Philip Roth hat längst auch in Deutschland eine Fangemeinde. Mit dem ohnedies lächerlichen Skandal um sein Buch Portnoys Beschwerden hat das nichts zu tun. Vielmehr fesselt der Amerikaner durch die schwierige Synthese von spannender Story und moderner Erzähltechnik, von originellem Einfall und kritischer Zeitgenossenschaft, von Ironie und Nachdenklichkeit, von - auch in der deutschen Übersetzung bewahrter - Spracherotik und dem Beharren auf literarisch umgesetztem Problembewusstsein. Die Kammerdienerperspektive, die nach Autobiographischem fahndet (und davor wird gerade der jüngste Roman nicht verschont bleiben), führt dabei eher in die Irre. Für eine genussvolle Lektüre ist es absolut unbedeutend, wie Roth es mit der Sexualität hält oder wie er seine Frau behandelt. Hingegen scheint das Urbane, das Roths Romane kennzeichnet, wie auch die in mancher Hinsicht vergleichbaren Filme Woody Allens, ein Element, das für seine Leser entscheidend ist. Inmitten einer Zeit, die vielfach eine Idyllik predigt, die die Wirklichkeit nicht einzulösen vermag, kann Roth das Wort "Idyll" (oder, im Original, "Pastorale") wie in seinem vorausgegangenen Roman allenfalls ironisch verwenden.
Philip Roths neuer Roman beginnt, doppelt gebrochen, mit der Geschichte einer Verfolgung zur Zeit McCarthys. Bekannte Namen, unter die fiktiven gemischt, erhöhen den Eindruck der Authentizität. Plastische Details führen ein Milieu und psychische Strukturen vor Augen und verleihen bereits dieser Exposition einen Sog, der hineinzerrt in den wiederum recht umfangreichen Roman. Aber wir hätten es nicht mit Philip Roth zu tun, wenn es damit sein Bewenden hätte. Wie so oft schleicht sich der Autor auf einem Umweg an sein Hauptthema heran, das freilich mit dem einleitenden Thema in einem engen Verhältnis steht.
Das Spiel mit unterschiedlichen Perspektiven genießt Roth auch in diesem Roman. Die zentrale Figur, ein aus einfachen Verhältnissen stammender Radiostar, der eines Tages entdeckt hatte, dass er - ein typisch Rothscher Einfall - Abraham Lincoln imitieren könne, und in der Gegenwart der Erzählung lange tot, charakterisiert sich selbst in langen Redepassagen aus der Vergangenheit; sein Bruder, hochbetagt, spricht zu dem Erzähler über ihn; und dieser Erzähler, eine Generation jünger und - Roth-Leser, aufgepaßt! - ein Zuckerman, hat seine eigenen Erinnerungen an ihn. Diese Perspektiven bilden ein Geflecht, das, wie ein kubistisches Bild, Ergänzungen und Korrekturen bereithält. Anstelle eines auktorialen Erzählers: drei Subjektivitäten, über deren Zuverlässigkeit - wiederum typisch für Roth - der Leser zu entscheiden hat.
Der erfolgreiche Lincoln-Imitator also - hier sind wir beim Hauptthema angelangt - heiratet einen glamourösen englisch-jüdischen Stummfilmstar. Wie sich nun diese Ehe entwickelt, wie nach und nach Konflikte den Alltag bestimmen, das lässt Roth so präzise, so detailgenau, so ungeschönt vor den Augen des Lesers entstehen, dass es um keine Zeile zu lang erscheint. Denn dies ist weit mehr als eine erneute Beschwörung der Ehehölle, dies ist kein neuer Strindberg. Albee oder Norén in Romanform. Was dieses Buch auszeichnet, ist der Umstand, dass in jedem Streitpunkt der Eheleute Welt erkennbar wird, die Monstrosität von Widersprüchen, die sich nicht oder nur qualvoll auflösen lassen. Dies ist keine Studie eines hysterischen Paars, sondern eines Paars, in dem einige der entscheidenden Probleme unseres Jahrhunderts sich in scheinbar hysterischen Ausbrüchen explosiv entladen. Wir verstehen jetzt: Wie man sich zum McCarthyismus verhält, ist hier weit mehr als ein historisches Aperçu. Es geht um Redlichkeit, um Treue zu sich selbst, kurz: um die alte philosophische Frage, wie man zu leben habe.
