Freund der Schauspieler

Nachruf Peter Zadek war eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Theater der bundesrepublikanischen Jahre. Am 30. Juli ist der große Schauspielerregisseur 83-jährig gestorben

Peter Zadek war das enfant terrible des deutschen Theaters und der primus inter pares in der Gilde jener Regisseure, die diesem Theater im vergangenen halben Jahrhundert zu internationalem Ansehen verholfen haben. Elf Jahre älter als Peter Stein und Claus Peymann, aber zwölf Jahre jünger als George Tabori (dies sind die Namen, die man ohne Gefahr der Lächerlichkeit neben Peter Zadek nennen darf), steht er unter den großen Theaterleuten ziemlich einsam für jene Generation, die erwachsen geworden war, als der Krieg zuende ging.

Diese Markierung war für Peter Zadek und sein Denken von besonderer Bedeutung: Noch als Kind musste der 1926 in Berlin Geborene mit seinen Eltern Deutschland verlassen, weil er Jude war. Die Jugendjahre in England haben Peter Zadek geprägt. Seine Sprechmelodie und Vokalfärbung behielten über all die Jahre, die seit seiner Rückkehr nach Deutschland vergangen waren, die Erinnerung an das Englische bei. Das Boulevardtheater des Londoner Westends war für Zadek nicht das Feindbild. So gescheit und durchdacht die meisten seiner Inszenierungen waren – blutleer waren sie nie. Zadek wollte auf der Bühne nicht Ideen visualisieren, sondern saftiges, sinnliches Theater liefern, das selbst bei Texten von Shakespeare oder Tschechow auf Spaß im weitesten Sinn nicht verzichtet. Auch dies war englisch an ihm: ein unverkennbarer Zug zum Pragmatischen, eine Neigung zum common sense, die unter anderem eine Distanz zur Revolte von 1968 begründete, deren Auswirkungen auf kulturellem Gebiet Zadek durchaus zu schätzen wusste.

Ein paar Meilensteine aus Zadeks Karriere seien genannt: Frühlings Erwachen und Maß für Maß am Bremer Theater, wo Zadek in den sechziger Jahren zeitgleich mit Peter Stein seine ersten großen Erfolge feiern konnte. Die Revue Kleiner Mann, was nun? nach Hans Fallada in Bochum. Othello im Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Dann, 1983, überraschend zurückgenommen und texttreu, Baumeister Solness am Münchner Residenztheater.

Mit Joshua Sobols Ghetto verstieß Zadek gegen den eingebürgerten antifaschistischen Code, in seinem dritten Kaufmann von Venedig am Burgtheater verwirrte er durch Gert Voss als ganz und gar unjüdischen Shylock. 1988 folgte eine turbulente Lulu in Hamburg, ehe Zadek erneut mit seinen reduktionistischen Tschechow-Inszenierungen frappierte, allen voran dem Iwanow am Akademietheater, dessen Frontalarrangement mittlerweile mehrfach kopiert wurde. Mit Sarah Kanes Gesäubert an den Hamburger Kammerspielen kehrte Zadek zu seiner britischen Nostalgie zurück, mit Rosmersholm in Wien zu Ibsen.

Was macht einen wirklich großen Schauspieler aus? Vielleicht dies: Dass er, selbst wenn er tragisch zu sein scheint, in seinem Spiel Brüche und sogar eine Ahnung von Komik erkennen lässt. Oder weniger freundlich formuliert: einen Anflug von Wahnsinn. Zadek hatte ein Gespür für Schauspieler dieses Typs. Wie ja überhaupt gerade jene Regisseure, die als Exponenten des nachdrücklichen Regietheaters gelten, leidenschaftliche Verehrer ihrer Darsteller waren, wohl wissend, dass auch die beste und originellste Regie erst in der Verkörperung durch große Schauspieler zu sich kommt. Mit Peter Zadek sind unauflösbar die Namen solcher Ausnahmeschauspieler verknüpft wie Rosel Zech, Eva Mattes, Angela Winkler, Barbara Sukowa, Susanne Lothar, Hermann Lause, Gert Voss, Ulrich Tukur, Josef Bierbichler, Ulrich Mühe, Paulus Manker und allen voran der unvergessene Ulrich Wildgruber. Joachim Meyerhoff zitierte in einem Interview: „Peter Zadek hat gesagt, da, wo bei einem Schauspieler die Peinlichkeit anfängt, wird es erst interessant. Ich würde sagen: Nichts ist schlimmer als ein Schauspieler, dem nichts peinlich ist.“

Nach seiner letzten Inszenierung im Februar dieses Jahres, George Bernard Shaws Major Barbara am Schauspielhaus Zürich, nahm Peter Zadek die Huldigung des Ensembles und des Publikums schon deutlich geschwächt, am Stock auf die Bühne humpelnd, entgegen. Jetzt ist er seinem langjährigen Leiden erlegen. Gegenüber der Peinlichkeit des Todes musste auch Peter Zadek schließlich klein beigeben.

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