Lust auf fette Torte

Abschied von der Gleichheit Wäre es nicht an der Zeit, dass sich jene bei Oskar Lafontaine entschuldigen, die ihn seinerzeit beschimpft haben, als er es vorzog, sich aus dem ...

Wäre es nicht an der Zeit, dass sich jene bei Oskar Lafontaine entschuldigen, die ihn seinerzeit beschimpft haben, als er es vorzog, sich aus dem Parteivorstand und der Regierung zu verabschieden, statt mit Gerhard Schröders SPD Kompromisse einzugehen, die das Gesicht und das Wesen dieser Partei bis zur Unkenntlichkeit deformieren sollten? Erstaunlicher als Lafontaines Verhalten ist doch vielmehr, dass Sozialdemokraten nicht massenhaft jene Partei verlassen, an der nur noch der Name sozialdemokratisch ist. Wo hört die Loyalität auf, und wo beginnt die Charakterlumperei, die Komplizenschaft? Schröder scheint nichts auslassen zu wollen, was als Brüskierung traditioneller Ideale der Arbeiterbewegung gelten muss. Jeder Tabubruch gilt ihm offenbar als Beweis seiner Courage. Den Preis für diese Courage freilich bezahlen nicht jene, mit denen sich anzulegen in der Tat Mut erforderte, sondern die - insbesondere vor Wahlen - gerne beschworenen "kleinen Leute". Nun also hatten Schröder, sein Generalsekretär und seine Wissenschaftsministerin den grandiosen Einfall, Eliteuniversitäten zu schaffen. Die berechtigte Empörung blieb nicht aus. Sie wird, so ist zu befürchten, ebenso schnell verstummen, wie der Protest gegen andere unsoziale Maßnahmen der regierenden SPD. Dabei geht es nicht um das Wort "Elite". Ob man das Ding Eliteuniversität nennt oder Hutzliputzli - es handelt sich um die dahinter verborgene Idee, nicht um den Namen. Wieder einmal glauben ein paar besonders Findige, das Problem zu lösen, indem sie Sprachkosmetik betreiben, wo sie an der Sache nichts ändern können oder wollen. Das Binnen-I hat noch in keinem Betrieb dafür gesorgt, dass Frauen für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden wie Männer, und die Schreibweise "man/frau" hat die Lebensumstände keiner einzigen Putzfrau verbessert. Statt eine fruchtlose Diskussion darüber anzuzetteln, wie man Universitäten des jetzt geplanten Typs nennen könnte, sollte man sich klar machen, welche Politik sich hinter diesen Plänen verbirgt. Terminologische Debatten sind pure Ablenkungsmanöver. Nicht das Wort "Elite" ist der Skandal, sondern die Umkehrung der Prioritäten. Seit es eine sozialistische Bewegung gibt, gehörte die Forderung nach gleichen Bildungschancen zu den zentralen Motiven politischer Programmatik. Von der Einrichtung der Volkshochschulen bis zur Durchsetzung großzügiger Stipendiensysteme reichten die Maßnahmen, die es Arbeitern und Kindern von Nicht-Akademikern ermöglichen sollten, an einer Bildung teilzuhaben, die die Bourgeoisie für sich allein beanspruchte. Wer redet heute noch davon? Die Gleichstellungsbeauftragten an den Hochschulen, für die Gleichstellung offenbar nur einen geschlechtlichen Aspekt hat, am allerwenigsten. Mehr als je seit dem Zweiten Weltkrieg müssen die ökonomisch Schwachen Zeit und Energie in den Gelderwerb für das Allernötigste investieren, auf Kosten eines effizienten Studiums, bis hin zu dessen vorzeitigem Abbruch. Wenn ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da an den Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen in existenzgefährdendem Ausmaß gespart wird, eine verschwindend kleine Gruppe von "besonders Begabten" überdimensional gefördert werden soll, so bedeutet das eine Umverteilung zu Gunsten der ohnedies Privilegierten. Damit will die SPD auf dem Bildungssektor exakt das wiederholen, was sie auf anderen Gebieten bereits in die Wege geleitet hat. Das ist nichts weniger als sozial. Von sozialistisch wollen wir gar nicht erst reden, um Schröder, der dieses Wort dem Vernehmen nach einmal gekannt haben soll, nicht noch mehr in Bedrängnis zu bringen. Der jüngste Vorstoß der SPD ist nur die logische Fortsetzung einer Politik, deretwegen sich der gescholtene Lafontaine zurückgezogen hat. Es ist eine Politik, deren leitendes Prinzip die Willfährigkeit gegenüber den Bedürfnissen der Wirtschaftsverbände zu sein scheint. Sie, in der Tat, müssen an der Ausbildung von "Eliten" Interesse haben. Dabei ist im Zeitalter der Globalisierung noch gar nicht gesagt, dass die so herangebildeten Fachkräfte im Inland bleiben, also das Bruttosozialprodukt erhöhen und möglicherweise Arbeitsplätze schaffen werden. Bekanntlich sind die Arbeitsplätze aber das einzige und immer noch wirkungsvolle Argument, mit dem man jene (als Wähler) zu angeln versucht, die vom Wohlergehen der Wirtschaftsbosse unmittelbar nicht das Geringste profitieren. Das sei alles zu simpel, wird einem entgegnet, das sei die Redeweise unbelehrbarer 68er, die in undifferenzierter Schwarz-Weiß-Malerei der reinen Lehre nachhingen. Aber man kann doch nicht über reale Gegensätze hinwegsehen, nur damit´s bunter wird, wenn sie grundsätzlich tatsächlich schwarz-weiß sind. Die Alternative ist so simpel: Entweder man macht die Wirtschaftsförderung zum alle Entscheidungen bestimmenden Prinzip, in der