Aus einer Position der Stärke

Gruss von den Jesuiten In seinem Band "Wie man Fanatiker kuriert" plädiert Amos Oz für den Kompromiss, verwickelt sich aber auch in Widersprüche

Ein Land, das sich Jahrzehnte hindurch praktisch im Kriegszustand befindet, macht auch intelligente Menschen zu Dummköpfen. Denn ein Nationalismus, der den wirklichen oder vermeintlichen Feind nur als solchen wahrnimmt, der Fehler und Verbrechen der eigenen Seite verdrängt oder gar rechtfertigt, weil es für ihn zwischen den eigenen Interessen und entgegengesetzten Interessen keine Vermittlung geben kann, ist nun einmal dumm. Burkhard Hirsch, einer der wenigen echten Liberalen in Deutschland, schrieb kürzlich in einem Leserbrief, der sich auf einen anderen Zusammenhang bezog: "Es ist eine erstaunliche Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich das als einzig richtig und gut zu erklären, was den eigenen Interessen entspricht."

Dieser Satz gilt auch für einen Großteil der israelischen Intellektuellen. Zu den Wenigen, die sich seit langem um eine differenzierte Position bemühen, die nach Ausgleich mit den Palästinensern suchen und daher bestrebt sind, auch deren Standpunkt zu begreifen, gehört der Schriftsteller Amos Oz. Die Universität Tübingen hat ihn 2002 eingeladen, im Rahmen ihrer Poetik-Dozentur drei Vorlesungen zu halten, die nun als Buch vorliegen. Zwar kündigt Oz gleich zu Beginn an, er wolle, wie es eine Poetik-Dozentur erwarten lässt, über sein Schreiben sprechen. Es verwundert freilich nicht, dass er sich weniger mit Subtilitäten der Literatur als mit brisanten politischen Fragen beschäftigt. Darauf deutet schon der Titel des Buches hin: Wie man Fanatiker kuriert.

Es ist, könnte man den Satz von Burkhard Hirsch abwandeln, eine erstaunliche Fähigkeit des menschlichen Gehirns, jene für Fanatiker zu halten, die an einer Überzeugung festhalten, welche nicht die eigene ist. Kaum je bezeichnet sich jemand selbst als Fanatiker. Fanatiker sind immer nur die Anderen. Wie kommt es, dass selbst dem verständnisvollen Amos Oz, wenn er von Fanatikern spricht, zuerst die Berge Afghanistans einfallen und nicht die Siedlungen in Westjordanland? Der 11. September, da ist sich Oz ganz sicher, "ist eine Schlacht zwischen Fanatikern, die denken, dass der Zweck, jeder Zweck, alle Mittel heiligt, und dem Rest von uns, der denkt, dass kein Zweck alle Mittel heiligt". Woher nimmt er die Überzeugung, dass jeder Zweck und nicht ein ganz bestimmter, wenn überhaupt, für Fanatiker alle Mittel heiligt? Und müsste es ihn nicht zumindest stutzig machen, dass der hier zitierte Grundsatz, den der "Rest von uns" angeblich ablehnt, nicht etwa aus der arabischen Welt stammt, sondern von den Jesuiten? Selbst wenn Oz also für die Gegenwart Recht haben sollte, so hätte diese Gegenwart eine Vorgeschichte, ohne die sie nicht zu verstehen ist.

In seiner Suche nach dem Wesen des Fanatismus gerät Oz auch in Widersprüche. Er sagt: "In den Augen der Fanatiker ist jeder ein Verräter, der sich verändert." In derselben Vorlesung aber meint er ein wenig später: "Ich denke, das Wesen des Fanatismus liegt in dem Verlangen, andere Menschen dazu zu zwingen, sich zu ändern." Wie geht das zusammen?

