Und die schieben Zwerge

Bühne Die kitschige Inszenierung des Kindertheaters „Schneewittchen“ durch die Nouvelle Compagnie bei den Salzburger Festspielen sagt auch etwas über das Theater unserer Zeit
Ausgabe 34/2013
Und die schieben Zwerge

Foto: Gabriel Bouys/AFP/Getty Images

Würde ein Kinderstück das Vergnügen preisen, das es macht, wenn man einer Katze eine Konservendose an den Schwanz hängt, gäbe es einen lauten Aufschrei: Theater, würde man mahnen, habe eine erzieherische Aufgabe – umso mehr, wenn es sich an Kinder wendet. Diese Warnung ist kurioserweise vergessen, wenn es nicht um moralische, sondern um ästhetische Belange geht. Offenbar scheint es als gefahrlos zu gelten, wenn Kinder mit einem Schmarren konfrontiert werden, der für ihre ästhetische Entwicklung nicht weniger verheerend ist als die Dose am Schwanz der Katze für die ethische.

Allmählich muss man doch am Geschmack von Sven-Eric Bechtolf zweifeln, der für das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele verantwortlich zeichnet und ab 2015 zwei Jahre lang den verabschiedeten Intendanten ersetzen wird. Was ist bloß in ihn gefahren, als er den geballten Kitsch des Kinderstücks Schneewittchen einlud?

Zeichen der Restauration

Wir waren doch schon weiter. Im Gefolge der antiautoritären Bewegung der sechziger Jahre wurde das traditionelle Weihnachtsmärchen an den Stadttheatern durch ein modernes, die gesellschaftlichen Realitäten berücksichtigendes Kindertheater ersetzt. Vorbilder waren Neugründungen wie GRIPS oder Rote Grütze, die sich ihrerseits auf eine sehr viel längere Tradition des anspruchsvollen Kindertheaters in Großbritannien beziehen konnten.

Gemessen an dieser Tradition muss das Schneewittchen der Nouvelle Compagnie beziehungsweise seine Einladung nach Salzburg als Zeichen der Restauration gewertet werden. Gerne würde man das als marginale Beiläufigkeit betrachten, wenn es nicht so perfekt in die übergreifende Programmierung des diesjährigen Sprechtheaterspielplans passte.

Aber Schneewittchen signalisiert nicht nur durch die völlige Absenz von gesellschaftlicher Relevanz eine restaurative Tendenz. Auch immanent, als Bildertheater, bleibt es weit hinter aktuellen Bestrebungen auf diesem Gebiet zurück. Seine Ästhetik orientiert sich an Kinderbuchillustrationen der süßlichsten und verlogensten Art. Verglichen damit erscheinen selbst die Scherenschnittfilme Lotte Reinigers oder das hinreichend kitschige Zeichentrick-Schneewittchen von Walt Disney avantgardistisch.

Sie mögen, wie Schatten- und Puppentheater, für die französische Truppe Pate gestanden haben. Die Zwerge treten denn tatsächlich als Puppen auf, die lediglich auf die Bühne geschoben werden und den Kopf hin und her wenden. Das Märchen, dessen Kenntnis bei Kleinkindern offenbar vorausgesetzt wird, spielt sich, in unvariierter Zeitlupe, hinter einem durchsichtigen Vorhang ab, der die Bilder wie durch Milchglas gebrochen erscheinen lässt. Die Dramatisierung geht nirgends über die Vorlage hinaus, schöpft sie, im Gegenteil, noch nicht einmal aus. So bleiben die Zwerge eine Zutat, fast verzichtbar und ohne Differenzierung.

Ganz nebenbei ist diese Inszenierung ein starkes Argument gegen die Bühnenbearbeitung erzählender Texte. Sie begeht Verrat an allem, was Besonderheit und Reiz des Märchens erst ausmacht: die refrainartige Wiederholung („Spieglein, Spieglein an der Wand“), die Dreizahl (bei den Tötungsversuchen der Königin), die wunderbare Wiederbelebung Schneewittchens durch das Stolpern der Sargträger, das den vergifteten Apfel aus dem Hals des Opfers befördert. Was bleibt, wenn man all dies entsorgt? Kitsch, sonst nichts. Kinder haben Besseres verdient.

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