Gewaltsamer Tod und ewiges Leben

Salzburger Festspiele Zweimal große Oper: Peter Stein inszeniert Verdis "Macbeth" und Christoph Marthaler richtet Leoš Janáčeks "Die Sache Makropulos" in einem Gerichtssaal ein

Für seinen Macbeth benötigte Giuseppe Verdi Chöre. Also machte er aus Shakespeares drei Hexen drei kleine Chöre. Der theatererfahrene Regisseur Peter Stein weiß, wie lächerlich ein halber Hexenkongress auf der Bühne aussieht, der um einen Kessel kreist. Also lässt er drei weiß gekleidete und geschminkte Schauspieler im grellen Licht als Hexen agieren, während ein Chor sturmbewegter Bäume im Halbdunkel deren Part singt. Verdi wollte uns nicht mitteilen, dass es von Hexen nur so wimmelt, und Peter Stein wollte nicht dessen Komposition korrigieren. Die Gesetzmäßigkeiten der Gattungen sind für Entscheidungen echter Künstler bedeutender, als es interpretationswütige Kritiker oft wahrhaben wollen.

Leoš Janáček hat bei seiner Bearbeitung von Karel Čapeks Theaterstück Die Sache Makropulos die Diskussion über die ethische Dimension einer denkbaren Lebensverlängerung eliminiert – wohl nicht, weil er sie für uninteressant hielt, sondern weil er wusste, dass diffizile Debatten für die Oper ungeeignet sind. Der Regisseur Christoph Marthaler holt sie, als Vorspiel ohne Musik, in seine Inszenierung zurück. Wer entscheidet, wer zu den Auserwählten gehören soll, denen ewige Jugend gewährt wird? Ein Spezialist für Langlebigkeit, anzutreffen auf der DVD Mensch 2.0, kennt die Antwort: Die Verlängerung des Lebens von Sozialhilfeempfängern lohne sich nicht, weil sie für die Gesellschaft nicht von Nutzen seien. Sein eigenes Leben aber und das von Menschen, die etwas zu leisten vermögen, sollte verlängert werden.

Peter Stein und Christoph Marthaler machen, jeder in seiner spezifischen Handschrift, große Oper, weil sie, vom Sprechtheater geprägt, aber mit subtilen Musikkenntnissen ausgestattet, dem Medium geben, wonach es verlangt. Peter Stein hat sich für ein Kostümtheater entschieden, das nur jenen altmodisch erscheint, die auf der Bühne eine für den letzten Trottel verständliche Aktualisierung erwarten. Als könnte nicht jeder in der Figur eines Königs den republikanischen Potentaten, in der Bereitschaft, Macht durch Verbrechen zu erlangen, und gegenwärtige Herrschaftsmechanismen erkennen.

Im Gerichtssaal

Die Herausforderung der Felsenreitschule mit ihrer Panoramabühne hat Stein jedenfalls bewältigt, wenn er den Massenchoreografien für Chor und Statisten Szenen gegenüberstellt, die – etwa wenn Duncans Leiche aus dem angedeuteten Tor von Macbeths Burg auf die Vorderbühne getragen wird – an das antike Theater, aber auch, mit ihren der Oper angemessenen großen Gesten, an den Stummfilm erinnern.

Dass Peter Stein wie kaum ein Zweiter mit Chören umzugehen versteht, wissen wir spätestens seit seiner Orestie von 1980. Marthalers Stärke sind die stilisierten Tableaus und die oft skurrilen Aktionen einzelner Figuren. So spickt er seinen Janáček mit repetitiven stummen Szenen am Rande. Im Zentrum aber begeistert, sängerisch wie schauspielerisch, die großartige Angela Denoke, die schon als Katja Kabanowa in dieser Umgebung fasziniert hat. Anna Viebrock steuert einen Gerichtssaal als Einheitsbühnenbild bei. Mit Esa-Pekka Salonen haben die Wiener Philharmoniker für Janáčeks Meisterwerk einen ebenso adäquaten Dirigenten wie mit Riccardo Muti für Verdi.

Denn auch das ist eine beglückende Erfahrung, die den Verfechtern der einen Wahrheit Paroli bietet: Es bestehen sehr verschiedene Möglichkeiten, Opern zu komponieren, zu dirigieren, zu inszenieren. Die Gesetzmäßigkeiten ändern sich. Aber es gibt sie.

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