeintlich exklusive Geschichten lieferten.
Nirgendwo ist diese Gefahr größer als bei der Geheimdienstberichterstattung. Hier gilt für einen kleinen, ausgesuchten Kreis der sogenannten Spezialisten die opportunistische Formel: Die Hand, die mich füttert, beiße ich nicht. Lorenz Matzat hat den systemischen Konflikt jüngst am Beispiel NSU und das Versagen des Journalismus auf datenjournalist.de entziffert. Seine Bilanz der vom Verfassungsschutz inspirierten und lange gesteuerten Berichterstattung: „Mit Journalismus, wie er 2012 im Netz möglich wäre, hat das alles wenig zu tun.“
Warum aber versteht sich eine kleine Gruppe von Journalisten als Füllfederhalter der Schlapphüte? Warum werden die „bestellten Wahrheiten“ von den Redaktionen und Agenturen nicht im Lichte der gesetzten Informationen geprüft oder zumindest als ungeprüfte „Ein-Quellen-Geschichten“ markiert? Warum ist die Geheimdienst-Berichterstattung ein Sonderbereich, in dem journalistische Grundregeln außer Kraft gesetzt sind?
Unterschiedliche Logiken
Geheimdienste und Journalismus folgen zwei unterschiedlichen Handlungslogiken. Geheimdienste arbeiten verdeckt und vertrauen auf die Informationen von bezahlten V-Leuten, die ihr Milieu „abschöpfen“. Die Validität der Quellen ist von den Auftraggebern nicht vollständig überprüfbar, wie „Auswerter“ in den Ämtern einräumen. Die Dienste folgen in ihrer Informationsbeschaffung und -vermittlung politischen Motiven der jeweiligen Führung. Jede Form der Materialweitergabe hat also stets instrumentellen Charakter.
Journalismus soll sich aber auf mehrere gesicherte und überprüfbare Quellen beziehen, einseitige Vermittlung gerade von „trüben“ Quellen vermeiden oder zumindest kennzeichnen. Jede Instrumentalisierung von Informanten für spezifische Interessen ist den tradierten Regeln und dem branchenüblichen Unabhängigkeits-Pathos nach ausgeschlossen.
Die Übermittlung der Geheimdienst-„Informationen“ verläuft nun aber einseitig, und ihre „Kunden“ suchen sich ihre Informationsverwerter gezielt aus. Entscheidend für die Auswahl ist die politische Zuverlässigkeit und die Bereitschaft, sich auf die vorgegebenen kommunikativen Spielregeln der Dienste einzulassen. Um „Informationen“ zu erhalten, muss sich der jeweilige Adressat, bevorzugt aus den bekannten, auflage- und reichweitestarken Qualitätsmedien, von seinen journalistischen Arbeitsprinzipien lösen und sich den Kommunikationsstrukturen der Dienste unterordnen.
Im Klartext: Die beiden relevanten Nachrichtenmagazine, wenige führende Tageszeitungen und die „Geheimdienst-Experten“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten werden privilegiert und abgeschottet „informiert“. Im Gegenzug wird von ihnen erwartet, dass sie die platzierten Interpretationen, Warnungen und Analysen eins zu eins übernehmen und möglichst als breaking news agenturfähig vermarkten.
Kontrollfreie Zone
Diese Art der Informationsvermittlung verschärft ein bereits vorhandenes Ungleichgewicht im Informationszugang von Sicherheitsbehörden und züchtet Abhängigkeiten. Wer den unausgesprochenen Kodex der Geheimdienste nicht akzeptiert, wird als Informationsempfänger abgeschaltet. In Nachrichtenmagazinen führt das dazu, dass bestimmte Kontakte in die Dienste und Ministerien nicht von allen Ressort-Kollegen wahrgenommen werden dürfen. Dieses System wird seit Jahrzehnten gepflegt und von keiner Seite infrage gestellt, weil Verlage und Sender vom spektakulären Material der Dienste profitieren. Weder Medienkritik noch Untersuchungsausschüsse widmen sich dem. Wenn aber parlamentarische und mediale Kontrolle ausfallen, können sich die „Spezialisten“ wie ein Escortservice der Geheimdienste bewegen. Sie schaffen eine kontrollfreie Zone, in der föderaler Wildwuchs und fachliche Inkompetenz zu einem politischen Blindflug führen.
Ein fulminantes Beispiel für die öffentliche Inszenierung der Dienste im Verbund mit der Polizei stammt vom September 2011, gut eine Woche vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Am 8. September 2011 titelte die Berliner Morgenpost: „Polizei fasst zwei Terrorverdächtige in Berlin“. „Exklusiv“ schreibt die MoPo: „Die Polizei hat möglicherweise einen Terroranschlag verhindert. Das erfuhr Morgenpost-Online aus Sicherheitskreisen.“ Die Story war von den Sicherheitsbehörden vorbereitet; Hani N. und Samir M. wurden sogar in den Hauptnachrichten-Sendungen als vermeintliche Top-Terroristen präsentiert. Sechs Wochen später musste die MoPo zurückrudern: „Angebliche Terroristen kommen wieder frei.“
Das vorläufige Fazit: eine perfekte Wahlkampf-Inszenierung unter der Regie der vermeintlich erfolgreichen Sicherheitsbehörden, ohne nur annähernd gesicherte Beweise gegen die „Verdächtigen“; nationale Berichterstattung in allen Qualitätsmedien und kaum Korrekturen nach der Freilassung der vermeintlichen Terroristen. Der Deutsche Presserat beschäftigt sich mit solchen Skandalen jedoch nicht. Die Standards journalistischen Arbeitens werden noch nicht mal im Nachhinein eingefordert oder reflektiert.
