Die in Goethes Faust durch Gretchen gestellte Frage, wie man es mit der Religion halte, hat in Deutschland und sogar in Österreich mit großer Verspätung an Bedeutung verloren. An ihre Stelle ist die Frage getreten, wie man es mit Europa halte. Und die zulässige Antwort ist in ähnlicher Weise vorgezeichnet wie jene auf Gretchens Inquisition. Mit einer Wucht, die an Nötigung grenzt, hat sich von links bis weit rechts der Konsens durchgesetzt, dass das europäische Projekt ein Werk göttlicher Vernunft und seine Ablehnung des Teufels sei. Das Stigma der „Europafeindlichkeit“ hat die gleiche einschüchternde Wirkung wie der Vorwurf der „US-Feindlichkeit“ seitens der Neoliberalen oder die Beschuldigung der „Sowjetfeindlichkeit“ einst seitens der Kommunisten.
Die Kritik an der Europakonzeption erledigt sich für viele deutsche Linke mit dem Hinweis, dass sie zum Kernbestand der äußersten Rechten gehöre. Nun kann man etwas aus sehr unterschiedlichen, ja entgegengesetzten Gründen für falsch oder richtig halten. Auf alle Fälle zurückweisen muss man den Tadel, wenn er von Leuten kommt, die sich durch die Putin-Schwärmerei der Rechtsextremen nicht davon abhalten lassen, Putins Politik zu verteidigen. Was sie für sich beanspruchen, müssen sie anderen zugestehen, wenn sie sich nicht dem begründeten Verdacht der Doppelzüngigkeit aussetzen wollen.
Lektionen der Geschichte
Vieles spricht dafür, dass territorial größere Staaten oder Staatenbünde der Wirtschaft förderlich sind. Der Deutsche Zollverein und das Deutsche Kaiserreich geben dafür starke historische Belege ab. Dass sie auch politisch einen Fortschritt bedeutet haben, ist schon nicht mehr so offensichtlich. Und dass sie kriegerische Konflikte beseitigt hätten, erst recht nicht. Die haben sich lediglich verschoben. Weniger katastrophal wurden sie nicht.
Als das Habsburgerreich 1918 auseinanderfiel, herrschte weitgehend Übereinstimmung, dass das kleine Restösterreich ökonomisch nicht überlebensfähig sei. Alle politischen Parteien, die KP Österreichs inbegriffen, befürworteten, dass Deutschösterreich sich an Deutschland anschließen solle. Dieses Begehren wurde durch die Alliierten verhindert, es schwelte aber weiter. Schließlich gab es weiterhin gute Argumente für die Einbindung in einen größeren Wirtschaftsraum, wenngleich die Beweggründe der einzelnen politischen Parteien und Interessengruppen divergent waren.
Spätestens mit Adolf Hitlers „Machtergreifung“ 1933 bekam der Gedanke eine völlig neue Bedeutung. Dass Karl Renner, auf den sich die österreichischen Sozialdemokraten bis heute berufen, ebenso wie der Kardinal Innitzer noch 1938 für den „Anschluss“ plädierte, als hätte sich seit 1918 nichts geändert, ist der Sündenfall. Nicht mit der Weimarer Republik sollte sich Österreich nun vereinigen, sondern mit dem Dritten Reich, in dem längst Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte und politische Gegner in Konzentrationslager deportiert wurden und wo man sich erkennbar für einen Zweiten Weltkrieg rüstete.
Natürlich ist die EU Welten von NS-Deutschland entfernt. Aber lässt sich trotzdem daraus etwas für die Gegenwart lernen? Dass ein vereintes Europa kein Wert an sich ist, dass die Einschränkung oder gar Aufgabe der Souveränität von Einzelstaaten kein Selbstzweck sein darf, sondern abhängen muss von den politischen Gegebenheiten, gegen die der vorausgegangene Zustand eingetauscht werden soll.