Fanatismus, wir bemerkten es bereits, ist stets der Fanatismus der Anderen. Wenn Amos Oz über seinen eigenen Fanatismus in der Kindheit spricht, so lässt die Selbstironie diesen verzeihlich erscheinen, zumal er ihn längst überwunden hat. Das ist nicht ohne Koketterie, wie denn Oz auch bei seinen Exkursen zur eigenen Biographie und über die Eigenheiten seines Volkes, der Juden, nicht so unsentimental ist, wie seine wiederholten Absagen an die Sentimentalität erwarten ließen.

Amos Oz bekennt sich zum Kompromiss. "Das Gegenteil von Kompromissen", sagt er, "ist nicht Integrität, und das Gegenteil von Kompromissen ist nicht Idealismus und nicht Entschlossenheit. Das Gegenteil von Kompromissen sind Fanatismus und Tod." Das klingt zunächst überzeugend. Aber ist diese Alternative nicht selbst kompromisslos? Stellt sie nicht jedem windelweichen Feigling, der Konflikten aus dem Weg geht, einen Freibrief aus? Wo - zwischen Kompromiss und Fanatismus - hätten in der Definition von Amos Oz Integrität, Idealismus und Entschlossenheit ihren Platz?

Kompromiss - das ist die Zauberformel, die Amos Oz nachdrücklich für die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts anbietet. Darin wird man ihm kaum widersprechen wollen, darin stimmt auch der palästinensische Schriftsteller Izzat Ghazzawi mit Oz überein, dessen Tübinger Vorlesung die Ausführungen seines Kollegen ergänzt. Problematisch wird es erst, wenn es darum geht, wie dieser Kompromiss konkret aussehen soll. Man muss kein Fanatiker sein, um da unterschiedliche Vorstellungen zu haben.

Man ist ja geneigt, Amos Oz angesichts vieler Hardliner zu idealisieren. In der Tat scheinen seine Ansichten vergleichsweise vernünftig. Dächten alle israelische Juden wie er, sähe die Welt schon erfreulicher aus. Aber dürfen wir, weil es Schlimmeres gibt, das Ungenügende als genügend hinnehmen? Dass es im Konflikt zwischen Juden und Palästinensern nicht Engel und Teufel gibt, heißt noch nicht, dass sich zwei gleich starke Interessensgruppen gegenüber stünden. Oz argumentiert, offenbar ohne es zu merken, stets aus der Position der Stärke. Es ist Israel, und es sind noch seine aufgeklärtesten Vertreter, die den Palästinensern die Bedingungen für Kompromisse, für einen Frieden stellen, nicht umgekehrt. "Die Palästinenser", sagt Oz, "werden Gebiete opfern müssen, die ihnen ursprünglich gehörten". Und wenn die Palästinenser das nicht wollen? Wenn sie den verfluchten Fanatismus diesem Opfer vorziehen? Wer in Gottes Namen ist Amos Oz, dass er den Palästinensern vorschreibt, was sie müssen? In dieser Formulierung unterscheidet sich die Taube nicht von den Falken. Und Palästinenser werden von der "grausamen israelischen Militärregierung" nicht nur "unterdrückt, gejagt, gedemütigt, ausgehungert und beraubt", sondern auch ermordet. Warum kommt Oz dieses Wort nicht über die Lippen? Die metaphorische Rede von Flitterwochen, Schlafzimmern und Badezimmern verniedlicht nur die wahren Verhältnisse.

Oz ist, wie die Leser seiner Romane wissen, nicht nur ein politischer Kopf, er ist auch ein begnadeter Ironiker, dem amerikanischen Juden Philip Roth nicht unähnlich, und es ist kein Zufall, dass er Humor als Medizin gegen Fanatismus empfiehlt. Die Ironie macht seine Vorlesungen zu einem literarischen, wenig akademischen Vergnügen. Dass sie auch zum Denken und zum Widerspruch anregen, bildet dazu keinen Gegensatz.

Amos Oz: Wie man Fanatiker kuriert. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, 112 S., 8,- E


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