Von der Freundlichkeit der Welt

Manfred Bofinger 1941-2006 Es gibt unter den Zehntausenden von Bildern Bofingers das eine: es zeigt einen Jungen, der seine Mütze mit der rechten, mit der linken Hand den ...

Es gibt unter den Zehntausenden von Bildern Bofingers das eine: es zeigt einen Jungen, der seine Mütze mit der rechten, mit der linken Hand den Globus hält, auf dem er durch das Weltall reitet mit Lachen und Staunen. Es ist das namenlose Kind in uns allen, das leicht und nebenher die Galaxien durchstreift, die nach der Kindheit den Träumen vorbehalten bleiben. Die Hoffnung, die der in Sepia gehaltene Druck mit der Jahreszahl 1980 weitergibt, ist historisch. Dass die Welt einem ganz begehbar ist inzwischen, ist selbstverständlich geworden wie Hunger und Gewalt, die in 25 Jahren nicht weniger geworden sind in der Welt. Und auch das Sterben ist uns geblieben, um einen fruchtlosen Streit bereichert, der aus dem Tod eine Angelegenheit von Verwaltungsbehörden macht. Der humanistische Grund, der Sterben von Leben als Bewusstseinsvorgang nicht trennt, versandet unter einer Debatte, in deren Kielwasser das Sterben zum Marktsegment ausgebaut wird, getestet in Jahrhunderten auf der Schattenseite der Welt, die in der Sonne verdorrt. Dem politischen Zeichner hat auch das keine Ruhe gelassen. Noch der Terror hat seine komischen Kollateralschäden, die den Satiriker zur Kritik an den Zuständen verpflichten.

Bofingers Arbeit, seit aus dem Kind, das er war, das Zeichentalent ausbrach, eine Arbeit, die in der Hauptsache Arbeit am Kind und für Kinder war, hat in Regionen des politischen Witzblatts, das ihn für Generationen populär machen sollte, die Geste des Spiels eingebracht, das den ideologischen Kern jeder Konfrontation auflöst mit Lachen und Staunen. Einem Kind kannst du nichts vormachen, es kommt alles zurück. Die Vierfingerhand und die drei rasende Bewegung bezeugenden Striche verweisen auf das Jahrhundert des Comics, seine schlichte sozialistische Episode. Die Insignien des Kindes auf dem Erdball: Mütze, Kniestrümpfe, kurze Hosen, das Mondgesicht im Profil nach vorne (links) gerichtet, der Sternenfächer ringsum, wie das Kind die Nudeln aus der Suppe auf dem Tisch ausbreitet und sich den Himmel dahinter aus dem Tischtuch denkt, zitieren ohne es zu wollen den überstrapazierten Benjamin, der den Engel der Geschichte als einen Geopferten sah: die Flügel ausgespannt, die Augen, die er im Sturm des Fortschritts, der aus dem Vergangnen in die Zukunft weht durch uns, nicht schließen kann, starren ins Vergangene. Bofinger zeigt einen Jungen, statt Flügeln hat er Hosenträger. Die Sorge, das Geringste zu versäumen und seine Mütze nicht zu verlieren - im erwartungsvoll konzentrierten Blick, den ein vor Aufregung gespannter Mund in Punkt und Komma bündelt, zu entdecken - zeigen die Motive des Fortschritts Neugier und Pragmatismus.

So sehen wir den Engel ostdeutscher Kindheit an, der es nicht immer leicht gehabt hat, der aber, dank auch des Opfers anderer, nicht sterblicher Engel, mehr Freundlichkeit in die Welt tragen konnte und mehr Freundlichkeit erfuhr. Einen Großteil dieser Freundlichkeit verdanken wir Manfred Bofinger. Ein Jahr hat er als Partner unerhörter Monologe auf Komastationen verbracht, eine Passage des Abschieds, wie wir jetzt wissen. Nun steht er in Dialog mit den Vorfahren seiner Gattung, die Kunst und eingreifendes Denken verbindet, länger als wir leben. Wen er schließlich hinterlässt, ist anhand seiner Verwandten nicht zu zählen. Die Leser seiner Bilder wissen, wovon einer unter ihnen spricht: "Manfred deine malkunst Gefalen mir ser ich habe nemlich ein buch von dir."

Der Freitag widmete Manfred Bofinger im Herbst eine vierseitige Beilage - siehe Robinson der Nummer 38/05


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