Wann immer davon die Rede war, mit Gedichten könne man kein größeres Publikum erreichen, gehörte Ernst Jandl zu den paar Dichtern - neben Fried oder Rühmkorf, um nicht in den hier irrelevanten Trivialbereich abzurutschen, aus dem sich in manchen Städten die öffentlichen Verkehrsmittel bedienen -, die als Gegenbeweis herhalten durften. So erfreulich Jandls Erfolg weit über die Grenzen der Lyrik-Habiutés hinaus ist: er dürfte auf einem Missverständnis beruhen. Man hielt, was dieser Mann niederschrieb oder, besser noch, mündlich vortrug, für einen Spaß, für witzige Belanglosigkeit, die sich mühelos einordnen ließ in eine Kultur, die mit Namen wie Ingo Insterburg, Mike Krüger oder Helge Schneider markiert ist.
Werch ein Illtum. Damit freilich sind wir bei einem zweiten Missverständnis, das dem ersten entgegengesetzt scheint und sich in Wahrheit mit ihm kreuzt. Dass Jandls Kurzgedicht von der Verwechslung von Rinks und Lechts zu einem wohl meistzitierten wurde, legt den Verdacht nahe, dass man hungrig nach jenem "tieferen Sinn" gierte, den diese paar Zeilen zu vermitteln scheinen. Dabei wurde ihnen gern eine politische (und damit: reaktionäre) Bedeutung zugeschustert, für die es in ihrem Wortlaut selbst nicht den geringsten Hinweis gibt - als ließen sich "rechts" und "links" nicht anders als in der aus der parlamentarischen Sitzordnung abgeleiteten Metaphorik verstehen.
Beide Missverständnisse verdanken sich einer hartnäckigen, in Schulen und Literaturkritiken stets aufs Neue bestärkten Tradition, in der Sprachspiele allenfalls belanglos oder für außerliterarische Bedeutung instrumentalisierbar, nicht aber die Bedeutung selbst sein können, nämlich Reflexion auf die Funktion und das Funktionieren von Sprache. Sprachkritik, das ist bekannt, ist in der österreichischen Literatur stärker verankert als in den anderen europäischen Literaturen. Es lag nahe, Jandl in den Kontext der Wiener Gruppe zu stellen, deren Mitglieder zudem seiner Generation angehören. Die Wahrheit ist, dass die Beziehungen zwischen Jandl und den Repräsentanten der Wiener Gruppe stets ambivalent waren. Es blieb dem Deutschen Reinhard Döhl beschieden, Jandl für ein größeres Publikum zu entdecken.
Aber ob Jandl nun mit den Dichtern der Wiener Gruppe (die als Gruppe im strengen Sinn ohnedies ein Mythos ist) verwandt ist oder nicht - er teilt mit ihnen gewiss manche Wurzeln: den Dadaismus, den Futurismus, manche Ausprägungen des Expressionismus. Was ihn in seiner Generation vor allen anderen auszeichnete, ist in der Tat die Entdeckung der Produktivkraft des Witzes, der Pointe für die Sprachkritik sowie die konsequente Nutzung der von der Literaturwissenschaft erst später wiederentdeckten Mündlichkeit. Jandls Werk kam so ganz erst zu sich, wenn man es nicht las, sondern (aus seinem Munde) hörte. Nicht zufällig hat er zusammen mit Friederike Mayröcker mit Fünf Mann Menschen einen Meilenstein der Hörspielgeschichte geschaffen, nicht zufällig schrieb er auch für die Bühne mit seinem konjunktivischen Stück in der dritten Person Aus der Fremde ein Sprach- und Sprechstück, das in der neueren Dramatik seinesgleichen sucht, nicht zufällig begeisterte er sich zeitlebens für die Improvisationstechniken des Jazz, trat er selbst immer wieder mit Musikern auf.
Was auf den ersten Blick wie Spielerei aussehen mag, erweist seine Qualität, vergleicht man es mit den Produkten der zahlreichen Jandl-Epigonen. Immer wieder überrascht der Dichter durch Verfremdungen auf verschiedenen Ebenen. Er experimentiert mit den Möglichkeiten des Schriftbilds, tauscht Buchstaben beziehungsweise Laute aus, stellt Wortfolgen um, mischt verschiedene Sprachen, kombiniert entleerte syntaktische Muster und Fragmente, permutierte Silben und Phoneme, Rhythmen und Reime, simuliert defektes Sprechen. Assoziationen werden abgerufen und durch eine unerwartete Wendung uminterpretiert.
Der durch Jandls Witz produzierte Unterhaltungswert ist dafür verantwortlich, dass der privat oft mürrische und bisweilen cholerische, schon seit längerem kränkelnde Dichter weitaus bekannter wurde als seine langjährige Lebensgefährtin Friederike Mayröcker, die über Jahre hinweg als "poet's poet" betrachtet wurde. (Es ist in diesem Zusammenhang von geschmackloser Pikanterie, wenn Ivan Nagel anlässlich der Salzburger Festspiele die gewiss bedeutende Elfriede Jelinek zu Österreichs bedeutendster lebender Schriftstellerin deklarierte, als lebten Mayröcker oder auch die nach persönlichen Schicksalsschlägen völlig zurückgezogene Ilse Aichinger nicht mehr.) Jandl und Mayröcker stützten sich künstlerisch und menschlich gegenseitig, und so geht unser mitfühlender Gruß nun, da Jandl kurz vor seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag gestorben ist, an Fritzi Mayröcker.
Es könnte verlockend erscheinen, einen symbolischen Zusammenhang herzustellen zwischen Jandls Tod und den politischen Verhältnissen in seiner österreichischen Heimat. Die SPÖ hat nicht nur die Wahlen, sondern eingestandenermaßen auch die Sympathien vieler Intellektueller verloren. Jandl gehörte, nicht lautstark, aber unbeirrbar, zu den Parteigängern der Sozialdemokratie. Er konnte allerdings auch den reaktionärsten Funktionären des Literaturbetriebs etwas abgewinnen, wenn die ihm persönlich einmal Gutes angetan hatten. Literaturpolitisch besteht seine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der Mitbegründung der Grazer Autorenversammlung, 1972, als Gegenorganisation zum damals ästhetisch wie politisch erzkonservativen österreichischen PEN. Als Nachfolger von H. C. Artmann und Gerhard Rühm war Jandl mehrere Jahre Präsident der GAV.
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