Weltkrieg

Linksbündig Götz Aly flippt aus

Es spricht manches dafür, dass bei einigen Renegaten der 68er-Bewegung der eher unbewusste Wunsch einer Aussöhnung mit den Nazivätern und Nazimüttern, gegen die sie in jüngeren Jahren revoltiert hatten, die treibende Kraft war. Obwohl es einer psychoanalytischen Erklärung kaum bedarf, wo der Gesinnungswandel und die öffentliche Reue massive materielle Vorteile einbringt. Nun aber hat der Historiker Götz Aly eine abenteuerliche These in der Frankfurter Rundschau publiziert: Die 68er hätten lediglich "chinesisch, kubanisch, sowjetisch oder trotzkistisch verfremdet" eine Farce veranstaltet, die der Tragödie von 1933 folgte. Der Rekurs auf ein berühmtes Marx-Zitat soll Aly als den wahren Linken legitimieren. Sein Kronzeuge aber ist kein Geringerer als Kurt Georg Kiesinger. Der hatte im Internationalismus der Studentenbewegung "eine schulmeisterliche, missionarische Umkehrung unseres früheren extremen Nationalismus" gesehen - und Götz Aly pflichtet ihm bei.

Nachdem er eine Reihe von formalen Ähnlichkeiten zwischen der 68er-Ideologie und der Propaganda der Nationalsozialisten in ihren "Sturm- und Drangjahren" aufgezählt hat - hauptsächlich läuft es auf deren antibürgerlichen Affekt hinaus -, nennt er als "wesentlichen Unterschied" die Machtergreifung der einen und die Niederlage der anderen. Dieser Unterschied freilich, wenn er der einzige wäre, würde die 68er nicht entlasten.

Erst am Ende schreibt Aly, ganz im Geiste Kiesingers, fast beiläufig: "An die Stelle des extrem schuldbehafteten Nationalismus der Eltern setzten sie den Internationalismus". Dieser Unterschied aber füllt alle zuvor genannten Parallelen, wenn es denn welche sind, erst mit Inhalt. Wer es für vernachlässigbar hält, ob man das Volk, dem man angehört, für überlegen und alle anderen Völker potentiell für vernichtenswert hält, oder ob man für Solidarität mit den durch Jahrhunderte ausgebeuteten Menschen kämpft, könnte ebenso gut einen Parallelismus zwischen einem Mordkommando und einer Rettungsmannschaft behaupten. Beide haben es mit dem Verhältnis von Tod und Leben zu tun, wenn auch in umgekehrter Richtung. Die Entscheidung für Nationalismus oder Internationalismus ist immerhin dafür verantwortlich, ob man, wie die Nationalsozialisten, einen Weltkrieg anzettelte, oder ob man, wie die 68er, die Beendigung eines Krieges zum zentralen Thema machte.

"Beide Studentenbewegungen protestierten gegen den Muff von tausend Jahren", schreibt Aly, um dann nebenbei die NS-Forderung nach "Errichtung rassenkundlicher Lehrstühle" zu erwähnen. Eine belang- und folgenlose Beigabe?

Die einzelnen von Aly als Beleg für einen angeblichen Parallelismus angeführten Zitate beweisen für sich genommen nichts außer der Unfähigkeit des Historikers, Zusammenhänge zu rekonstruieren. Wenn etwa Dutschke an die "Machtfrage" erinnert, dann ist er damit von Gerhard Schröder oder Angela Merkel nicht weiter entfernt als von den Nationalsozialisten. Wer ginge in die Politik, wenn er (und sie) nicht auch Macht anstrebte? Ausschlaggebend ist schließlich, wie die Macht genutzt wird. Sollte Aly da zwischen den 33ern und den 68ern keine fundamentalen Unterschiede in der Programmatik und erst recht in deren Umsetzung bemerkt haben? Und wo Aly sehr pauschal von einer "Jugenddiktatur" spricht (Milan Kundera hat in seinem Roman Das Leben ist anderswo dazu weitaus Klügeres geschrieben), ließen sich ebenso viele "Parallelen" zu den Halbstarken, den Punks oder dem Wandervogel entwerfen wie zu den Nazis.

Es ist bezeichnend, dass Götz Alys Denunziation nicht etwa in der FAZ, sondern in der Frankfurter Rundschau erschienen ist, die einmal so etwas wie das inoffizielle Zentralorgan der Studentenbewegung war. Da haben sich ein Autor und ein Medium gefunden. Das Ergebnis ist weder Tragödie, noch Farce, sondern pure Idiotie. Den Schaden trägt Götz Aly. Mit diesem Machwerk hat er die Seriosität seiner früheren, oft umstrittenen Veröffentlichungen retrospektiv in Frage gestellt.

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