Der Untergang der DDR war zu großen Teilen eine Tragödie der Dummheit. Das macht die Angelegenheit im Nachhinein nicht besser. Die Gewissheit, dass Dummheit nicht das Privileg der DDR-Führung, ihrer Ideologie oder idiotischen Innenpolitik war, kann das Empfinden der gegenwärtigen Situation allerdings auch nicht verbessern.
Die Farce, die der Tragödie hinterhergespielt wird, ist im Brennpunkt Berlin nicht nur aus westlicher Perspektive die "ganzdeutsche Angelegenheit". Dass eine Handvoll ehemaliger Funktionäre aus dem Osten und ein Bürgermeisterkandidat um ihr in der Stadt beträchtliches Wählerpotenzial mitspielen, ist weniger fragwürdig als die Tatsache, dass sich in der BRD seit 1989 grundlegend nichts geändert hat. (Außer, dass s
er, dass sie seitdem in Anführungszeichen geschrieben werden kann.) Man macht immer so weiter, immer wie bisher am "Ende der Geschichte", das mit allen Freiheiten und Zwängen verblüffend an die postulierte kommunistische Schlussetappe erinnert, die gesetzmäßig zu erwarten war. Im demokratischen Wandlungspotenzial gilt zunächst eine Konstante: Produktions- und Eigentumsverhältnisse sind tabu. Darüber zu wachen, ist Aufgabe der Politik.Das politische Vakuum, das zur Implosion des DDR-Staates geführt haben soll, sieht von heute aus betrachtet gar nicht mehr wie ein Vakuum aus. Im Gegenteil, es scheint, als ob zumindest ein Teil der Deutschen ("Wir sind das Volk!") nie so politisiert aufgetreten ist, politisch interessiert war, wie im Jahr 1989 und das nicht erst ab dem 9. November auf den Straßen Westberlins. Der 9. 11. 89 war eher der Anfang vom Ende des kollektiven politischen Bewusstseins, das seinen Höhepunkt fünf Tage früher auf dem Alexanderplatz hatte. Diese euphorisch aufgeladene Politisierung wird vom falschen Ende her beschworen, die Mauer, die zu brechen war, nun wieder aufgestellt. Maueröffner Schabowski steht diesmal auf der anderen Seite und macht gewissermaßen wieder zu, statt Politbüro diesmal mal mit Steffels Lobby im Rücken. Wehret den Anfängen! Kommunisten auf dem Kurfürstendamm!Der eine Staat ist vergangen, der andere sieht sich bedroht in dem, was er war. Wie es bleibt, so ist es nicht. Die Tragödie ist ausgespielt, die Dummheit bleibt. Dummheit, das verlässlichste Potenzial, jedenfalls bis zur Reproduzierbarkeit des Menschen, auch des homo politicus berolinensis, was aller Erfahrung nach zu ungeahnten Standards an politischer Dummheit führen wird. Wenn es dann soweit ist.Es ist soweit. Mit Kandidat Steffel hat der erste humanpolitische Klon die Bühne betreten. Er hat von allen was bekommen: von Krenz das bestechende Aussehen, von Kohl die Eierreinwerfvisage, von sämtlichen CDU-Generalsekretären nach Geißler die Blödheit, von Landowskidiepgen die filzige Verschlagenheit, von den Grünen sein Müsli, von den Bürgerrechtlern Bärbel Bohley, vom Vati seinen Mittelstand, von Rolf Eden die Klamotten, von der BZ die flotte Schnauze, wovon man auswärts gerne sagt: "Dit is Berlin!" Kurz, Steffel ist der Wiedergänger aller lokalmetropolitanischen Eigenschaften, die einen für die Laterne prädestinieren. Der Mann weckt jakobinische Instinkte.FDP-Mann Rexrodt natürlich nicht minder. Auf Inhaltliches einzugehen, ist uns bislang erspart geblieben, kein Inhalt außer Auto. Aussagen, deren Realitätsbezug noch unter denen der Wettervorhersage liegt. Zu Rexrodt nur die kurze Geschichte, von verschiedener Seite gleich beschrieben: Ein GASAG-Angestellter klingelt bei R., den Zähler abzulesen; R. öffnet, nimmt das Anliegen wahr und bescheidet: "Gasableser nehmen den Dienstbotenaufgang!" Tür zu. Machen wir auch, Türe zu, und wenden uns zu Wowereit hin.Der anlässlich seiner sexuellen Parteioffenbarung erhoffte Traum vom geschützten Privatleben hat sich bislang erfüllt. Die Homosexualität aber ist dank jenes populären Slogans dauerhaft präsent. Die Homo-Ehe ist es ja auch, schwul oder lesbisch, damit ist niemand mehr zu outen, risikofrei, ab damit in den Wahlkampf. Sexualität ist nicht mit Privatheit zu verwechseln, soweit ist es gut gelaufen. Soll man mehr zu Wowereit sagen? Esspédé?SPD regiert und deren Innenminister hat die Konkurrenz mit denselben drei Buchstaben wiederholt als "Partei mit linksextremistischer Tendenz" eingestuft. Vorwurf: die Partei halte an der Idee der "Systemüberwindung" fest. Systemüberwindung. Was kann daran Schlechtes sein? Solange kein substanzieller Unterschied zwischen den sich immer noch "Volkspartei" umschreibenden Kürzeln CDU/SPD und ihren grüngelben Fußnoten besteht, die allesamt der Clinch im Gerangel um die Macht vereint (die nichts wesentlich anderes als die Interessenvertretung der Industrien und der Banken ist) - solang das "System" so ist, sollte doch noch was zu überwinden sein.Das Parteiensystem zum Beispiel. Ist es das noch? Wer von Osten kommt, verbindet anderes damit und hat überdies einen Anspruch auf Inhalte. (Inhalte kommen bestimmt im September, September, blutiger Monat, wenn die Reden, die großen, gehalten werden, liebe Berlinerinnen und Berliner. Wahlphase II.)Tatsächlich kommt die PDS dem Begriff von "Partei" noch am nächsten, dem Begriff nach: ein Teil von etwas zu sein, einen Anteil zu haben. Davon ist, davon hat die PDS mehr als genug. Dass das nicht reicht, reicht doch den anderen, diese Partei im Extremen zu orten, bildlich und konkret ideologisch einzumauern, wie tief sich der Kotau der PDS-Strategen auch neigt. Die bemerkenswerteste Äußerung Gysis: dass die sozialistische Partei sich vom Avantgarde-Anspruch verabschieden müsse, ist weitgehend übergangen worden. Wer, fragt man sich, soll die Vorhut übernehmen, wenn es um den demokratischen Sozialismus, den die PDS im Namen führt, geht? Vermutlich geht es gar nicht mehr darum; bedauerlich, ich hätte Wert darauf gelegt, man kann ja mal was ausprobieren.Der euphemistisch "Wahlkampf" benannte irre Status quo liegt über der Hauptstadt wie Smog. Seit Wochen schon und gut sieben Wochen noch. Was soll man sagen zum Zustand, der in seiner drögen Piefigkeit zu benennen kaum ist? Rekapitulieren? Den Blödsinn der letzten acht Wochen? Filzwaschmittel, Grüne Grütze, Luftballons für Mauertote, Tunnel graben unter PDS-Filialen? Unglaublich, gesetzt, man würde das einem Besuch aus Zentralafrika erklären!Die Wahlkolumne "Kampf um Berlin" wird fortgesetzt.
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