Wenn die EU Ungarn oder Polen wegen ihrer demokratiefeindlichen Maßnahmen und Gesetze nicht in die Schranken zu verweisen vermag, so liegt das weniger an mangelnden Kompetenzen als an der Tatsache, dass die konservative Mehrheit im EU-Parlament zu einem überwiegenden Teil mit diesen Maßnahmen sympathisiert, sofern sie sich nicht direkt gegen europäische Institutionen richten. Wenn also Einzelstaaten, die vernünftigere und gerechtere Gesetze und Regelungen haben – und es geht nicht nur um die Krümmung von Gurken –, sich den Bestimmungen der Europäischen Union unterordnen müssen, dann sollte das für Linke kein Gewinn, sondern ein Verlust sein. Wenn diese Staaten gegen die partikularen Interessen der Großkonzerne und Banken effektiver Widerstand leisten als die europäischen Behörden, dann sollten Linke ihre mechanistische Dichotomie von Europäern und Nationalisten in Frage stellen.
Die im April von der EU beschlossene Richtlinie zum „Schutz von Geschäftsgeheimnissen“ beispielsweise bedeutet gegenüber den Gesetzen der einzelnen Mitgliedsstaaten einen Rückschritt und eine Bedrohung der Meinungs- und Pressefreiheit. Eine „andere EU“ aber ist, wie die Dinge und die Machtverhältnisse derzeit liegen, weniger realistisch als keine EU. Was ist bloß in den gescheiten Gregor Gysi gefahren, dass er für diese „andere EU“ ausgerechnet auf die Konzerne hofft?
Da sollte man doch lieber auf Michael Scharang hören, der dieser Tage schrieb, die Europäische Union sei „von Anfang an ein Projekt des europäischen Großkapitals“ gewesen. Wo sind die Anzeichen, dass sich daran etwas geändert hat?
Oder ist die Preisgabe von sozialen und demokratischen Errungenschaften der Preis, den wir für eine Sicherung des Friedens bezahlen müssen? Auf Grund welcher Erfahrungen kommen linke Apologeten des vereinten Europas zu der Überzeugung, dass die Beseitigung von Zollschranken und Passkontrollen oder eine Gemeinschaftswährung den Frieden sichere oder sogar garantiere? Wenn diese Behauptung aber zuträfe – was rechtfertigt dann die Beschränkung der Vereinigung auf Europa oder vielmehr: einen Teil Europas? Bedeutet sie nicht eine Verlagerung der Konflikte zwischen den Nationalstaaten auf Konflikte zwischen EU-Europa auf der einen Seite und den USA, Russland, China oder den nicht-christlichen Staaten auf der anderen Seite? Die linken Europa-Fans starren wie gebannt auf den Nationalismus des 19. Jahrhunderts, der ja in der Tat schreckliche Folgen gezeitigt hat und zur allgemeinen Verwunderung heute eine Renaissance erlebt, geben aber einem Europa-Chauvinismus ungeniert Nahrung. Einst sangen die Linken von den „Verdammten dieser Erde“. Heute ist die Erde zu Europa geschrumpft. „Die stets man noch zum Hungern zwingt“ bleiben draußen.
Im Übrigen ist, wenn man zu differenzieren vermag, selbst die Abneigung der Rechten gegen eine Bevormundung durch Brüssel nicht frei von Ambivalenzen. Schließlich haben die Polen und Ungarn, zum Beispiel, eine historische Erfahrung mit der Entmündigung durch eine fremde Zentralregierung. „Europa“ klingt in ihren Ohren nicht ganz so verlockend wie in jenen vieler Westeuropäer. Der Nationalismus, der sich 1830 und 1848 gegen die preußische und die russische Fremdherrschaft oder gegen die Habsburger-Hegemonie wandte, findet seine Fortsetzung im trotzigen Justament gegen europäische Verordnungen.
Vielleicht ist alles auch nur ein großes Missverständnis. Vielleicht sind jene, die in einem vereinten Europa das Heil sehen, gar keine Linken. Vielleicht beteiligen sie sich einfach mehr oder weniger offen an einem Projekt zur Durchsetzung der Interessen der Konzerne.
Kritik und Europatrubel
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der schon als möglicher Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck gehandelt wird, hat kürzlich verkündet, er wolle seine Partei „ganz in die Mitte ziehen“. Er geht kurioserweise von der Annahme aus, die Grünen stünden links von der Mitte. Wo er selbst steht, hat er lange vor seinem Kuschelkurs mit den Christdemokraten offenbart, etwa als er seinem Parteifreund Jürgen Trittin vorwarf, dass er das Thema „Verteilungsgerechtigkeit“ zu sehr in den Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfes 2013 gerückt habe.
