Zum Beispiel Stuttgart

Bildungskatastrophe Nicht alle Reformen sind gut: Thomas Rothschild erklärt, warum es idiotisch ist, die Geisteswissenschaften an der Universität Stuttgart praktisch lahm zu legen

Es gehört zu den üblichen Argumentationsmustern, seine eigenen Interessen als allgemeine Interessen darzustellen. Wer durch Veränderungen in eine Lage gerät, in der zuvor in Anspruch genommene Privilegien bedroht sind oder auch nur der Besitzstand gefährdet ist, wird geneigt sein, der Öffentlichkeit, von der er sich Unterstützung im Widerstand gegen diese Veränderungen erhofft, einzureden, dass auch sie dadurch nur zu verlieren hätte. Das muss keineswegs so sein.

Es ist das gute Recht jedes Menschen, sich zu wehren, wenn man ihm schaden will. Aber objektiv kann durchaus der Gewinn für die Allgemeinheit größer sein und schwerer wiegen als der Verlust Einzelner oder kleiner Interessensgruppen. Wenn sich die Belegschaft eines Atomkraftwerks gegen dessen Schließung wehrt, weil keine anderen Arbeitsplätze zu erwarten sind, ist das nur allzu verständlich. Es gehört mehr als nur Großmut dazu, aus Einsicht in die Gefahren von AKWs und aus Rücksicht auf das allgemeine Interesse sich in das Elend der Arbeitslosigkeit zu begeben. Und dass sich die Öffentlichkeit sonderlich um Menschen kümmern würde, die in diese Lage geraten, lässt sich guten Gewissens nicht behaupten. Der (Gruppen-)Egoismus hat schon sehr reale Ursachen. Man muss ihm dennoch widersprechen, wenn er dem Wohl der Gemeinschaft hinderlich ist.

Der Rektor der Universität Stuttgart hat kürzlich die als „Umwidmung“ camouflierte Streichung von bis zu 25 Professorenstellen avisiert. Er will die Geisteswissenschaften und mit ihnen die Lehrerausbildung zugunsten technischer Fächer praktisch lahm legen. Inzwischen hat er diese Aussage relativiert. Aber sie steht nun einmal im Raum, und wer sie von solcher Position aus verkündet, muss damit rechnen, dass man seinen Dementis gegenüber skeptisch ist. Ich habe vier Jahrzehnte lang in einem der geisteswissenschaftlichen Institute dieser Universität gearbeitet. Hätte ich noch vor zwei Jahren die Pläne des Rektors kritisiert, hätte ich mich dem berechtigten Verdacht ausgesetzt, meine eigene Sache zu betreiben, und wäre wenig glaubwürdig gewesen. Das ist ja die Zwickmühle, die manche Wahrheit unausgesprochen bleiben lässt. Nun aber bin ich im Ruhestand. Was meine persönlichen Interessen angeht, könnte mir das Schicksal der Universität Stuttgart egal sein. Gerade deshalb aber kann ich mich dazu äußern, ohne in das geschilderte schräge Licht zu geraten.

Reformen stoßen, wie gesagt, fast immer auf den Widerstand derer, die ihre Opfer sind. Sie können, wie ebenfalls bereits betont, dennoch nötig sein. Nur: man sollte in aller Deutlichkeit aussprechen, was sie kosten. Die geplante Abschaffung der Geisteswissenschaften an der Universität Stuttgart bedeutet unter anderem: dass Kinder einkommensschwacher Familien aus dem Stuttgarter Raum, die darauf angewiesen sind, bei ihren Eltern zu wohnen, künftig keine geisteswissenschaftlichen Fächer mehr studieren können; dass die Geisteswissenschaften just am einzigen Universitätsstandort Baden-Württembergs verschwinden werden, der über ein reichhaltiges kulturelles Angebot – eine Voraussetzung für ein aufgeschlossenes Studium – verfügt; dass Stuttgart sein (bislang ungerechtes) Image als Stadt, in der Technik und Wirtschaft den Vorrang vor Kultur und Allgemeinbildung haben, forciert. Will man das? Dann weiter so.

Im Übrigen kann man dem Rektor nur wünschen, er möge einmal dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass er im Begriff ist, der ihm anvertrauten Institution zu schaden und ihr auf die Dauer den Todesstoß zu versetzen, wie es vor ihm die Bildungspolitiker und viele Hochschulprofessoren getan haben, als sie den Bachelor-Abschluss einführten oder widerstandslos hinnahmen, obwohl die katastrophalen Folgen von Anfang an erkennbar waren; wie es die Dozentinnen und Lehrbeauftragte tun, die sich den Wünschen der Wirtschaft willig fügen und literaturwissenschaftliche (!) Lehrveranstaltungen zu „Unternehmenskommunikation“, „Präsentieren und Moderieren“ oder „Verantwortungsvoll führen“ anbieten; wie es der Intendant des Süddeutschen Rundfunks getan hat, als er die Fusion mit dem Südwestfunk aus langer Hand in die Wege leitete und einmal mehr jene Fürsorgepflicht vernachlässigte, die Voraussetzung für die stets eingeforderte Loyalität der Mitarbeiter sein müsste; wie es die Kommunalpolitiker tun, die in Dresden und anderswo Natur und Stadtbild mutwillig zerstören und Steuergelder verschleudern.

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