Keine andere Musikrichtung hat ihren Ursprung so sehr im öffentlichen Raum, gehört ihrer Geschichte nach so sehr auf die Straße wie der Jazz. Es hat demnach seine Logik, dass die Hauptkonzerte des Glasgow-Jazz-Festivals garniert sind mit Auftritten zahlreicher Bands auf Plätzen und Straßen, bei freiem Eintritt dazu.
Und noch ein zweites zeichnet das einwöchige Festival in der schottischen Metropole aus, die sich von einer der hässlichsten europäischen Industriestädte des neunzehnten Jahrhunderts zu einem reizvollen Kulturzentrum gemausert hat: Anders als die wachsende Zahl von Jazz-Großveranstaltungen, die spekulativ auf gerade gängige Namen und modische Stars setzen, geht Olive May Millen, die Leiterin des Glasgower Events, Risiken ein, fordert sie - darin vergleichbar den Veranstaltern von Saalfelden, Willisau, Moers oder auch Berlin - ihren Zuhörern Neugier, Entdeckungsfreude und Qualitätsbewusstsein jenseits des Marktes ab. Sympathisch unprätentiös, ohne Show und Glamour wird das präsentiert. Hier geht es um Musik und sonst nichts.
Die Hauptkonzerte finden statt im Old Fruitmarket, im alten Stadtteil Merchant City. Kaum lässt sich ein passenderes Ambiente denken als diese ausrangierte Halle mit der charakteristischen Eisenkonstruktion der vorletzten Jahrhundertwende und den abblätternden Namen der Obstimporteure an der hohen Galerie.
Die postmoderne Jazz-Violine hat einen Namen: sie heißt Regina Carter und stammt aus Detroit. Sie fasst in ihrem Spiel mit ihrem kongenialen Quintett die Geschichte ihres Instruments zusammen, jongliert virtuos mit Stilen, Rhythmen und emotionalen Färbungen. Jazz als Körpermusik, die Intelligenz nicht vermissen lässt und auf Kommunikation angelegt ist - hier findet sie statt, hier belegt sie, was immer noch nur das Konzert, im Vorteil gegenüber CD oder Fernsehübertragung, zu leisten vermag.
Genau umgekehrt verhält es sich mit dem Ensemble von Nils Peter Molvaer aus Norwegen. Der Live-Auftritt verhüllt mehr, als er sichtbar macht, und zwar scheinbar paradoxerweise umso mehr, je aggressiver er die Sinne attackiert. Schon vor dem um eine halbe Stunde verzögerten Konzertbeginn werden die Besucher einer Lärmfolter aus der Konserve unterworfen, die kein Gespräch zulässt. Bei der Vorgruppe, einem billigen Imitat dessen, was folgen sollte, lenkt eine stupide Projektion auf die Rückwand vom Reiz eines Bildschirmschoners von der ohnedies belanglosen Maschinenmusik aus dem Halbdunkel ab. Ein DJ beim Samplen und Scratchen ist eher ein Zuarbeiter als ein visuelles Ereignis. Aber auch die Musik der Molvaer-Band, die nach exakt eineinhalb Stunden vor das malträtierte Publikum tritt, kommt auf CDs klarer und überzeugender zum Ausdruck als im Konzert.
Woran liegt es, dass manche Musiker technisch perfekt spielen, ihre Lektionen ganz offensichtlich gelernt haben, und dass dennoch ausbleibt, was die Magie des Jazz ausmacht? Und dann schlägt der Pianist Michel Camilo aus der Dominikanischen Republik die ersten Töne an, zögerlich, leise, dann entwickelt er ein Thema mit stauenden Rubati und einem allmählich anschwellenden Crescendo - und man hält den Atem an und verspürt Jubel im Herzen. Eigenwillig geht Camilos Trio mit Standards des Swing und des Bebop um, Reibungen verblüffen eingefahrene Hörgewohnheiten, Camilo selbst traktiert das Klavier, als wäre es ein Perkussionsinstrument, und er ist wieder da, der Zauber, mit dem erstklassiger Jazz die Rampe der Bühne überspringt und im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit an Authentizität erinnert.
Musikern wie diesen, nicht zuletzt den Vertretern des Bebop, Lovano, Slagle, Blanchard, Aaron Fletcher oder Brice Winston, verdankte auch das Glasgower Publikum Momente des Jazz-Glücks. Und doch spürt man allenthalben die Grenzen, die die Ökonomie setzt. Der Jazz gehört nirgends zu den Lieblingskindern der öffentlichen Hand. Seine Präsenz im kulturellen Bewusstsein bedrohen zwei nur scheinbar entgegengesetzte Gefahren: die geringe Förderung neuer, experimenteller Tendenzen; und der Verlust der Geschichte, der sich manifestiert in der demütigenden Missachtung der alten Jazzer von gestern, die ihre keineswegs versiegte Produktivität allenfalls in kleinen Clubs beweisen dürfen. Beiden - der Avantgarde wie der Geschichte - steht gegenüber, was auch in den anderen Künsten, in der Literatur nicht weniger als im Film, zunehmend zählt: das Verkäufliche. Mit anderen Worten: die Hurerei.
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