Doch wo liegt überhaupt die Mitte? Nach einer seit der Französischen Revolution geläufigen Auffassung unterscheidet sich die Linke von der Rechten dadurch, dass Gleichheit für sie gegenüber der Freiheit Priorität genießt. Wenn die Mitte also zwischen links und rechts verläuft, stehen im deutschen Spektrum alle Parteien mit Ausnahme der Linkspartei, die sich ja auch so nennt, rechts der Mitte. Wenn Kretschmann seine Drohung wahr machen will, müsste er demnach die Grünen nach links ziehen. Aber so hat er das wohl nicht gemeint.
Befragt man jene, die für ein vereintes Europa unter den gegenwärtigen Bedingungen streiten und jeden des Nationalismus verdächtigen, der ihre Euphorie nicht teilt, wie sie es mit der (Chancen-)Gleichheit halten, kommt man schnell zu der Einsicht, dass sie der Linken nicht wirklich zugerechnet werden können. Auch Kretschmanns österreichisches Pendant Van der Bellen sollte man nicht bloß deshalb für einen Linken halten, weil er nicht so weit rechts steht wie sein Kontrahent Norbert Hofer. Auch das kleinere Übel ist schließlich ein Übel. Engelbert Dollfuß war kein Hitler, aber ein Demokrat war er deshalb noch lange nicht.
Vor weniger als einem Jahr hat Van der Bellen das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA empfohlen. Seine Meinung hat er seither als braver Grüner lediglich aus Sorge vor dem Einzug genmanipulierter Lebensmittel in europäische Supermärkte geändert. Dass Hofer wiederum gegen die „Brüsseler Bürokratie“ wettert, sollte echte Linke von einer skeptischen Haltung gegenüber dem Europatrubel nicht abhalten. Nicht Hofers Kritik an der EU ist das Problem, sondern dass er Flüchtlinge „Invasoren“ nennt. Und dass der noch amtierende sozialdemokratische Bundespräsident Heinz Fischer ihm ohne Not seine „Anerkennung aussprechen, Respekt zollen (wollte), dass er in einem langen und spannenden Wahlkampf seine Standpunkte mit Engagement und Verve vertreten und verteidigt hat“. Was soll man von einem Staatsoberhaupt halten, das allein schon die Verteidigung eines Standpunkts, wessen Inhalts auch immer, für eine Tugend hält?
Darüber hinaus könnte man statt Besserwisserei Scham und Demut erwarten von jenen, die den Bologna-Prozess der Vereinheitlichung des europäischen Hochschulsystems, dessen verheerende Auswirkungen doch von Anfang an zu durchschauen waren, mitgetragen haben. Darüber hinaus: Wofür halten sich eigentlich die Deutschen, und, in karikierter Nachahmung, die Österreicher (ihre wirklichen und vorgeblichen Linken inklusive), dass sie den Menschen in anderen Ländern Ratschläge erteilen, wie sie Europa zu bewerten hätten? Das war 1972 und 1994 so, als eine Mehrheit der norwegischen Wähler, denen Deutsche fürwahr nicht erklären müssen, was Demokratie bedeutet, einen Beitritt ihres Landes zur EG beziehungsweise zur EU ablehnte. Das ist heute so, da Großbritannien für einen Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft gestimmt hat, den rechtsradikale Nationalisten, aber eben auch – mit ganz anderen Argumenten – ein Teil der britischen Linken befürwortet haben.
Bei aller notwendigen Abwägung von Vor- und Nachteilen einer repräsentativen gegenüber einer direkten Demokratie: Was berechtigt Deutsche, ihren Standpunkt für kostbarer zu halten als, sagen wir, den der Schweizer? Die zeigen der EU übrigens die kalte Schulter. Unterstützt von der Partei der Arbeit. Nicht eine EU ohne England ist die Katastrophe – ein Europa der Le Pen, Petry, Strache wäre es. Jedenfalls für wirkliche Linke.
Kommentare 15
Ein nicht genug zu lobender EU-kritischer Beitrag aus linker Sicht.
