Störaktionen

Spricht seine Zuschauer unmittelbar an Der Kabarettist Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig auf Tour

Dieter Hildebrandt ist immer Dieter Hildebrandt, und Bruno Jonas ist immer Bruno Jonas. Frank-Markus Barwasser aber ist Erwin Pelzig. Und wer ist Erwin Pelzig? Äußerlich, mit seinem rotkarierten Hemd, seinem Trachtenjanker, seinem weichen Kordhut und dem Herrenhandtäschchen am rechten Handgelenk: ein Provinzler, dem man so arg viel nicht zutraut. Aber als Charakter macht er es dem typenverwöhnten Kabarettpublikum nicht leicht. Er ist weder der klassische "Dumme", noch der ebenso klassische "Oberg´scheite"; er sagt Dinge, die Zustimmung, und andere, die Widerspruch herausfordern. Er setzt die Gegenstände seiner Aussagen, aber auch sich selbst der Lächerlichkeit aus. Nach schnellen Lachern schielt er nicht.

Hatten die Trendanalysten nicht unlängst erst das politische Kabarett totgesagt? Alles Quatsch. Wo Erwin Pelzig auftritt, stehen die Leute an den Kassen Schlange. Sein Erfinder und Verkörperer hat zu Recht die renommiertesten Kabarettpreise eingeheimst. Nun dringt sein Ruhm über die Grenzen seiner fränkischen Heimat hinaus.

Barwasser/Pelzig rechnet vor, wie viel man sich, nach dem Modell Saddam Hussein, an Kopfgeld verdienen könnte. Er spricht von Mannesmann und von Gerhard Schröder und, immer wieder, von der Wirtschaft und der Börse. Er habe sich 52 Aktien von 52 Unternehmen gekauft, um sich bei deren Aktionärsversammlungen zu Wort zu melden. So spreche er nicht mit Schröder, sondern gleich mit dessen Chefs. Zu den Versammlungen gehe er, um zu stören. "Man erreicht doch nichts, wenn man stört? Ich erreiche ja so auch nichts. Da möcht´ ich wenigstens stören."

Ist Arnold Schwarzenegger ein Trottel, fragt Pelzig. Er verneint die Frage, um gleich hinzuzufügen: "Warum soll ein Trottel nicht Politik machen dürfen?" Schlimmer, als es schon sei, könne es nicht werden. Und Pelzig zählt die Trottel auf, die in der Politik und nicht nur dort das Sagen haben. Er erwähnt eine Fernsehsendung, in der Uschi Glas zwei Jahre nach dem 11.9.2001 gestand, sie würde - deshalb - das Oktoberfest nicht besuchen. Pelzigs maliziöser Kommentar: "Das Attentat war doch schlimm genug. Da muss man doch nicht noch zwei Jahre danach die Uschi Glas ausgraben."

Pelzig fordert für richtige Antworten in Schulen, nach dem Vorbild von Jauchs Quiz-Show, Geld statt Noten, "Noten von der Notenbank". Das Fernsehen ist eben fürs politische Kabarett eine unerschöpfliche Fundgrube. Und die Allgegenwart des Geldes auch.

Barwasser/Pelzig holt aus alltäglichen Situationen das Groteske hervor, er spinnt in der Tradition eines Karl Valentin, wenngleich nicht ganz so verzwirbelt, Gedanken fort, bis sie sich ad absurdum führen. Was etwa denkt sich eine Fliege, die in Kiel in ein Auto gesperrt wird und in Innsbruck wieder hinausfliegt?

Zwischendurch beweist Barwasser, dass er in andere Rollen schlüpfen und Grimassen schneiden kann, obwohl sein dreistündiges Programm solche Auflockerung nicht benötigt. Sein Doktor Göbel, der mit Hartmut und Pelzig am Stammtisch sitzt, fordert gesellschaftliches Engagement, eine Patenschaft für ein indisches Kind oder Mitarbeit bei der Aktion "Rettet die Gondelbahn". "Ich lächle jeden Tag einen Moslem an", bekennt Göbel. "Das kostet nichts und macht viel Freude."

Pelzig spricht Leute aus dem Publikum direkt an. Das ist stets lustig für alle Anderen. Für die Angesprochenen, wenn sie nicht gerade zu den ganz Geltungsbedürftigen gehören, ist es eher peinlich. Aber Barwasser macht etwas aus dieser etwas verbrauchten Technik, die er im übrigen selbst ironisch thematisiert: Nach der Pause demonstriert er, wie die scheinbar belanglosen Fragen nach Kindern, Auto oder Rauchgewohnheiten Profile ermöglichen für die Konsumentenforschung, für einen Markt, der alles weiß: "Er regiert, und wir haben ihn nie gewählt."

Ist das noch komisch? Genau das unterscheidet das quietschlebendige politische Kabarett von der aufgemotzten "Comedy": dass sich hinter aller Komik Abgründe auftun. Lachen darf man trotzdem. Aber nicht unter dem eigenen Niveau.


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