Die Ehren-Ruth, der Ehrenpreis des deutschen Folk- und Weltmusik-Preises Ruth (Nachfolger des seit 1992 verliehenen FolkFörderPreises), wird jährlich an eine Institution oder Einzelperson verliehen, die sich um die Förderung der traditionellen Musik unserer Welt nachhaltig verdient gemacht hat. Im Jahr 2004 ging dieser Preis an Walter Moßmann. Wir dokumentieren die Laudatio, die Freitag-Autor Thomas Rothschild bei der Verleihung Anfang Juli auf dem Tanz Folk Festival in Rudolstadt hielt.
Wenn Walter Moßmann heute im Rahmen eines Folkfestivals einen Preis für sein Lebenswerk erhält, so bedarf es für die Begründung keiner terminologischen Verrenkungen. Denn viele von Moßmanns Liedern sind zu Volksliedern geworden. Das war kein Zufall und kein Versehen, sondern Absicht. Denn Moßmann hat sich nie in erster Linie als Künstler verstanden mit all den Eitelkeiten, die zu dieser Profession gehören, sondern als Teil politischer Bewegungen, als Teil also dessen, was man so missverständlich das Volk nennt, dem man anonyme Lieder, Volkslieder eben, zuschreibt. Dem entspricht auch seine Laxheit in Sachen musikalischen Eigentums. Wenn ihm eine Melodie gefiel, wenn sie ihm geeignet erschien zur Vertonung eines eigenen Textes, dann nahm er sie sich, als wäre sie kollektiver Besitz, wie es Volkskunst nun einmal ist.
Wenn Walter Moßmann gemeinhin in einem Atem mit Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp, Hannes Wader und Wolf Biermann genannt wird, so deshalb, weil er jener Generation angehört, die in den heroischen Jahren des politischen Liedes, in den sechziger Jahren, die Szene betrat und bestimmte, weil er mit den Genannten jene Spezies repräsentiert, für die man damals das bescheidene Wort "Liedermacher" prägte. Mehr noch als Degenhardt, Wader oder Biermann war Moßmann zu Beginn vom französischen Chanson beeinflusst. Was ihn mit Degenhardt, Süverkrüp, Biermann von Anfang an verband, war der Wunsch, einzugreifen in die politische Realität und die Überzeugung, dass das mit den Mitteln des Liedes, mit Text, Musik und Vortrag möglich sei.
Vor langer Zeit erzählte er gelegentlich von seiner Phantasie, wonach er ein Lokal betritt, in dem aus der Musicbox eines seiner Lieder erklingt. Ein schönes Mädchen steht daneben und lauscht fasziniert. Er stellt sich dazu und singt leise mit. Darauf das Mädchen: "Sei still, du singst falsch. Ich will den Walter Moßmann hören!" Bald aber begriff er, dass sich Selbstdarstellung und gesellschaftliche Wirkung nur schwer vereinbaren lassen. Von Moßmann stammt der Begriff "Flugblattlieder", und der war Programm: Wie Flugblätter in der Französischen Revolution und danach weitergegeben wurden, ohne Nennung ihrer Autoren, um Informationen zu verbreiten, um zu Aktionen aufzurufen, um die Welt zu verändern, so sollten seine Lieder der öffentlichen Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Nicht die Regeln des Marktes, nicht eine verkaufsfördernde Warenästhetik interessierten Moßmann, sondern der Gebrauchswert seiner Produkte, die mit ästhetischen Mitteln politisch wirken wollten.
In der Nutzung von ästhetischen Mitteln war Moßmann freilich keineswegs bescheiden. Seine Lieder zeichnen sich aus durch eine Vielfalt von Themen, von Verfahren, von stilistischen Eigentümlichkeiten. Moßmann hat mit Witz und mit Ironie gearbeitet, mit groben plebejischen Kunstmitteln des Spotts und der Satire, und mit raffinierten Verfahren, wie sie die politische Lyrik von Heine bis Tucholsky, von Villon bis Brecht entwickelt hat. Agitprop, also Agitation und Propaganda, war für Moßmann niemals ein Schimpfwort, und seine Lieder über und für die Anti-KKW-Bewegung, für den Häuserkampf, für Solidaritätsinitiativen zugunsten der so genannten Dritten Welt stehen im besten Sinn in der Agitprop-Tradition der Roten Revuen und des linken Kabaretts. Es sei an die Titel einiger Schallplatten erinnert, an die Achterbahn Chansons von 1967 und die Große Anfrage von 1968, an die Flugblattlieder und die Neuen Flugblattlieder, an Frühlingsanfang und Hast Du noch Hunger.