"Einst sangen die Linken von den „Verdammten dieser Erde“. Heute ist die Erde zu Europa geschrumpft. „Die stets man noch zum Hungern zwingt“ bleiben draußen."
Sehr bedauerlich, dass Thomas Rothschild seit den Querelen mit Herausgeber und Kulturredakteur nur noch sehr selten für den "Freitag" schreibt.
Vielen Dank für den ausgezeichneten Aufsatz, der meinem Unbehagen gegenüber dieser EU der Konzerne und deren Wirtschaftslobbyisten aus der Seele spricht. Wie so oft führt die alte Frage "wem nützt es" in die richtige Richtung.
Ich von schließe mich dem Lob von STJERNESKUD und 30SEC an.
Lange keine so gute und objekitive Beurteilung der Lage Europas gelesen. Eines was für mich wichtig ist möchte ich noch zufügen:
Es geht nicht nur um die politischen Möglichkeiten der einzelnen Staaten der EU. Wichtiger sind die gewachsenen und verbliebenen Ressourcen der einzelnen Staaten. Das was jedes Land an naturgegeben Möglichkeiten nutzen kann.
Eskann nicht sein dass Deutschland alle Staaten Europas zum Umbau zwingt. Dass Kapital und Banken Maß und Regulatoren sind und aus Agrarstaaten die meist auch noch Touristenmagneten sind Industriestaaten bauen. Diese Großkonzerne und dsie Banken dominieren Menschen und POlitik. Sie fressen Individualität der Staaten, Kultur und Traditionen, Esskultur und Kunst der einzelnen Staaten, und lassen einen uniteressanten zu Tote langweilenden Einheitsbrei zurück. Verarmung finanziell und handwerklich, wieviel ist uns dadurch schon verlorengegangen.
Depression ist besonders in Deutschland durch Verarmung schon eine Volkskrankheit geworden. Alles muß industriell hergestellt werden, möglichst billig, möglichst maschinell.
Der Einzelne hat keine Chance mehr, er zählt auch nicht mehr.
TTIP und CETA werden das ganze noch verstärken.
Ween die Autoindustrie klagt ohne TTIP geht diese Industrie kaputt dann frage ich OPEL und VW schon vergessen?
Wir zahlen Strafzölle und Strafgelder für Waren die wir nicht wollen und dann auch garnicht mehr kaufen können, dafür dann auch noch Strafgeld, weil wir arbeitslos sind und keine Geld mehr haben. Egal ob bargeldlos, das schlimmste was uns noch passieren kann, oder bar.
Wollen wir das ?? Leibeigene von Banken und Konzernen ??
Und dann noch von Banken und Konzernen des US-Kartells??
Ein Gedanke der Angst macht, Panik!
Ja, das ist alles interessant und lesbar geschrieben, aber verzerrt die Dinge.
Die folgende Satzfolge ist charakteristisch:
"Wenn also Einzelstaaten, die vernünftigere und gerechtere Gesetze und Regelungen haben – und es geht nicht nur um die Krümmung von Gurken –, sich den Bestimmungen der Europäischen Union unterordnen müssen, dann sollte das für Linke kein Gewinn, sondern ein Verlust sein."
Hier wird von einem Spannungsverhältnis zwischen EU-Politik (- hier dargestellt als Entscheidungen der Kommission plus mehrheitlich von EVP dominiertem Eu-Parlament) ausgegangen, das nicht gegeben ist. Die Entscheidungen fallen im Ministerrat unter den Regierungschefs der Mitgliedsländer.
Die immer wieder (gähn) hervorgezerrte Krümmung von Gurken hat in diesem Kontext nun wirklich keinen Platz. Praktisch alle neuen Produktstandards werden von einer der nationalen Regierungen vorgeschlagen (- die diese Anregung dann von einer nationalen Lobby erhielten). Ich kenne keinen Fall, in dem Mitgliedsstaaten "vernünftigere und gerechtere Gesetze und Regelungen" hatten und gezwungen wurde, sich der EU unterzuordnen. Dazwischen liegt nämlich immer der Ministerrat.
