Das Schwergewicht unserer drei Empfehlungslisten für die Sommerlektüre, von denen die dritte diese Woche folgt, liegen auf erzählender Literatur. Es soll aber auch Menschen geben, die selbst im Sommer bereit sind, sich auf experimentelle Texte einzulassen, auf ein Vergnügen, das eher dem Umgang mit dem (sprachlichen) Material als einer Handlung entspringt. Wer auf Inhaltismus pocht, mag solche Literatur anstrengend finden. Wer sich auf sie einlässt, wird entdecken, dass sie, auch im Sommer, die Lachmuskeln ebenso in Aktion setzen kann wie die Schweißdrüsen. Deshalb hier eine Ergänzung zu den anderen drei Listen.
Stilübungen Raymond Queneau
Queneau gehörte zur Gruppe Oulipo, die im Umkreis der Surrealisten angesiedelt wird. Seine Variationen
listen angesiedelt wird. Seine Variationen einer kurzen Geschichte vom Autobus S sind vielleicht das überzeugendste Beispiel einer die Form thematisierenden Literatur, die zugleich in höchstem Maße unterhaltsam ist. Dass dieses kleine Meisterwerk auch in Deutschland einst, wie man heute sagt, „Kult“ wurde, liegt nicht zuletzt an der grandiosen Übersetzung von Eugen Helmlé und Ludwig Harig. Das Buch wurde erst vor zwei Jahren neu aufgelegt.WerkeVelimir ChlebnikovChlebnikov war wahrscheinlich der originellste, radikalste unter den russischen Futuristen (die mit den Italienern dieses Namens nur wenig gemeinsam haben). Majakovskij, der dann einen ganz anderen Weg ging, hat viel von ihm gelernt. Fast alle Verfahren, die später in der so genannten „Konkreten Poesie“ angewandt wurden, sind bei Chlebnikov bereits vorgeformt. Die Lautsprache, das „selbstwertige Wort“ verdrängen bei ihm die Semantik, die Instrumentalisierung der Sprache für Mitteilungen. Gerade dies macht für Chlebnikov und seine Bewunderer den Unterschied zwischen literarischer und alltäglicher Sprachverwendung aus: dass sie nicht für außerliterarische Zwecke funktionalisiert wird. Antiquarisch erhältlich.Die Wiener GruppeGerhard Rühm (Hrsg.)Die sogenannte Wiener Gruppe, bestehend aus Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener, Friedrich Achleitner und dem etwas älteren H.C. Artmann, hatte nicht nur literarisch, sondern fast mehr noch kulturpolitisch eine kaum zu überschätzende Bedeutung im verstaubten postfaschistischen Österreich. Die damals jungen Autoren und noch einige aus ihrem Umkreis – so die kürzlich verstorbene Elfriede Gerstl – erinnerten nach den Jahren der nationalsozialistischen Isolation an den Expressionismus, an die Avantgarde der Zwischenkriegszeit, aber auch, zum Beispiel, an den Barockmystiker Quirinus Kuhlmann, und boten mit ihren Schriften, ihren Performances (die man damals noch nicht so nannte) und ihrer Lebensweise eine anarchische Alternative zur Friedhofsruhe an. Auch die von Gerhard Rühm besorgte Anthologie ist längst vergriffen, aber im Antiquariat erhältlich.Textbücher 1-6, in 1 Bd" target="_blank">Textbücher Helmut HeißenbüttelWie die meisten Avantgardeautoren, so war Helmut Heißenbüttel zugleich ein Theoretiker. Dass er, als Redakteur des Süddeutschen Rundfunks, auch ein Förderer war, wie man ihn heute in den Rundfunkanstalten vergeblich sucht, sei am Rande erwähnt: Es hängt in Wahrheit mit der unmittelbaren schriftstellerischen Beschäftigung eng zusammen. Als Gesprächspartner von Heinrich Vormweg hob Heißenbüttel die kritische Auseinandersetzung mit Literatur auf ein Niveau, dem man heute ebenfalls nur nachweinen kann. Seine eigenen Texte sind ein Musterbeispiel für ein Sprachbewusstsein, das sich – ähnlich wie bei dem in Deutschland erst spät entdeckten Russen Daniil Charms – auch und gerade dort bekundet, wo scheinbar erzählt wird. Und wiederum findet der Leser jede Menge Humor, selbst wenn er (wie bei Ernst Jandl) nicht immer beabsichtigt gewesen sein mag. Die Textbücher sind ebenfalls nur noch antiquarisch zu erwerben.Verfahren eines Verfahrens und Schluss mit dem Erzählen und andere ErzählungenMichael ScharangMichael Scharang hat sich, wie manche Autorinnen und Autoren seiner Generation, die heute zwischen 60 und 70 sind, weit von seinen experimentellen Anfängen entfernt, wohl auch aus dem Gefühl, dass man in eine Sackgasse geraten sei, dass Experimente nicht wiederholbar und nicht unbedingt weiter entwickelbar seien. Dennoch sind Scharangs Bücher aus den sechziger Jahren auch heute noch von mehr als historischem Interesse. Als einer der Ersten hat Scharang die oft mechanistischen Verfahren der Wiener Gruppe oder auch seines Altersgenossen Peter Handke ins Politische gewandt. Seine Texte schaffen die seltene Synthese, selbstreflexiv, also sprachbewusst zu sein und – über die Sprachverwendung – gesellschaftliche Zustände und Zusammenhänge auf den Begriff zu bringen. Wenn es eines Nachweises bedarf, dass experimentelle Literatur nicht wirklichkeitsfremd sein muss, dann wäre er durch Scharangs frühe Bücher erbracht. Zu besorgen beim Antiquar ihres Vertrauens.