Anlässlich des 40. Jahrestags des ersten Festivals auf der Waldeck wurde verschiedentlich zeitgeistkonform bedauert, dass sich dieses legendäre Treffen 1968/69 "politisiert" habe. "Politisieren" hat für stromlinienförmige Erinnerungen einen negativen Klang, und die für die Politisierung verantwortlich waren, werden heute beschuldigt, das Waldeck-Festival kaputt gemacht zu haben. Das ist natürlich Unsinn. Was damals gefordert wurde, war nicht mehr und nicht weniger als die Umsetzung der in Liedern formulierten Thesen und Forderungen in politische Praxis, gemäß dem klugen Ausspruch in Brechts Mutter: "Zorn und Unzufriedenheit genügen nicht. So etwas muss praktische Folgen haben." Die Wahrheit ist: der Geist der Waldeck lebt weiter - zum Beispiel beim Mainzer Open-Ohr-Festival, das heuer zum 30. Mal stattfand, zum Beispiel in Rudolstadt. Wenn diese Tradition bedroht war und ist, dann nicht durch Politisierung, sondern durch eine Kommerzialisierung, die den Protest verdrängt oder sich eingemeindet und damit harmlos gemacht hat. Walter Moßmann hat sich dieser Entwicklung stets entgegengestellt. Und gerne hörte man von jenen, die den politischeren unter ihren Kollegen um 1969 vorwarfen, sie hätten sie mundtot gemacht, dass sie sich über Medien empören, die diesen Kollegen längst jede Öffentlichkeit vorenthalten.
Moßmann war niemals ein naiver Künstler. Er hat über seine Arbeit - seine politische wie seine künstlerische und seine künstlerische als politische Arbeit - fortgesetzt nachgedacht und die Ergebnisse seiner Überlegungen weitergegeben. Das Buch Wir haben jetzt die Schnauze voll. Alte und neue politische Lieder, das er mit seinem Freund, dem Musikwissenschaftler Peter Schleuning geschrieben hat, gehört zum Klügsten, was seit Hanns Eisler zu diesem Thema publiziert wurde.
Es fällt auf, dass das Format des Liedes für die meisten politischen Liedermacher irgendwann zu eng wurde, dass sie größere Formen ausprobierten, um komplexere Zusammenhänge analysieren und darstellen zu können. So auch Walter Moßmann. Besonders erwähnt seien das Unruhige Requiem, das Moßmann zusammen mit Heiner Goebbels schrieb, sowie ein Konzeptalbum, das Moßmann selbst eine Chantstory, also eine mit Chansons durchsetzte Geschichte nennt. Moßmann ist darin sich und seinen Interessen treu geblieben: der Liebe zu Frankreich und zum französischen Chanson und der Sympathie für revolutionäre Bewegungen und ihre Protagonisten. Begleitet von dem Pianisten Joschi Krüger erzählt und besingt Moßmann die Geschichte von Sophie Lapierre, einer historischen Figur aus der Zeit nach der französischen Revolution, aus dem Umkreis von Babeuf. Von ihr selbst sind vier Lieder erhalten, die Moßmann in seiner Chantstory verwendet. Auch das kennzeichnet Moßmann und verbindet ihn mit dem in seinem Freiburg ansässigen Volksliedarchiv: dass er sich mit der Geschichte des Liedes beschäftigt, sammelt und vorträgt, was ansonsten dem Vergessen verfiele. Hierher gehört auch die Zusammenarbeit mit Barbara James an der Herausgabe von Liedern der deutschen Revolution unter dem Titel Glasbruch 1848.