Zum Knall kommt es wegen der Tochter der Schauspielerin aus einer früheren Ehe, einer Harfenistin namens Sylphid. "Iras utopischer Traum hieß Kommunismus, der von Eve hieß Sylphid. Die Utopie der Mutter vom perfekten Kind, die Utopie der Schauspielerin vom Als-ob, die Utopie der Jüdin vom Kein-Jude-Sein, um nur die hochtrabendsten ihrer Pläne zu nennen, das Leben zu parfümieren und schmackhaft zu machen." (Das ist die Perspektive von Iras Bruder!) Im Loyalitätskonflikt - und Loyalität und Verrat sind weitere Kategorien, um die es in unterschiedlicher Verkleidung geht - entscheidet sich Eve für die Tochter und gegen ihren Mann. Dieser aber wird keineswegs idealisiert. Ein Widerspruch, der sich ebenfalls durch den ganzen Roman zieht, ist der zwischen Iras Mut gegenüber Kommunistenfressern und seiner blinden Gläubigkeit in Bezug auf den Kommunismus. Der sarkastischste Satz zeigt ihn, wiederum aus der Sicht seines Bruders, in der Situation einer "Massage": "Der lebenslange Kampf um die volle Verwirklichung seiner politischen, bürgerlichen und Menschenrechte hatte sein Ziel darin gefunden, dass er sich, für Geld, auf den Goldzahn dieser fünfzigjährigen Estin ergoss, während unter ihnen Eve im Wohnzimmer saß und dem Harfenspiel Sylphids lauschte." Nirgends kommt Philip Roth dem in mancherlei Hinsicht verwandten frühen Milan Kundera näher als in diesem Satz.
Und dann, ziemlich genau vor dem letzten Viertel des Romans, erscheint unter Eves Namen, was Franz Schuh einmal "Racheliteratur" genannt hat. Analog zu René Clairs Film I Married a Witch (deutsch: Meine Frau, die Hexe) betitelt sie das Buch I Married a Communist - und so heißt auch der vorliegende Roman, der Lenins Lieblingslied Dubinuschka als Motto trägt und überhaupt gern mit literarischen Zitaten und Anspielungen hantiert.
Auch in diesem Roman gibt es zahlreiche Abschweifungen, die teils anekdotischen, teils humoristischen Charakter haben und oft wie eigenständige, nur mit lockerer Verbindung zum Hauptstrang eingebettete Geschichten wirken. Wiederum begegnet man - und hier drängt sich die Assoziation mit Woody Allen unabweisbar auf - selbstironischen Darstellungen jüdischer Idiosynkrasien, wobei der Ton der Darstellungen selbst und insbesondere der Dialoge an jüdische Witze erinnert. Überhaupt ist dieser Roman, bei aller Ernsthaftigkeit in seiner Substanz, wieder ironischer und pointierter als das erst vor einem Jahr erschienene Amerikanische Idyll, mit dem es motivlich durchaus Berührungspunkte gibt.
Unterhaltungsliteratur freilich kann man dies nur nennen, wenn man den Begriff ungebührlich ausdehnt. Die Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität, die Philip Roths Werk durchzieht, ist ihm bei aller Ironie offensichtlich wichtig, lässt ihn nicht los. Auch zum Kommunismus hat er sich schon früher geäußerst, noch nie aber so differenziert und abwägend wie hier. Es fällt auf, dass das zu einer Zeit passiert, da uns aus den USA eine ganze Reihe von Büchern erreicht, die dieses Thema aufgreifen. Ironie der Geschichte (oder eigentlich sehr logisch): Just in dem Augenblick, da der Kommunismus nach allgemeinem Konsens als gescheitert und für alle Zeiten überwunden gilt, kommen von dort, wo er die geringste Rolle gespielt hat, aus den Vereinigten Staaten, neue Ansätze zur philosophischen und belletristischen Reflexion darüber, was es bedeuten mag, Kommunist zu sein.
Philip Roth: Mein Mann, der Kommunist. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser, München/Wien 1999, 376 Seiten, 45,- DM
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