Anpfiff

Linksbündig 1968 bedarf der Neuauflage

Noch ehe die dreißigste Wiederkehr des "Deutschen Herbstes" abgefeiert war, kündigten die Medien an, dass es gleich anschließend mit dem vierzigjährigen Jubiläum von 68 weitergeht. Die durch keinerlei geschichtsphilosophische Überlegung gerechtfertigte Fixierung auf runde Zahlen macht es möglich: Es folgt in der öffentlichen Wahrnehmung der Heutigen nicht die Gewalt eines kleinen Häufchens auf die komplexen Ereignisse von 1968, sondern die Studentenbewegung auf die RAF. Die Perspektive bestimmt die Interpretation.

Während Liberale und sogar einige Konservative mittlerweile zugestehen, dass die 68er zur Demokratisierung Deutschlands beigetragen haben, üben sich zunehmend die mehr oder weniger prominenten Akteure der Bewegung in Selbstkritik. Ein sonderbarer Waschzwang hat jene erfasst, die einst für längst wieder zurückgenommene Reformen an den Hochschulen, gegen den Vietnamkrieg und gegen die globale Ausbeutung der Menschen kämpften, und sei es nur mit Sprechchören.

So gesehen sind die 40 Jahre vielleicht doch nicht bloß eine beliebige Zahl. So lange dauert es offenbar, bis eine neue Generation die Spielregeln bestimmt. Fast exakt 40 Jahre hat es gedauert, ehe in Österreich durch den "Fall Waldheim" die Beteiligung von Österreichern am Nationalsozialismus zum Thema wurde. Da freilich verhielten sich die Generationsgenossen des Bundespräsidenten weitaus resistenter gegenüber dem veränderten Geschichtsbild als heute die Opportunisten unter den Veteranen von 1968. Auch dahinter steckt eine Gesetzmäßigkeit.

Es blieb dem SPÖ-Politiker Franz Vranitzky vorbehalten, den Mythos von Österreich als erstem Opfer Hitlers zu entkräften und die Opfer österreichischer Täter um Verzeihung zu bitten. Der Sohn eines Kommunisten hatte für diese Geste ebenso wenig Anlass wie der Emigrant Willy Brandt zwei Jahrzehnte zuvor für seinen Kniefall im Warschauer Ghetto. Die Opfer der Rechten sühnen auch noch deren Verbrechen. Es entspricht dieser Logik, dass man nach 1989 argumentierte, man wolle bei kommunistischen Verbrechern nicht den gleichen Fehler machen wie zuvor bei den Nationalsozialisten, die man straffrei davonkommen ließ. So wurden jene, die schon von den Nazis verfolgt worden waren, ein zweites Mal schikaniert, während ihre Feinde wieder einmal fein raus waren. Es entspricht dieser Logik auch, dass die Kinder der RAF-Opfer mit großem Nachdruck ein Wort des Bedauerns von den Mördern ihrer Väter fordern. Wer hat je von dem SS-Mann Hanns Martin Schleyer, dessen Beteiligung an einem Massaker in Prag bis heute ungeklärt ist, ein Wort des Bedauerns gehört oder auch nur verlangt?

Für die Linke gelten andere Regeln als für die Rechten. Dass Willy Brandts viel zitierter Imperativ "Mehr Demokratie wagen!" ohne 68 kaum denkbar gewesen wäre, ist bei seinen Nachfolgern in Vergessenheit geraten. Denn genau darin besteht die historische Bedeutung von 68: dass mit den diversen Auseinandersetzungen, mit Tabubrüchen und neuartigen Formen der Herstellung von Öffentlichkeit versteinerte Strukturen erschüttert wurden. Dass sich jene, die dabei etwas zu verlieren hatten, wehren würden, dass sie jedes Mittel nützen würden, um ihre Macht und ihre Privilegien zu erhalten, war voraussehbar. Aber so Manches, was heute, vor allem im Kulturbereich, als selbstverständlich gilt, wäre ohne 68 nicht denkbar. Dennoch: die Rückkehr der Hochschulen zu den alten Hierarchien und hinter diese zurück, der rabiate Verrat der Hochschulautonomie an die Interessen der Wirtschaft, die zunehmende Benachteiligung von Kindern aus Nichtakademiker-Familien bei den Bildungschancen machen deutlich, dass 68 nicht der Kritik bedarf, sondern einer Neuauflage.

Die Ungerechtigkeit gegenüber der Linken, die neoliberale Umschreibung der Geschichte ist freilich kein deutsches Phänomen. Niemand scheint so vergessen wie die einst gefeierten Repräsentanten des Prager Frühlings. Auch der fand 1968, vor 40 Jahren statt.

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