Gott erhalte uns den Kommunismus

Buchkritik Eine kleine Perle aus der Friedenauer Presse: Wie Karl Kraus sich vor Rosa Luxemburg verneigt und eine Adelige aus Tirol verspottet

Karl Kraus gehört nicht nur zu den am meisten bewunderten, sondern auch am liebsten kopierten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Dabei macht er es seinen Fans nicht leicht, denn er entzieht sich den üblichen Kategorien. Unerbittlich in seiner Sprachkritik, präzise wie kein Zweiter in der Wahrnehmung falscher Töne und ideologischer Blindgänger, hat er gelegentlich Ansichten vertreten, die anders als reaktionär zu bezeichnen schwer fällt. Für die Linke lässt sich Karl Kraus nicht in Anspruch nehmen. Für eine dumpfe Gegenaufklärung erst recht nicht. Wer sich auf Karl Kraus einlässt, muss Widersprüche aushalten.

Worum geht es in der nur 32 Seiten schmalen Broschur, die uns die Friedenauer Presse in gewohnt schöner Aufmachung vorlegt? 1920 und in der Folge mehrfach bis ins Jahr 1928 las Karl Kraus in seinen legendären Vorlesungen einen Brief vor, den Rosa Luxemburg 1917 aus dem Gefängnis an Sophie Liebknecht geschrieben hatte, für sich genommen schon ein Meisterwerk der Briefkunst und ein eindrucksvolles Zeugnis für seine intelligente, sensible und humane Verfasserin, für die Einheit von Zuwendung zur leidenden Kreatur und revolutionärem Handeln. Nachdem Kraus in seiner Zeitschrift, der Fackel, über die Reaktionen auf diese Lesungen berichtet hatte, schrieb ihm eine Ida von Lill-Rastern von Lilienbach aus Innsbruck anonym (!) einen widerwärtigen Brief, der Rosa Luxemburg verhöhnt und die Fratze der österreichischen Reaktion zur Schau stellt. Kraus wiederum hat auf diesen Brief in seinen Vorlesungen und in der Fackel geantwortet. Alle drei Schreiben sind nun in dieser außerordentlichen Publikation zusammengefasst.

Und siehe da – was 1920 aktuell war, ist es heute, fast neunzig Jahre später, erst recht. Über den Kommunismus schreibt Karl Kraus als Erbe Heinrich Heines nur drei Jahre nach der Oktoberrevolution: "Der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen und alle andern zu deren Bewahrung und mit dem Trost, dass das Leben der Güter höchstes nicht sei, an die Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben möchten. Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde, damit die Gesellschaft der ausschließlich Genussberechtigten, die da glaubt, dass die ihr botmäßige Menschheit genug der Liebe habe, wenn sie von ihnen die Syphilis bekommt, wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bette gehe!"

Adieu Polemik

Karl Kraus bedient sich in seiner Antwort auf die adelige Dame aus Tirol seiner bekannten Methode der Umkodierung von Zitaten, der satirischen Enthüllung ihrer zweiten, eigentlich eigentlichen Bedeutung. Wo "Frau v. X-Y", um Rosa Luxemburg der Sentimentalität zu überführen, "unsere Feldgrauen" aufruft, die wilde Büffel "stracks" zu Lasttieren zähmen, bekennt Karl Kraus: "Aber so ungerecht bin ich doch, dass ich zum Beispiel Damen, die noch heute ‚unsere Feldgrauen’ sagen, verurteilen würde, den Abort einer Kaserne zu putzen und hierauf ‚stracks’ den Adel abzulegen, von dem sie sich noch immer, und wär’s auch nur in anonymen Besudelungen einer Toten, nicht trennen können."

Nach dem Zweiten Weltkrieg, zu dessen Vorbereitung Menschen vom Schlag einer Lill-Rastern von Lilienbach wesentlich beigetragen haben und dessen Schrecken Karl Kraus wie Wenige vorweggeahnt hat, unterschied man in Österreich gerne zwischen den Experimenten etwa der Wiener Gruppe und einer erzählenden Literatur meist konservativen Zuschnitts. Dass kein Gegensatz bestehen muss zwischen Sprachkunst und dichtester Mitteilung, zwischen Formulierungsanstrengung und Engagement, beweist dieses Juwel aus dem umfangreichen Werk von Karl Kraus.

Heute gibt es derlei nicht mehr. Nicht nur, weil es kaum noch Autoren gibt, die sich in der Beherrschung der deutschen Sprache mit Karl Kraus messen könnten. Sondern mehr noch wegen eines konformistischen Verbots der "Polemik" in den Medien, wegen des Verlusts einer bis zur Beleidigung reichenden Angriffslust, wo deren Objekt nichts anderes verdient als Verachtung, Hohn und verbale Vernichtung. (Dass Kraus sogar physische Bestrafung in Betracht zieht, reagiert lediglich auf Vorgaben der Gegnerin und verdankt sich einem heiligen Zorn, den nachzuempfinden nicht schwer fällt.)


Postskriptum

Als Juror der ORF-Bestenliste habe ich diese Veröffentlichung drei Monate in Folge ganz oben auf meine Stimmabgabe gesetzt. Kein einziger anderer Juror wollte diesen Vorschlag aufnehmen. Die Kollegen halten Sloterdijk, Melitta Breznik oder Karl-Markus Gauß, aus welchen Gründen auch immer, für "besser" als Kraus und Luxemburg. Wie soll man sich da verständigen? "Schmach und Schande jeder Republik", schreibt Karl Kraus in der Fackel, "die dieses im deutschen Sprachbereich einzigartige Dokument von Menschlichkeit und Dichtung nicht allem Fibel- und Gelbkreuzchristentum zum Trotz zwischen Goethe und Claudius in ihre Schulbücher aufnimmt". Goethe und Claudius? Auf der Bestenliste des ORF hat es nicht einmal zwischen Sloterdijk und Breznik Platz. Schmach und Schande.

Auch die österreichische Tageszeitung Der Standard hat das "literarische Fundstück" entdeckt. Flugs macht sie aus Karl Liebknecht einen Kurt Liebknecht und aus dem Untertitel der Publikation deren Titel. Es kommt ja nicht drauf an. In Wiens Zeitungen schreiben eben nicht die Nachfolger von Karl Kraus, sondern die Nachfolger derer, die er mit seinen "ätzenden Philippiken" (Der Standard) bloßstellte.

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Friedrich Pfäfflin. Friedenauer Presse, Berlin 2009, 32 S., 9,50

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