Es gibt aber zahlreiche Fälle, in denen sinnvolle Vorschläge des Parlaments nicht von der Kommission aufgenommen und in Regelungen gesetzt werden konnten, weil im Ministerrat ein oder mehrere nationale Regierungen ihr Veto einlegten. Nicht nur die deutsche Regierung spielt das Spiel virtuos: Im nationalen Rahmen den sozial und ökologisch engagierten Vorreiter zu spielen, dann im Ministerrat zu blockieren und der nationalen Öffentlichkeit gegenüber scheinheilig auf Brüssel zu verweisen: Wir hätten ja gerne, aber "die EU" lässt uns nicht. Alles Schau!
Ich weiss, dass in diesem Forum immer gerne auf die EU-Gremien geschimpft wird. Fakt ist, dass die EU nicht nur in der Struktur, sondern bis in die kleinen Details so ist, wie die Regierungschefs der Mitgliedsländer entschieden haben. Das geht jeden Tag auf´s Neue so.
Wer die EU-Politik kritisieren möchte, möge die Regierungen der Mitgliedsländer kritisieren. Gegen Ungarn z. B. kann die Kommission nur das machen, was der Ministerrat will.
Ja echt! gähn(!),- Gurke, wie langweilig, und überhaupt
Diese Regelungen, mit der die Kommission hantiert, haben die Regierungschefs beschlossen.
Wie sehr die Kommission in aktuellen Fällen von der Macht der grossen Mitgliedstaaten gebremst wird, sieht man u. a. daran, dass die Budgetüberschreitungen entweder toleriert werden oder man übersieht, dass es Nebenhaushalte gibt.
Wenn im verlinkten Beitrag bemängelt wird:
"Lediglich zu ausgewählten, vorwiegend monetären Aspekten makroökonomischer Ungleichgewichte wird seitens der Europäischen Kommission ein Vorschlag gemacht, die anderen Themen werden ignoriert."
dann kann man das sozio-ökonomisch bedauern, allerdings hat die Kommission auch kein Mandat und auch keine Instrumente, nun plötzlich die von manchen als "Austeritätspolitik" bezeichnete Begrenzung der Verschuldung umzukehren.
Wenn die Mehrheit der EU-Staaten mehr Staatsaufgaben will und dafür die Budget-Knebelung aufgeben will, müssen die Regierungschefs tätig werden. Ich stimme zu: Die Kommission ist wirtschaftsliberal unter dieser Leitung, aber der Apparat wird bei veränderten Vorgaben der Mitgliedsländer auch anders agieren.
Wenn nicht diese EU - was dann? Die (meisten) europäischen Staaten sind bereits so eng miteinander verflochten, dass für die andauernde notwendige Abstimmung nunmal ein institutionalisiertes Forum gebraucht wird. Eine "EU" mit ihrer Bürokratie wird es also immer geben, egal wie sie genannt wird.
Ich glaube nicht,dass hier irgendjemand einen (virtuellen ) Graben zwischen den mächtigsten Mitgliedsländern (oder sagen wir Deutschland) und der Kommission ausmachen will. Das Fatale, was zurecht kritisiert - und von Ihnen gekonnt umbogen - wird, ist doch, dass es bereits keine Rolle mehr spielt, wer Regierungschef ist - siehe Griechenland.
Wenn Sie Griechenland als Beispiel für (angebliche) Unterdrückung von nationaler Politik durch die Kommission anbringen, geht das ziemlich weit ab von der Thematik des Artikels. In dem ging es um EU-weite finanz- und wirtschaftspolitische Regeln, der Fall Griechenland ist eng mit den Geburtsfehlern des Euro verknüpft.
Griechenland hätte ohne rechtliche Probleme aus dem EURO aussteigen können, ohne dass die im Artikel diskutierten Aspekte berührt würden. (So wie es ja auch griechische Ökonomen für richtig gehalten und etliche griechische Politiker vehement gefordert haben.)
Allerdings hat auch der griechische Regierungschef erfahren müssen, dass das Land weitere Darlehen (ad infinitum, d. h. Zuschüsse) nur dann erhält, wenn es die Vorgaben der Geber berücksichtigt.
