Ein Deutscher in Südtirol

Latente Aggressionen Der Romanautor Andreas Maier und seine Bücher "Wäldchestag" und "Klausen"

Ein Ton von weither weht aus diesen Zeilen, mit denen Andreas Maiers Roman Klausen beginnt. Ein Gespräch in einer Gastwirtschaft im Südtiroler Feldthurns wird ruhig und fast behäbig in indirekter Rede wiedergegeben. Inmitten schriller Expositionen, naturalistischer Dialoge im neudeutschen Jargon, einer sich verselbständigenden Aufgeregtheit wird hier, unter Rückgriff auf Stilmittel des neunzehnten Jahrhunderts, eine Kunstwelt erschaffen und der Leser zu ruhigem Atem, zu jener Geduld genötigt, die die Aufnahme eines Textes zu einem bewussten und damit zu einem vergnüglichen Vorgang macht. Weil aber Anstrengung, einst eine Tugend, heute als Drohung gilt, die vom Lesen abhält, sei versichert: anstrengend ist die Lektüre von Anfang an keineswegs. Das geht fast absatzlos über mehr als 200 Seiten im zu Beginn angeschlagenen Tempo weiter. Der Erzählfluss bedarf keiner Unterbrechung. Die Wendungen und Überraschungen der Fabel vollziehen sich im Gleichmaß der Textkonstruktion. Wo andere durch syntaktisches Stakkato oder Interjektionen Spannung eher suggerieren als erzeugen, vertraut Andreas Maier auf die Dynamik des Sujets.

Ähnlich wie in Thomas Bernhards Kalkwerk wird die Geschichte eines Mannes, hier des "fleißigen Nichtsnutz" Josef Gasser, aus einander ergänzenden oder auch widersprechenden Aussagen rekonstruiert. Anders aber als Bernhard wechselt Maier zunächst fast unmerklich von der Außensicht zur Innensicht seines Protagonisten, eines Schwierigen, dessen Züge für den Leser nach und nach erkennbar werden. Mehr und mehr wird dieser Außenseiter umgeben von Figuren, die, jede auf ihre Art, pittoresk, karikiert, auch erbärmlich erscheinen. Die lockere Handlung wird über Seiten hinweg verzögert durch satirische Szenen, etwa eines Kneipendisputs über Philosophie und Kunst oder einer Gemeinderatssitzung. In diesen Szenen verzichtet Maier auch nicht auf einschlägige kabarettistische oder filmkomödienhafte Klischees, die jedoch durch die sprachliche Gestaltung dem Vertrauten neuen Witz abgewinnen.

Andreas Maier, der Deutsche, der in Südtirol lebt, lokalisiert seinen Roman durchaus realistisch in jenem Klausen, das ihm den Titel verleiht, macht den Ort an der Autobahn aber unaufdringlich zu einem Modell, das über Südtirol hinaus Geltung beanspruchen darf. Ein weiterer Beleg dafür, dass regionale und kosmopolitische Literatur kein Gegensatz, sondern in einem Werk vereinbar sind. Die einzelnen Charaktere, ihre Obsessionen und Sprechweisen, die gruppendynamischen Prozesse, an denen sie sich beteiligen - all dies ergibt, wiederum konkret im Detail, ein allgemeines Bild einer Gesellschaft, ihrer Mechanismen und ihrer Abgründe. Maier versteht es, das Unheimliche, die latente Aggressivität innerhalb eines Kollektivs erahnen zu lassen, ehe sie manifest wird. Er macht das beschreibend, pseudodokumentarisch, ganz ohne eine moralisierende Instanz. Auch das unterscheidet ihn von Thomas Bernhard, der an einigen Stellen durch Stichwörter herbeizitiert wird: dass der Erzähler einen protokollarischen Stil vorzieht, wo bei Bernhard eine Dauererregung herrscht.

