Das neue amerikanische Jahrhundert

Realität Eine Untersuchung zur Medienberichterstattung nach dem 11. September 2001

Mit gerechtem Zorn schreibt Marie-Luise Bernreuther über die unmittelbare Vorgeschichte und die Geschichte des Afghanistan- und des zweiten Golfkriegs und deren Vermittlung durch amerikanische und deutsche Medien. Ihre Arbeit ist gleichermaßen an der politischen Realität wie an deren Verzerrung interessiert, bewegt sich also im Zwischenbereich zwischen Politik- und Medienwissenschaft. Umso erstaunlicher, dass sie auf die Untersuchungen von Noam Chomsky verzichtet, der sich wie kein anderer mit diesem Komplex auseinandergesetzt hat. Ist die deutsche Autorin vor dessen Radikalität zurückgeschreckt? Dafür spräche die rhetorische Volte, die captatio benevolentiae, mit der erwähnt wird, was "hoffentlich unnötig zu erwähnen" sei, nämlich "dass die Terroranschläge vom 11. September durch nichts gerechtfertigt werden können", mit der betont wird, was "nicht extra betont werden" muss, nämlich dass "der Nachweis machtpolitischer und keineswegs altruistischer Motive für den Irak-Krieg keine Parteinahme, geschweige denn Sympathien, für den ehemaligen irakischen Diktator" impliziere. Wer "betont", dass der Genozid an den nordamerikanischen Indianern oder der anhaltende Rassismus durch nichts zu rechtfertigen sei, wenn er gegen angeblichen Antiamerikanismus polemisiert? Was besagt es über die Unabhängigkeit von der veröffentlichten Meinung und über Machtverhältnisse, wenn man sich in einem Fall ein Unbedenklichkeitszeugnis ausstellen muss und im anderen nicht?

Voraussetzung für die Informationspolitik in den USA ist die Tatsache, "dass der US-Mediensektor heute von einigen wenigen, hocheffizienten Oligopolen dominiert wird". Die besonders reaktionäre Rolle, die Fox News dabei spielt, hat Michael Moore unlängst mit Fahrenheit 9/11 der Welt ins Bewusstsein gehoben. Bernreuther bleibt, ob sie von den USA oder von Deutschland spricht, dicht am konkreten Material. So weist sie nach, dass die Spiegel-Serie Was wirklich geschah beim Angriff auf Amerika und die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete ARD-Dokumentation Die Todespiloten "weniger die Biographien der mutmaßlichen Attentäter rekonstruieren, sondern dass sie sie vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Attentate auf eben dieses furchtbare Ereignis hin konstruieren".

Den "Trend der derzeit bevorzugten Berichterstattungsmuster", den sie mit einem Beitrag des Fernsehmagazins Fakt belegt, beschreibt Bernreuther zutreffend so: "neben der - quotensteigernden - Sensationalisierung und medialen Multiplikation aktueller Themen erfolgt eine bedenkliche Komplexitätsreduktion und Simplifizierung". Was den Beobachter der deutschen Medienlandschaft übrigens nicht verwundern dürfte: als Korrektiv zu einer vereinfachenden und gegenüber amerikanischen Quellen unkritischen Berichterstattung wird mehrfach Monitor zitiert. Es muss schon zu denken geben, wenn eine einzige 45-Minuten-Sendung alle paar Wochen fast im Alleingang realisieren musste, was in einer funktionierenden Demokratie eigentlich zu den essentiellen Aufgaben der Medien im Allgemeinen und des Fernsehens im Besonderen gehörte.

Dass eine dichte Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Einflüssen, auch auf Forschungseinrichtungen und die Medien, wenig mit "Vielfalt, Gewaltenteilung und Transparenz ... im strengen Sinne auch nicht mit Demokratie" zu tun hat, zeigt Bernreuther am Beispiel der Mitglieder des 1997 gegründeten Project for the New American Century (PNAC). Bleibt die Frage, wieso uns auch in deutschen Medien einige Amerikafundamentalisten unaufhörlich und ohne jegliche Relativierung einreden wollen, die USA seien die Heimat und der unbeirrbare Garant von Demokratie. Nicht zuletzt damit werden ja noch die amerikanischen Bomben und die von ihnen getöteten Zivilisten gerechtfertigt.

Wenn die Berichterstattung in den deutschen Medien trotz erheblicher Kritik insgesamt eine positivere Bilanz gestattet als die der US-Medien, denen immerhin - und in der Vergangenheit auch oft mit guten Gründen - attestiert wurde, dass sie unbestechlich und ein Grundpfeiler der amerikanischen Demokratie seien, so wäre durch Gegenüberstellungen zu überprüfen, in welchem Ausmaß die Medienöffentlichkeit in Krieg führenden Staaten grundsätzlich stärker korrumpiert ist als in nicht unmittelbar beteiligten Staaten. Wenn man etwa die britischen Medien während des Falklandkriegs 1982 oder die israelischen Medien während des Sechstagekriegs 1967 mit jenen der USA seit 2001 vergliche, ließe sich ergründen, was auf das Konto des George W. Bush-Regimes geht und was sich einer Gesetzmäßigkeit von beschädigter Öffentlichkeit in Zeiten des Krieges verdankt.

Es ist bedauerlich, dass die zwar reichlich mit Fußnoten versehene, aber auf unnötiges Brimborium verzichtende und gut lesbare Arbeit in einem nicht eben preiswert kalkulierenden Wissenschaftsverlag erschienen ist, der jenseits des Fachpublikums wohl kaum wahrgenommen wird. Das Thema jedenfalls verdiente ein breites öffentliches Interesse.

Marie-Luise Bernreuther: Made in USA. Realitätskonstruktionen nach dem 11. September. Peter Lang, Frankfurt am Main - New York 2004, 292 S., 42 EUR


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