Hoffnung, dass auch die Spatzen fett werden, wenn das gemästete Pferd etwas fallen lässt; oder man besinnt sich auf das von der Französischen Revolution und der Arbeiterbewegung formulierte Postulat der Gleichheit und verteilt die knapper gewordenen Mittel so gerecht wie nur möglich. Wohlgemerkt: Postulat, nicht Behauptung! Nicht, dass die Menschen gleich (geboren) seien, meint der Slogan, sondern dass Ihnen die gleichen Chancen geboten werden sollen. Das heißt aber, dass gerade jene, die benachteiligt sind, in besonderem Maße unterstützt werden müssen. Man mag über Sinn und Unsinn einer "positiven Diskriminierung" streiten. Sozial gerechter als die Begünstigung von Eliten ist sie allemal. Die Alternative zu einer Bildungspolitik, die im Interesse der Wirtschaft mit viel Aufwand einige wenige Spitzenkräfte und unter Spardruck schlecht qualifiziertes Fußvolk produziert, wäre eine Politik, die die Lebensqualität für den einzelnen Menschen ins Zentrum stellt. Zur Lebensqualität aber trägt an vorderster Stelle Bildung bei. Das hat das Bürgertum stets kapiert. Die Arbeiterbewegung und mit ihr die SPD haben traditionell versucht, auch jenen daran Geschmack zu machen, die dieses Wissen nicht mit ihrer Erziehung oder der elterlichen Bibliothek von Anfang an mitbekommen haben. Inzwischen hat die SPD die Förderung von Bildung und Lebensqualität dem Fernsehen überlassen. Wofür Bildung oder was man dafür hält gut ist, verrät uns der Bildschirm: um Millionär zu werden. Gerade weil Erwerbsarbeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist und wohl in Zukunft nicht mehr sein wird, gerade weil die Arbeitslosigkeit zunimmt und auch jene, die noch eine Stelle haben, über immer mehr Freizeit verfügen, wird Bildung zu einem zunehmend begehrenswerten Gut. Man kann eine Torte einem Privilegierten schenken, der sich darüber freuen wird, dass er die ganze Torte für sich allein hat. Oder man kann sie in möglichst viele kleine Stücke schneiden. Zwar mögen sich Einzelne dann darüber kränken, dass ihr Stück nicht ansehnlicher ist, aber die Zahl derer, die sich freuen können, ist jedenfalls größer, als wenn nur einer die Torte bekommt. Die Sozialdemokratie hat es sich traditionell zum Ziel gemacht, möglichst vielen etwas von der Torte abzugeben. Der Vorschlag, Eliteuniversitäten einzurichten, zielt in die umgekehrte Richtung. Er gleicht dem Bemühen, die Torte einigen wenigen zuzuschanzen. Damit setzt die Bundesregierung eine Politik fort, die die Länder und darüber hinaus viele europäische Staaten, und zwar gleichermaßen unter konservativer wie unter sozialdemokratischer Regierung, seit einiger Zeit verfolgen. Dabei gehört es zum Ritual, dass Sozialdemokraten, wo sie in der Opposition sind, eine Politik der Konservativen kritisieren, die sie, wo sie an der Macht sind, exakt so beschließen - und umgekehrt. Die europaweite Einführung des Bachelors bei gleichzeitiger Zulassung von Privatuniversitäten hat das ohnedies niemals ganz überwundene Zweiklassensystem in der Bildung erneut verstärkt. Im Grunde bedeuten bereits die nach und nach eingeführten Kurzstudiengänge eine Discountausbildung für die Massen, während zahlungskräftigen Eliten eine bevorzugte Qualifizierung ermöglicht wurde. Man gab vor, den Bachelor zur Vereinheitlichung der europäischen Studienabschlüsse als zusätzliche Möglichkeit anzubieten, und hat, was durchschaubar war, von vornherein geplant, Studienabschlüsse mit längerer Studiendauer oder mit geringerer unmittelbarer Verwertbarkeit abzuschaffen. Dieser Strategie dient auch die längst selbstverständlich gewordene hirnrissige Verknüpfung von öffentlicher Förderung in Lehre und Forschung mit der Anwerbung von Drittmitteln, über die die Wirtschaft in die angeblich autonomen Hochschulen hineinregiert. "Eliteuniversitäten" kosten Geld. Viel Geld. Das wird, ob es vom Bund oder von den Ländern kommt, bei den ohnehin unterfinanzierten "Restuniversitäten" fehlen. Um das zu verschleiern, spricht die SPD schon jetzt von einer Teilfinanzierung durch die Wirtschaft. Damit aber begeben sich die Hochschulen in eine noch stärkere Abhängigkeit von deren Interessen. Was wir auf dem Gebiet der Kunst und der Kultur seit längerem erleben, was eine jüngere Generation mittlerweile für selbstverständlich hält, die zunehmende Dispensierung der öffentlichen Hand von ihren Aufgaben und ein blindes Vertrauen in das niemals uneigennützige Sponsoring, greift nun auch auf dem Bildungssektor um sich. Wer kann das wollen und sich Sozialdemokrat nennen? Mit dem Vorstoß zu Gunsten von "Eliteuniversitäten", der so überflüssig ist wie ein Kropf, hat sich die SPD einmal mehr als eine Partei der sozialen Kälte profiliert. Ob ihre Rechnung aufgeht? Warum sollten selbst jene, die Ungleichheit für gottgewollt halten und die Förderung der von Anfang an Privilegierten - sei es aus Untertanengeist, sei es, weil sie selbst dazu gehören - für gerecht, ausgerechnet die SPD wählen zur Realisierung einer Politik, die seit je die Domäne der bürgerlichen Parteien war?

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