Reden wir übers Geld

Bühne Was kann das Theater noch können, was die Interviews mit dem Macher nicht schon erzählt haben: Andres Veiels viel beachtetes Bankenwelten-Stück "Das Himbeerreich"

Die Interviews häuften sich, noch ehe das Stück uraufgeführt war. Gewiss, Andres Veiel ist ein angesehener Filmemacher, aber für die Bühne arbeitet er gerade zum zweiten Mal. Wie ist dieses außergewöhnliche Interesse für eine Theaterpremiere zu erklären? Was hat es zu bedeuten, den Autor und Regisseur im vorhinein um Erzählungen zu bitten, statt abzuwarten, welches Ergebnis seine Arbeit liefert?

Das hat mit dem Thema zu tun. Veiels Stück Das Himbeerreich spielt im Bankermilieu, und das erregt neuerdings mehr Neugier als die Mafia oder die Welt der Gangster. Godfather Michael Corleone machte seine Geschäfte noch mit der Vatikanbank, und Christopher Moltisanti aus den Sopranos wurde zum Börsenmakler.

Aber es gilt Brechts genialer Satz aus der Dreigroschenoper: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank.“ Veiel umgeht die offensichtlich kriminellen Institutionen und begibt sich direkt an die Quelle. Dass er das nicht im Medium des Dokumentarfilms tut, verweist auf den kriminellen Rest: Seine Informanten bestehen auf Anonymität. Die ist gewährleistet, wo Schauspieler ihre Rollen übernehmen. Das begründet – siehe das Gespräch mit Veiel im Freitag der vergangenen Woche – die Entscheidung für das Medium Theater und gegen den Dokumentarfilm.

Dennoch bleibt die Frage, wozu es das Theater benötigt, wenn die Medien der Meinung sind, der Autor könne, was er zu berichten habe, auch in Interviews sagen? Ein Drama jedenfalls mit ausgefeilten Dialogen und einer mehr oder weniger spannenden Handlung ist es nicht geworden.

Was die Koproduktion des Schauspiels Stuttgart mit dem Deutschen Theater Berlin rechtfertigt, ist einmal die bildkräftige Positionierung der Figuren im metallisch ausgekleideten Raum mit automatischer Schiebetür und zwei gläsernen Fahrstühlen und zum zweiten die auratische Präsenz des gesamten Ensembles: Susanne-Marie Wrage, Ulrich Matthes, Joachim Bißmeier, Manfred Andrae, Sebastian Kowski und Jürgen Huth. Sie sprechen, was Veiel in langen Befragungen erfahren, zusammengestrichen und montiert hat, andeutungsweise zu einander oder frontal zum Publikum. Dazu kommt, aus Lautsprechern, ein Chor, der von der Nachkriegszeit erzählt.

Veiels Protagonisten sind keine Charaktere, sondern Typen mit schematisierten Zügen, die sie von einander unterscheiden. Zwei von ihnen zitieren gar Brecht und Ingeborg Bachmann. Die Maxime ihres Denkens lautet: „Wir hatten immer gefragt, wo wird Geld gebraucht und es dann dort hingegeben. Heute fragen wir nicht, wo wird es gebraucht, sondern wo bringt es den höchsten Ertrag.“

Die Rede ist von einem Deal, dessen Risiko erkannt wurde, bei dem die zugrunde liegenden Zahlen aber geschönt wurden, weil es politisch gewollt wird. Die Banker durchschauen, jedenfalls retrospektiv, ihre Rolle im System, aber ihre Reaktionen auf manifeste Übel sind vielfältig. Wissen verhindert falsches Handeln nicht. Da berührt sich Veiels Stück mit einem der erfolgreichsten Dokumentardramen der deutschen Literatur, mit Heinar Kipphardts In der Sache J. Robert Oppenheimer.

Veiel vermeidet die Falle, die Mitleid für die „armen Reichen“ erheischte. Er durchleuchtet vielmehr ein System, in dem diese Gefangene ihrer Angst vor Degradierung sind und am Ende mit einem Notfallhandbuch in einem Bunker zurückbleiben, als der Chauffeur mit dem Fahrstuhl nach oben entschwindet.

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