Es gibt in dem Roman einen Satz, den man, wenn man will, als Schlüssel zu Andreas Maiers Poetik begreifen kann: "Die Erklärung des Menschen wird dadurch, nämlich durch die Psychologie, jederzeit verfügbar (und verblüffend einfach, daher auch so verlockend), und der Sprecher merkt nicht, daß er ausschließlich immer nur von sich und seinen eigenen Theorien spricht, die er in die Welt und den Menschen hineinkonstruiert, nicht aber vom Objekt, das er anschaut (den Menschen, etwa Gasser)." Anstatt eigene Theorien in die Welt und den Menschen hineinzukonstruieren, schaut Maier in einer Tradition, die von Ödön von Horváth herkommt, seine Objekte scheinbar an. Scheinbar, weil es sich ja um fiktive Objekte, also um Konstrukte handelt, die aber analog zur unpsychologischen Anschauung realer Objekte beschrieben werden.

Klausen ist Andreas Maiers zweiter Roman. Wohlwollende Beachtung erfuhr der jetzt 35-jährige Autor bereits vor zwei Jahren, als sein Debütroman Wäldchestag erschienen war und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Dass sein Name dennoch, selbst in literarisch interessierten Kreisen, eher ein Geheimtipp blieb, wirft - mit Blick auf die Rezeption des letzten Romans von Martin Walser - ein bezeichnendes Licht auf jenen Kulturbetrieb, den gerade Walser kritisiert und von dem er zugleich profitiert, und in dem nur noch das Spektakel, nicht mehr die literarische Qualität zu zählen scheint. Wer die Literatur liebt, kann über solch eine Verzerrung der Maßstäbe nur zürnen. Und eine Besserung ist nicht in Sicht. Walser und Maier erscheinen im selben Verlag. Er verdankt seinen Ruf eigentlich der Qualität seines Programms, nicht der Ausbeute öffentlichen Radaus. Aber auch dieser Verlag macht sein Geschäft mit der verschlüsselten Aufwertung eines mittelmäßigen Kritikers, mit der Inszenierung eines Skandals durch erfahrene Medienzampanos um einen Roman, der von der Inszenierung des eigenen Todes durch einen wirkungsbewussten Medienzampano handelt, nicht mit den stillen Romanen eines Andreas Maier. Ein Jammer.

Bereits in Wäldchestag trifft man jene Verfahren an, die Andreas Maier auch in Klausen angewandt hat, einschließlich der allmählich auf eine Schlusspointe hinlaufenden Struktur. Bereits hier wird exzessiv von der indirekten Rede Gebrauch gemacht. Aber der zweite Roman ist dichter. Bei einer vergleichbaren Komplexität benötigt er hundert Seiten weniger als das Debüt. Die Figur des Gasser ist im ersten Roman in der Figur Adomeits vorgeformt, von der ein gewisser Schossau sagt: "Der Adomeit sei immer allein, habe man ihm damals erzählt, er habe es sich mit allen verdorben, ein schwieriger Mensch, von dem man besser seine Finger lasse, habe es damals geheißen." Der Provinzialismus einer Gemeinschaft, die sich von Gerüchten und Tratsch ernährt, stets bereit, das Andersartige auszugrenzen und latente Aggressionen ausbrechen zu lassen, gleicht in der Wetterau, in der Wäldchestag spielt, dem Provinzialismus von Klausen. Hat Andreas Maier also bloß sein privates Universum an einem zweiten Orten auferstehen lassen? Wohl kaum. Vielmehr hat er einen sozialen Zustand zu seinem Thema gemacht, der universell, zumindest gesamteuropäisch zu sein scheint. In Südtirol wie in der Wetterau entdeckt Maier und mit ihm sein Leser eine geschwätzige Dumpfheit, die - und das macht den Reiz dieser Romane aus - nicht explizit denunziert, sondern in ihrer gefährlichen Unheimlichkeit spürbar gemacht wird.

Andreas Maiers Botschaft, wenn es denn eine ist, kommt zwischen den Zeilen daher. Das macht: er schreibt keine Leitartikel. Er ist einer der bedeutenden Romanciers seiner Generation.

Andreas Maier: Klausen. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, 215 S., 18 EUR


Andreas Maier: Wäldchestag. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000, 315 S., 20,80 EUR

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