Normalfall Clement

Kader und Kommandeure Warum empört sich die SPD?

Die Entrüstung unter den Sozialdemokraten ist groß, nicht über die angeblich den Grundsätzen der Partei widersprechenden Ansichten ihres Noch-Mitglieds Clement, sondern über seinen Aufruf, in Hessen nicht die SPD zu wählen. Die vorherrschende Meinung der SPD-Nomenklatura sprach der Thüringer Vorsitzende Christoph Matschie aus: "Wolfgang Clement sollte selbst so konsequent sein und sagen, wessen Interessen er vertritt. Und das sind nicht die der SPD." Nach den Interessen der Wähler, der Menschen in und außerhalb der SPD fragt keiner. Clement wird für die SPD erst zum "Fall", wenn er der Partei schadet, indem er ihre Wahl gefährdet.

Demgegenüber hat Clement die lautere Wahrheit gesagt: "Ich habe die Positionen beschrieben, für die ich ein Leben lang gekämpft habe, und dabei bleibt es." Gegen diese Position hatte und hat man in der Partei nichts einzuwenden, solange sie nicht die Posten der Funktionäre in Frage stellt. Die Position Clements heute wie ehedem lässt sich mit der einfachsten Antwort auf Matschies Frage bestimmen: Er vertritt die Interessen der Wirtschaft. Für die er ein Leben lang gekämpft hat.

Dass es zwischen den Interessen der Wirtschaft und den Interessen der Lohnabhängigen einen Gegensatz gibt, hat die SPD seit langem verdrängt. Sie kennt nur noch die Interessen der Partei, nicht die ihrer einstigen Klientel. Deshalb jault sie erst auf, wenn einer ihrer prominenten Repräsentanten gegen die Partei auftritt. Dass der immer schon die Interessen der arbeitenden Menschen verraten hat, nahm sie nicht einmal wahr.

Clement ist kein Kuriosum, sondern der Normalfall. Es ist doch kein Versehen, dass fast alle Spitzenfunktionäre der SPD, wenn sie aus der Politik ausscheiden (müssen), gut gepolstert bei der Wirtschaft landen. Ein paar Namen gewünscht? Volker Hauff war Minister im Kabinett Helmut Schmidt, später Oberbürgermeister von Frankfurt/ Main. Danach arbeitete er in leitender Position für das Wirtschaftsberatungsunternehmen KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft. Björn Engholm war Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, kurzfristig sogar Bundesvorsitzender. Gleich nach seinem Rücktritt wurde er Berater des Energiekonzerns Preußen-Elektra. Dieter Spöri war in den Jahren der großen Koalition Mitglied des Kabinetts Erwin Teufel in Stuttgart. Von dem SPD-Genossen wurde gesagt, er sei "der beste Wirtschaftsminister, den die CDU je gehabt hat". Aus der Regierung verabschiedet, machte er sich die Interessen von Daimler zur Lebensaufgabe.

Dann gab es doch auch einen Gerhard Schröder, dessen gegenwärtiger Einsatz für die Interessen der Arbeitnehmer ein gut gehütetes Geheimnis bleibt. Seinen Freund, den einstigen österreichischen Kanzler Viktor Klima, hat er gleich nach dessen "Entlassung" an den VW-Konzern empfohlen. Und Caspar Einem, Minister in mehreren Ressorts und von Linken in der SPÖ für einen der Ihren gehalten, nimmt mittlerweile die Interessen der JetAlliance wahr, die "in allen Bereichen der gewerblichen Luftfahrt erfolgreich tätig" ist und "ihren Kunden eine umfangreiche Palette von Luftfahrtprodukten" anbietet. Es handelt sich um jenen Caspar Einem, der noch vor etwas mehr als einem Jahr tönte: "Es geht darum, ob wir ein neoliberales Gesellschaftsmodell wollen, in dem es in erster Linie um die Wohlhabenden und Reichen geht, oder eines, in dem es ein Mindestmaß an praktizierter Solidarität und Geborgenheit für alle Menschen gibt. Wer nicht weiterhin Schüssel will, muss SPÖ wählen - da gibt es keine Alternative." Er hat zur Wahl der SPÖ aufgerufen. Er hat den Interessen der Partei nicht geschadet. Welche Positionen er in Wahrheit vertritt, bleibt Nebensache.

Preisfrage: Welcher sozialdemokratische Ex-Politiker hat sich um eine Stelle bei der Gewerkschaft beworben? Irgendwann, weit zurück in der Geschichte, betrachteten die Industriellen die Sozialdemokraten als ihre Feinde, die es zu bekämpfen galt. Heute sind sie ihre Erfüllungsgehilfen, die ihrerseits "ein Leben lang" für die Interessen der Wirtschaft kämpfen. "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" - ein lächerlicher Slogan? Er war noch nie so zutreffend wie heute. Wer nur auf Clement schielt, verkennt die Realität.

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