Das grundsätzliche von Ihnen aufgeworfene Problem: Eine heutige Regierung (und damit das Volk) haftet für die Fehler der vergangenen Regierungen. (Wobei von den billigen Krediten und Euro-Mitteln auch die privaten Konsumenten profitiert haben.)
Dann haben wir vielleicht etwas aneinander vorbeigeredet. Ich habe Kommission jetzt auch nur erwähnt, weil sie es taten (im Artikel alleine kommt es überhaupt nicht vor). Was ich meinte war eher eine Binse: es macht einen veritablen Unterschied, ob die nationalen Regierungen ihre Macht ohne oder mithilfe einer EU ausüben wollen. So hatte ich den Artikel gelesen.
Aber ich widerspreche Ihrem letzten Absatz: jeder Bürger hat das Recht, Insolvenz zu beantragen, das Problem liegt dann bei denen, die (naiverweise) die Kredite vergeben haben. Das allerdings war der griechischen Regierung so weit erschwert, dass die Regierung daran zerbrochen ist (dass es "möglich" war, nun gut, das steht auf einem anderen Blatt...).
Sehr geehrte Maggiestone,
in vielen Punkten finde ich Ihre Argumente ja richtig.
Mir war das generelle EU-Bashing und eine eventuelle Idealisierung nationaler Haltungen suspekt. Meine (natürlich begrenzten) Erfahrungen in Umweltvorschriften zeigten, dass die EU-Gremen für Massnahmen beschimpft werden, die von Regierungen der Mitgliedsländern ausgingen. Und umgekehrt, dass die Kommission strenge Luft- und Wasser-Qualitäten durchsetzen will und dabei von nationalen Regierungen ausgebremst wird.
(Und die Gurkennormierung hat die Kommission auf Druck der Gemüse"industrie" Hollands und der Lebensmitteldiscounter Aldi Lidl und Co. machen müssen; darauf gehe ich hier nur deswegen ein, weil das Stichwort im Artikel erwähnt wird und so die EU-Gremien als besonders idiotisch dastehen.)
Was nun Griechenland und eventuelle Ausstiege aus dem Euro sowie Staatspleiten (= staatliche Insolvenzen) angeht: Die theoretischen Möglichkeiten sind da, aber sie sind mit vielen negativen Folgen verbunden. Nicht zuletzt auf lange Zeit schlechte Ratings, d. h. hohe Zinsen.
Das Beispiel Argentinien zeigte kürzlich, dass ein scheinbar gelungener Schuldenschnitt dann auch plötzlich wieder aufgerollt werden kann, weil US-Fonds die alten Titel aufgekauft und nun wieder Forderungen erhoben haben.
FG Nordlicht
Ich weiß nicht genau, was Sie mit EU-Bashing meinen, aber, zumindest mir persönlich, geht es in einer solchen Diskussion eigentlich nicht um Moral. Wenn es sachliche Argumente gibt, für den Erhalt der EU einzustehen, warum nicht?
Wg. Argentinien: das hat vielleicht mehr damit zu tun,dass die Mehrheit der argentinischen Wähler einen neoliberalen Hardliner zum Präsidenten ernannt hat.
Was den Grexit anbetrifft, so gab es einige Ökonomen (mit Rang und Namen) die dem Gespenst der EU (Folgen des Grexit) keinen Glauben schenkten. Dazu kann ich diesen Vortrag wärmstens empfehlen:
https://www.youtube.com/watch?v=dVC1hCr1bIM
Danke für den Hinweis. An sich lese ich lieber als einen Vortrag auf youtube zu sehen/hören.
https://www.theguardian.com/profile/costaslapavitsas
Schreibt gut, der Mann. Die Strukturfehler des Euro (und die Angst der am Euro Festhaltenden) werden Griechenland lange weiter drücken. Weder trauen sich die Geber, auf der Basis eines griechischen Ausstieges wirklich viel Geld zu spenden (- nicht leihen oder investieren, beides geht im Moment nicht), noch wagt die griechische Regierung den Schritt.
Tsipras had campaigned for a rejection but when the result came in he realised that in practice, it meant exiting the euro, for which his government had made no serious preparations.
Staat Erdogan Milliarden zu geben, sollte GR Hilfe für die Bewältigung der Flüchtlingsprobleme das Geld bekommen.