Große Chance
Geheimdienstler haben kein Interesse an Faktentreue und Vollständigkeit, Zweifeln und Grautönen. Mangelnde Ermittlungserfolge werden durch wilde Spekulationen ersetzt. An Aufklärung eigener Versäumnisse in ihrem Schattenreich besteht kein Interesse.
Eine effektive parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste etwa in den zuständigen Ausschüssen gibt es nicht. Fachpolitiker geben zu, dass sie in den „Geheimausschüssen“ mit Nebensächlichkeiten beschäftigt werden und faktisch keine Kontrolle der Kontrolleure stattfindet. Der Bielefelder Verfassungsjurist Christoph Gusy, ein echter Kenner der Materie, kam bereits vor einem Jahrzehnt zu dem Befund: „Den vielfältigen Instanzen fehlt es an Koordination und Effektivität. Sie sind allein auf Informationen der von ihnen kontrollierten Exekutiven angewiesen und erfahren so über ihre Problemfälle aus den Medien mehr als auf den ‚offiziellen‘ Wegen. Das gilt erst recht, wenn die Nachrichtendienste berechtigt sind, Informationen aus Gründen des ‚Wohls der Allgemeinheit‘ oder des Datenschutzes Einzelner zurückzuhalten.“
Ähnlich sah Alexander Hirsch in seiner exzellenten Promotion die Kontrolle der Nachrichtendienste schon Mitte der neunziger Jahre: Wenn die Geheimdienste „blinden Wächtern ohne Schwert“ gegenüberstehen, können sie in der Öffentlichkeit wild spekulieren, Themen setzen, Pannen wegtelefonieren und publizistisch agieren, ohne Sanktionen erwarten zu müssen.
Durch die laufende Diskussion um den Verfassungsschutz besteht nun aber die große Chance, parlamentarische Nicht-Kontrolle und gefügigen Nachrichtenhandel auf den Prüfstand zu stellen. Die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen und handverlesenen Obleute für Geheimdienstfragen müssten nur den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in Bewegung setzen und die existierende Expertise auswerten. Die Erkenntnisse der brillanten „Schäfer“-Berichte über die Bespitzlung von Journalisten wie auch die Analysen von Gusy und Hirsch liegen als Blaupause für wirkungsvolle Geheimdienst-Reformen vor. Zentral wäre die Installierung eines erfahrenen und unabhängigen Geheimdienstbeauftragten, der vom Parlament gewählt und mit einem Mitarbeiterstab ausgestattet die Arbeitsabläufe und das überholte Auswertungssystem kontrollieren könnte.
Neue Anreize
Dann würden die wahren Hürden des NPD-Verbots nicht nur ein paar Fachleuten geläufig sein. Die fahrlässige Kooperation der Dienste mit NPD-Funktionären ist bis heute nur in den heiklen internen Berichten von zwei ministeriellen Arbeitsgruppen im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsantrag zu studieren. Die aufschlussreichen Analysen (mit dem Stempel „Geheim. Nur für den internen Dienstgebrauch“) dürfen nur „von Hand zu Hand“ weitergegeben werden und sind in den Safes der Innenminister deponiert. Die Autoren, zumeist Abteilungsleiter von Staatsschutzabteilungen, kommen zu einem hochinteressanten, öffentlich aber nicht kommunizierten Ergebnis: Die Unterwanderung der NPD mit bezahlten V-Leuten ist nicht die einzige Hürde für ein NPD-Parteiverbot. Vielmehr liegen keine ausreichenden Beweise für aktiv kämpferische, gewaltsame Handlungen der NPD vor.
Solche Nachweise wären jedoch Mindestvoraussetzung für ein Parteienverbot, das reflexhaft zu fordern sich als reine Symbolpolitik erweist. Derweil ist die NPD-Verbotsdiskussion aber leichter zu vermitteln als die Bekämpfung des Rechtsextremismus in der „Mitte der Gesellschaft“ oder die Auflösung „national befreiter Zonen“ nicht nur in Sachsen.
Da es kaum kritische Beiträge über die Geheimdienste und ihr System der medialen Desinformation gibt, fühlen sich die Dienste indirekt bestätigt. Wenn kritische Beiträge zur Arbeit der Dienste erscheinen, werden diese Veröffentlichungen rasch dementiert. Das heißt: Es gibt bislang keinen Anreiz, selbst für die seriösen Mitarbeiter in den Diensten, die gültige Informationspraxis zu korrigieren. Bislang gibt es nur Appelle. Die aber könnten Ausgangspunkt für eine grundlegende Reform der Dienste und ihrer Informationspolitik über willfährige Medien sein. Gerade jetzt.
Thomas Leif ist Journalist und Moderator
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