Eine heimtückische Krankheit machte es Moßmann unmöglich, weiterhin zu singen. Seine Exkursionen in andere künstlerische Bereiche erleichterten es ihm, nun nach neuen Möglichkeiten des Ausdrucks zu suchen. Denn dass ein so durch und durch politischer Mensch wie Walter Moßmann verstummen würde, war nicht zu erwarten. Er hat, in einem Nahverhältnis zur Freiburger Medienwerkstatt, an Filmen mitgearbeitet und fürs Fernsehen mehrere Dokumentationen gedreht. Er hat, unter anderem und immer wieder mit dem Komponisten Cornelius Schwehr, für das Theater gearbeitet. Er entdeckte für sich Osteuropa und insbesondere die Ukraine. Er hat, nachdem er schon zuvor zu den verschiedensten Themen publiziert hatte, leider viel zu wenig bekannte Aufsätze geschrieben über die Ambivalenz der politischen Entwicklung im ehemaligen Machtbereich der Sowjetunion, über den neuerdings wiederentdeckten Autor der Zimtläden Bruno Schulz, aber auch über die gegenwärtige Lage in einem Teil der Welt, der trotz seiner geographischen Nähe bei uns noch kaum wahrgenommen wird.
Die Erfahrungen im Kampf gegen Kernkraftwerke im Dreyeckland, also im badisch-elsässisch-schweizerischen Grenzgebiet, die unmittelbare Zusammenarbeit mit der bäuerlichen Bevölkerung, die sich in so vieler Hinsicht von den Studenten der 68er-Generation unterschied, die Euphorie einer erfolgreichen Basisbewegung haben Moßmann gewiss sehr stark geprägt. Sie haben die Konzeption der "Region" für ihn zu einer zentralen Kategorie werden lassen. Moßmann und Freiburg oder, allgemeiner, der badisch-alemannische Raum - das wäre ein Thema für sich, über das nachzudenken lohnte. Denn es gibt kaum einen zweiten deutschen Liedermacher und politischen Aktivisten, der so sehr und so andauernd dem Ort seiner Sozialisation verbunden und zugleich so weltläufig wäre wie Walter Moßmann. Dabei haben Staatsgrenzen für ihn nie eine Rolle gespielt. Mit Blick auf die Wetterkarte im Fernsehen sagte er einmal: "Frankreich hat kein Wetter" und machte damit auf die Absurdität aufmerksam, dass Wolken oder Sonnenschein Deutschlands Grenzen auf dieser Karte niemals überschritten. Diese Verankerung in der Region, jenseits von nationalen Beschränkungen, stand für Moßmann niemals in Widerspruch zu seiner Liebe zu Italien, zu seinem Engagement für die Entwicklungsländer, insbesondere für Lateinamerika, und später für Osteuropa. Eine Zeit lang neigte er dazu, das Potential gemeinsamer Interessen über die Grenzen hinaus zu überschätzen. Doch Moßmann hat nicht gezögert, seine eigenen Positionen zu überprüfen und wenn nötig, wenn neue Tatsachen und Erkenntnisse es erforderten, zu revidieren.
Aber anders als viele seiner einstigen Kampfgenossen erlag Moßmann niemals der Versuchung zum Renegatentum, zu einer konservativen Einkehr. Biermanns "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" diente ihm nie zur Rechtfertigung einer Anbiederung an die Mächtigen, an die Verteidiger des Status quo. Moßmann hat dazugelernt, hat neue Fragestellungen und überraschende Aspekte entdeckt, aber er ist im besten Sinne des Wortes Außenseiter geblieben, ein Unangepasster, ein Provokateur. Wenn das vielleicht nicht so wahrgenommen wird, dann liegt das an einer veränderten Öffentlichkeit, die nicht einmal mehr repressive Toleranz üben muss. Moßmann gehörte einst zu jenen, die sich ideenreich und aktiv für die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit einsetzten. Die ist heute weitgehend verschwunden im Konsens einer profitorientierten Marktgesellschaft. Umso lobenswerter erscheint es, wenn man sich an einem der wenigen Orte, an denen noch nicht die amerikanisierte Einheitskultur herrscht, Moßmanns entsinnt und ihn für sein Lebenswerk, das ja noch lange nicht abgeschlossen ist und von dem wir uns noch viel erwarten, auszeichnet. Ich gratuliere Walter Moßmann zur Ehren-RUTH, die er, wie wenig andere, verdient hat.
Bei Trikont sind dieser Tage vier CDs mit Chansons, Balladen, Flugblattliedern Walter Moßmanns aus den Jahren 1963-1983 sowie dem Unruhigen Requiem erschienen.
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