Exil Neonazis in Österreich und das Meer in Schottland. Gedanken über politische Kultur und Naturschönheit. Und die Bitte um Mithilfe bei der Klärung einer wichtigen Frage
Nachrichten aus meiner „Heimat“ Österreich: „Lausbuben“ attackieren KZ-Überlebende in Ebensee. Der dritte Präsident des Nationalrats (der dem deutschen Bundestag entspricht) gibt unverblümt antisemitische Äußerungen von sich. Der FPÖ-Chef Strache wird mit anzüglichen ausländerfeindlichen Bemerkungen von Tag zu Tag populärer. Ein Österreicher erhält den Büchnerpreis. Ein Österreicher erhält die Goldene Palme in Cannes. Ein Österreicher ist für den Auslandsoscar nominiert.
Österreichische Logik
Ein Widerspruch? Nein, ein Musterbeispiel dialektischer Logik. Die Provokation, die von einem Staat ausgeht, der nicht nazistisch sein will und mehr und mehr beweist, dass er es doch, latent
er es doch, latent oder offen, ist, spornt Künstler an, von denen sich kein einziger mit Namen den herrschenden faschistoiden Trends angeschlossen hat. Sie reagieren, wie schon Thomas Bernhard, auf ein Land, in dem vierzig Prozent der Wähler ihre Stimmen rechtsradikalen Parteien geben; in dem die Online-Ausgabe einer großen Tageszeitung einen Bericht über jüdische Zwangsarbeiter, welche die ihnen zustehende und bislang verweigerte Rente einklagen wollen, für die sonst üblichen Postings sperrt, weil sie genau weiß, was da zu erwarten wäre; in dem sich der Bundespräsident, der damalige und der amtierende Bundeskanzler vom „tragischen Ableben“ Jörg Haiders „tief betroffen“ zeigten; in dem die sozialdemokratische Spitzenpolitikerin Gabi Burgstaller, die eben erst dagegen protestiert hatte, Haiders Wähler ins „rechte Eck“ zu stellen, erklärt, trotz so mancher Auffassungsunterschiede sei für sie erkennbar gewesen, dass für Jörg Haider vor allem in sozialen Fragen der Mensch im Mittelpunkt seines Handelns gestanden habe, dass sie ihren Kärntner Kollegen als humorvollen, kommunikativen und engagierten Menschen mit vielen liebenswerten Seiten erlebt und an ihm einen politischen Kollegen verloren habe, der vor allem die Fähigkeit gehabt habe, nach vorne zu schauen. Originalton Burgstaller: "Mit Landeshauptmann Jörg Haider verliert Österreich eines der größten politischen Talente der letzten Jahrzehnte“. Auch der Bundespräsident sieht in Haider einen „Politiker mit großen Begabungen“. Und dieser Bundespräsident ist nicht willens oder nicht imstande, den permanenten Verfassungsbruch – ich spreche vom so genannten Ortstafelstreit – in Haiders Reich, im Bundesland Kärnten, zu beenden oder wenigstens die Staatsanwaltschaft in Bewegung zu setzen.Alle paar Jahre zieht es mich nach Schottland, wo ich geboren wurde und wo mich regelmäßig die Wehmut befällt, wenn mir bewusst wird, wie unkompliziert mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn meine Eltern nach dem Krieg beschlossen hätten, in Schottland zu bleiben, statt nach Österreich zurückzukehren, um unter den Mördern ihrer Eltern zu leben.Schottische SchönheitJetzt habe ich wieder einmal zwei Wochen im Land meiner frühen Kindheit verbracht. Im äußersten Norden der Isle of Skye fanden wir ein Bed Breakfast, von dem aus sich ein Ausblick eröffnet, den als Inbegriff der landschaftlichen Schönheit zu bezeichnen ich nicht zögere. Unterhalb eines kurzen Hangs liegt die Bucht, die von einer Landzunge begrenzt wird. An deren Ende erstreckt sich ein Landungssteg, an dem die Fähre Passagiere und Autos zur Überfahrt auf die Äußeren Hebriden aufnimmt. An den Hängen der sanften Hügel sieht man vereinzelte weiße Häuser.Ich kenne einige Orte, deren Schönheit mich in vergleichbarer Weise verzaubern: eine Villa am Attersee, in dem ich mehrmals meinen Urlaub verbracht habe, eine Stelle am Ohridsee an der Grenze von Makedonien, Albanien und Griechenland. Sie alle haben gemeinsam, dass sie den Blick freigeben auf eine von etwas erhöhter Position aus sichtbare Wasserfläche, die im Hintergrund durch eine hügelige oder gebirgige Landschaft begrenzt ist. Diese Landschaft darf nicht zu weit entfernt, Details müssen noch erkennbar sein. Das offene Meer finde ich nicht annähernd so faszinierend. Und noch unbefriedigender erscheint es mir, wenn Nebel die Trennlinie zwischen Wasser und Himmel verhüllt, wenn es also keinen Horizont gibt, an dem sich das Auge festmachen kann.Offenbar ermöglicht die Wasserfläche den Eindruck von Weite, von Freiheit. Ebenso offenbar aber scheint die Begrenzung eine Bedingung dafür zu sein, dass ich solche Landschaften als schön empfinde. Hier hört meine Selbstbeobachtung auf. Ich kann mir dieses Phänomen nicht erklären und bitte die Leser um Hilfestellung - in Form von Tatsachen, wenn's geht, nicht nur von Vermutungen.Lassen sich meine Eindrücke objektivieren, oder sind sie individuell? Ist, was mir als schön erscheint, eine Erinnerung an eine Landschaft oder ein Bild meiner frühen Kindheit? Handelt es sich um die bloße Projektion einer psychischen Befindlichkeit und hat das Vergnügen an der Begrenzung etwas mit Angst vor dem eigenen inneren Chaos zu tun? Ist das Schönheitsempfinden (nur) eine kulturell erworbene Größe, oder gibt es da anthropologische Konstanten? (Es ist doch kurios, dass auch Menschen, die mit ganz anderen musikalischen Systemen sozialisiert wurden, von Mozart oder Beethoven ergriffen sind. Andererseits wissen wir, dass die ästhetische Betrachtung der Natur erst im 18. Jahrhundert zum Topos wurde und dass sie zu tun hat mit dem Luxus, diese Natur nicht mehr allein als Quelle des Überlebens nutzen zu müssen.) Kurz: was macht eine Landschaft "schön"? Welche Bedingungen muss sie erfüllen, um als schön zu gelten, und warum ist das so? Ich bitte um Vorschläge
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