Verbrechen und Strafe

Salzburg I Jürgen Flimm darf zufrieden sein. Drei Tage vor Beginn der Salzburger Festspiele versprach sich der österreichische Bundespräsident bei der Eröffnung ...

Jürgen Flimm darf zufrieden sein. Drei Tage vor Beginn der Salzburger Festspiele versprach sich der österreichische Bundespräsident bei der Eröffnung der Bregenzer Konkurrenz und machte daraus die - Salzburger Festspiele. Dass einem zum Stichwort "Festspiele" immer nur Salzburg in den Sinn kommt, das könnte ein Regieeinfall des in Sachen öffentliche Wirkung selbst Claus Peymann beschämenden Intendanten sein. Vor einem Jahr erklärte Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, die Jeanne d´Arc der SPÖ, die Eröffnungsreden bei den Festspielen seien ein überholtes Ritual. Die Leitung hat sich das zu Herzen genommen und die Flucht nach vorne angetreten. Nach Václav Havel, George Steiner oder Barbara Frischmuth wurde heuer Elke Heidenreich eingeladen, um die Notwendigkeit von Eröffnungsreden unter Beweis zu stellen. Ob Bachmanns Hinterlassenschaft für 3sat, ob Jedermanns Buhlschaft oder Heidenreichs Botschaft - das Fernsehen bestimmt die Regeln. Literatur, Theater oder Intellekt zählen nicht mehr. Nicht die Kurzsichtigkeit einiger 68er, das marktkonforme Quotendenken hat zerstört, was an der bürgerlichen Kultur zu verteidigen wäre.

Das ist der Widerspruch, den man Jahr für Jahr aushalten muss, wenn man sich entschließt, die Salzburger Festspiele zu besuchen: dass man künstlerische Leistungen, deren Genuss man jedem Hartz-IV-Empfänger und jedem von einer höheren Bildung Ausgeschlossenen wünschen möchte, nur in der Nachbarschaft von Snobs, Steuerhinterziehern und Society-Nullen serviert bekommt, die ihre Prominenz ausschließlich den Medien und deren Tratschkolumnen verdanken. Soll man nun Bartók, Boulez oder Brecht prügeln, wenn man eigentlich jene meint, von denen die drei einst wenig hielten?

Sinn und Unsinn von Bühnenadaptionen bekannter Romane sollen hier nicht ein weiteres Mal diskutiert werden. Dostojewskijs Verbrechen und Strafe, bis zu Swetlana Geiers Übersetzung unter dem ungenaueren Titel Schuld und Sühne oder Raskolnikow bekannt, gehört jedenfalls zu den am meisten geschätzten Vorlagen. Leopold Ahlsen schrieb bereits 1960 eine viel gespielte Dramatisierung, Jurij Ljubimow am Wiener Akademietheater, Andrzej Wajda an der Berliner Schaubühne und Frank Castorf an der Volksbühne haben ihre Fassungen erstellt. Offenbar besitzt dieser Krimi - denn das ist Dostojewskijs Roman zumindest auch - in besonderem Maße das Potenzial für eine Bühnenbearbeitung: eine abgründige und doch charismatische Zentralfigur, einen geheimnisvollen Gegenspieler, eine bis zum Schluss anhaltende Spannung, zahlreiche Dialoge. Dass Andrea Breth diese Herausforderung annehmen, dann aber einen anderen Weg einschlagen würde als die Genannten, konnte ahnen, wer die Arbeit dieser wohl bedeutendsten lebenden Regisseurin im deutschsprachigen Raum verfolgt hat.

Der große Wurf ist es leider nicht geworden. Andrea Breths szenische Montage macht aus einem Hauptwerk des psychologischen Realismus ein surrealistisches Traumspiel. Stünden ihr nicht in den stilistisch divergierenden Bühnenbildern Erich Wonders hervorragende Schauspieler zur Verfügung, von denen Corinna Kirchhoff allerdings mittlerweile Artikulation für einen verzichtbaren Luxus zu halten scheint, käme die fast fünfstündige Inszenierung streckenweise über Mittelmaß nicht hinaus. Sie verhält sich bisweilen zum Drama wie ein Oratorium zur Oper. Höhepunkte sind die Begegnungen zwischen Raskolnikow (Jens Harzer) und dem Untersuchungsrichter Porfirij Petrowitsch (Udo Samel), die auf Kafkas Prozess vorausweisen - aber die sind es schon im Roman. Gegen Ende liefert Sven-Eric Bechtolf als Swidrigajlow noch ein Kabinettstück und beweist einmal mehr, dass im Theater der Bösewicht faszinierender ist als die heilige Hure.

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