Das Ohr allein vernimmt es nicht

Salzburg (3) Weiter geht es mit einem vielfältigen Programm

„Salzburg contemporary“ heißt die Konzertreihe, die in die Spuren von Markus Hinterhäusers allseits gepriesener Projekte „Zeitfluss“ und „Kontinente“ steigt. Im Mittelpunkt steht heuer Heinz Holliger – nicht als Oboist, sondern als Komponist. So konnten die Interessenten von ihm selbst dirigiert seinen zweieinhalbstündigen Scardanelli-Zyklus hören, ein anspruchsvolles Werk für Solo-Flöte, kleines Orchester und gemischten Chor (grandios: der lettische Rundfunkchor) nach Gedichten von Hölderlin. Das Stück bewegt sich fast ausschließlich im Piano- und Pianissimo-Bereich, in langsamen, getragenen Tempi, und ist ein überzeugendes Beispiel für die Bedeutung der Klanggestaltung in der zeitgenössischen Musik. Die Stimmung seiner konzentrierten Komposition lässt an die Filme Andrei Tarkowskis denken, ja ließe es gar zu, ihn als den Tarkowksi der Musik zu kennzeichnen. Das Programmheft beschreibt die komplexe, mit dem Gehör kaum identifizierbare Konstruktion der einzelnen Teile, wäre aber glaubwürdiger, wenn der Autor „Chiasmus“ nicht mit „Oxymoron“ oder „Contradictio in adiecto“ verwechselte. Das kontrastiert irgendwie mit seinem aufdringlich belehrenden Ton.

Wenn jüdische und arabische Musiker im West-Eastern Divan Orchestra zusammen spielen, dann ist das ein politisches Faktum: richtiges Leben im falschen. Die Welt wird es leider nicht verändern, aber zumindest das Bewusstsein derer, die da, über Gräben hinweg, gemeinsam Schönes schaffen. Und immerhin liefern sie ein Modell: so geht es also auch. Beethovens Symphonien werden von Daniel Barenboim weder israelisch noch arabisch dirigiert, ihre musikalische Aussage bleibt, was sie war, ob in der heiteren Pastorale, ob in der düster-dramatischen Schicksalssymphonie, und doch wird auch diese Musik politisch: durch den Kontext. Indem sie Verständnis für einander befördert zwischen Menschen, die sich anderswo sinnlos bekämpfen. Indem sie Widerstand leistet gegen Nationalismus und Hegemonie. Einfach durch ihre Existenz. Das klingt pathetisch. Beim West-Eastern Divan Orchestra wird es Realität. Die Standing Ovations unterbricht Barenboim mit der Nachricht, dass syrischen Musikern die Teilnahme an der Reise nach Salzburg verboten wurde. Das ist die andere Realität.

Vermögen und Unvermögen

Theater kann, muss aber nicht politisch sein. Wer das Politische zum Dogma macht, ist nicht weniger borniert als sein Kontrahent, der das Politische aus dem Theater verbannen möchte. Eins aber muss Theater sein, nämlich Theater. Wenn es nicht seine eigene, eben theatrale Ästhetik welcher Ausprägung auch immer entwickelt, mag es, politisch oder nicht, alles Mögliche sein, eine Deklaration, ein Appell, ein Zeitvertreib, eine Demonstration oder auch ein Discoabbild, bloß: Theater ist es dann nicht. Der szenische Verstand blieb bei Trapped der südafrikanischen Tick Tock Productions leider ebenso hinter der respektablen Absicht zurück wie Irina Brooks Peer Gynt hinter Ibsens Drama. Es erweist sich: Nicht der Gegensatz von Literaturtheater und speziell für ein Kollektiv erarbeiteten Texten ist entscheidend, sondern der Gegensatz zwischen dem Vermögen und dem Unvermögen, eine adäquate szenische Form zu finden.

Das gilt, modifiziert, auch für Jakob Michael Reinhold Lenz in der Fassung von Cornelia Rainer und Sibylle Dudek. Sie interessiert die Herstellung von mehr oder weniger statischen Filmbildern. Dramaturgisch folgt diese Auftragsproduktion einem bebilderten Schulfunk.

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