Lücke im radikalen Kino

Nachruf Im Alter von 65 Jahren und nach langer Krankheit ist gestern der große Regisseur Wernder Schroeter gestorben. Ein Nachruf

Unter den Filmregisseuren seiner Generation war er, jedenfalls in Deutschland, derjenige, der sich am konsequentesten gegen einen mimetischen Realismus und für Künstlichkeit entschieden hatte. Seine Affinität zur Oper war keine Marginalie. Werner Schroeters Filme waren auch opernhaft, wo sie ohne Musik auskamen. Bei Schwulen waren sie, wie man heute sagt, „Kult“. Es bedürfte allerdings schon einiger intellektueller Verrenkungen, wenn man sie unmittelbar mit einer sexuellen Orientierung in Zusammenhang bringen wollte. Dass Werner Schroeter sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hat, als das noch nicht selbstverständlich war, mag zur Enttabuisierung des Themas beigetragen haben. Freilich waren selbst die Spießer seit je bereit, exzentrischen Künstlern zuzugestehen, was sie bei einem Bankbeamten oder einem Hotelportier degoutant finden.

Dass Schroeter schwer krank war, wusste man seit langem. Dennoch versetzt die Nachricht von seinem Tod dem Liebhaber des Autorenkinos einen Schlag. Er hinterlässt im ohnedies auf dem Rückzug befindlichen Netz des radikalen Kinos eine große Lücke. Erst vor einem Monat wurde er zusammen mit der Kamerafrau Elfi Mikesch, einer Verwandten im Geiste, mit dem Murnau-Preis ausgezeichnet. Den Medien war das nur eine kurze Meldung wert.

Ende eines Vielseitigen

Werner Schroeter wurde in Thüringen geboren und verbrachte seine Kindheit in Bielefeld. Als Filmemacher war er Autodidakt. Mit dem Experimentalfilm Eika Katappa fiel der 24-jährige 1969 bei der Mannheimer Filmwoche auf, wo er den Josef-von-Sternberg-Preis errang. Schon 1972 markierte er – wer, wenn nicht er? – eine Tendenz, die seither zugenommen hat: dass der ambitionierte Film vom Kino ins Museum übersiedelt, wo noch ein emphatischer Kunstbegriff gepflegt wird. Der Tod der Maria Malibran wurde in Kassel bei der Documenta vorgeführt. Den eigentlichen Durchbruch schaffte Schroeter jedoch erst mit Palermo oder Wolfsburg, einem „Gastarbeiterdrama“, für das er 1980 in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen Neapolitanische Geschichten (1978), das Liebeskonzil nach Oskar Panizza (1982), Der Rosenkönig (1986), Malina nach Ingeborg Bachmann (1991) und, zuletzt, Nuit de chien (2008). Dieser Film wurde zum Festival nach Venedig eingeladen, wo Schroeter für sein Gesamtwerk geehrt wurde. In einem Interview sagte er: „Mehr auf unsere Kultur Rücksicht nehmen und weniger in den Computer glotzen!“ Das Credo eines Künstlers, der an seine Profession glaubte.

Beeindruckend war Werner Schroeters Vielseitigkeit. Er hat Dokumentarfilme gedreht, hat sich als Fotograf profiliert, hat am Theater – Anfang März hatte Quai West an der Berliner Volksbühne Premiere – und selbstverständlich immer wieder an der Oper gearbeitet. Die Leidenschaft für die Oper teilte er mit Persönlichkeiten des Kinos wie Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij und Werner Herzog. In der Oper redet man nicht wie auf der Straße: man singt. Natürlichkeit war nie Schroeters Ziel.

In Magdalena Montezuma fand er seine ideale Darstellerin; er hat immer wieder mit ihr gearbeitet. Ihre Schauspielkunst war ebenso artifiziell, ebenso stilisiert wie die Kameraführung, die Farbdramaturgie, der Dialog in seinen Filmen. Magdalena Montezuma ist 1984 an Krebs gestorben. Nun ist ihr Werner Schroeter kurz nach seinem 65. Geburtstag gefolgt.

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