Auf 175 Ruhetage jährlich kam man in der Römischen Republik des 4. Jahrhunderts. Nicht schlecht. So ein römischer Arbeitstag maß zwölf Stunden, im Jahr summierten sich 2.000 Arbeitsstunden, immerhin noch 100 weniger als im späten 20. Jahrhundert. Kaiser Konstantin erließ dann im Jahr 321 die erste Regelung für den Sonntag, gewissermaßen eine Art spätantikes Sonntagsfahrverbot: "Alle Richter, die städtische Bevölkerung und alle Gewerbe sollen am verehrungswürdigen Tag der Sonne ruhen. Die Bauern sollen frei und ungehindert die Felder bestellen, weil es häufig vorkommt, dass kein anderer Tag dafür geeignet ist, das Getreide den Furchen und die Weinstöcke den Setzlöchern anzuvertrauen, damit nicht die Gunst der Gelegenheit, die durch himmlische Vorsehung gegeben ist, verpasst werde." In manchen katholischen Regionen Deutschlands konnte der Arbeitsaufwand in agrarischen Kulturen bis ins 18. Jahrhundert noch so begrenzt werden, dass an 200 Tagen im Jahr die Arbeit ruhte, weil man kirchliche Feiertage beging. Freilich musste man in die Kirche und auch in den Stall, war aber dennoch vom arbeitstäglichen Rhythmus befreit. Darin vor allem eine "Entweihung" des Sonntags zu sehen, verlangt sicherlich eine recht spezifische Stellung im genannten Mikrokosmos und in dessen arbeitsteiligem Gefüge.
Die Ausstellung zur Geschichte des Sonntags im Bonner Haus der Geschichte liefert einen kulturhistorischen Abriss über die sich wandelnden Deutungen zum Arbeits- und Ruhezeiten-Rhythmus in den europäischen Gesellschaften. Die Darstellung differenziert sich dann mit Blick auf das Deutschland des 20. Jahrhunderts, das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die Besatzungszeit und die deutschen Nachkriegsgesellschaften. Zur Ausstellung ist ein ansprechend gestalteter Katalog veröffentlicht worden, der in gut lesbaren und reich illustrierten Texten die thematische Konzeption flankiert und einen Ausblick liefert.
Ausstellung und Katalog zeigen auch implizit den Bruch zwischen einer sich seit Generationen säkularisierenden und wandelnden Gesellschaft und dem tradierten Institutionensystem. Zum Arbeitskreis gesellschaftlicher Gruppen, die neben dem wissenschaftlichen Beirat das Ausstellungsteam unterstützten, gehörten neben Vertretern von DGB, BDA und des deutschen Kulturrates die Vertreter von insgesamt vier kirchlichen Institutionen, die auch den Vorsitz des Arbeitskreises stellten. Offensichtlich war man der Meinung, dass es sich beim Sonntag um ein kirchliches oder christliches Phänomen handelt. So lesen sich dann auch einige Passagen aus dem Katalog. Da heißt es zum Beispiel, das NS-Regime habe versucht, "den Sonntag ideologisch zu instrumentalisieren" (Urs Altermatt und Franziska Metzger) oder die SED habe darauf hingewirkt, "die Sonntagsheiligung im Sinne ihrer Ideologie umzugestalten" (Hermann Schäfer) - so, als sei der kirchliche Anspruch auf den Sonntag quasi eine naturgegebene Selbstverständlichkeit und nicht auch nur ein Versuch unter anderen, eine spezifische Deutung und Sinngebung durchzusetzen.
Dass Kirche sich dabei immer auf den Staat stützen konnte, fällt besonders dann auf, wenn ein säkularer Staat, wie beispielsweise der SED-Staat in den fünfziger Jahren weder "öffentliche Vergnügungen am Karfreitag" noch der Sonntagsarbeit Einhalt gebietet und die Kirchen in die Position einer ohnmächtigen Beschwerdeführerin zwischen antikirchlichem Staat und säkularisierter Bevölkerungsmehrheit bringt. Dass das Thema "Jugendweihe statt Konfirmation" ebenfalls auf den Kirchenkampf der SED wie auf den Säkularisierungsimpuls der Bevölkerung verweist, leuchtet unmittelbar ein - aber wo, so fragt sich der Leser des Kataloges, ist hier der Bezug zum Thema der Ausstellung, dem Sonntag?
Einen interessanten Hinweis zum Streit um den sakralen oder profanen Kern unserer Sonntags-Tradition liefert der Historiker Ulrich von Hehl am Ende seines Aufsatzes zum Nationalsozialismus, indem er anmerkt, dass sich die "Säkularisierungsgeschichte des Sonntags beschleunigte, seit er unter gesetzlichen Schutz gestellt war" und nicht mehr - so könnte man den Gedanken fortführen - nur unter kirchlichem Schutz stand. Also hat das Volk, man kennt das ja aus heutigen Zeiten, sozusagen, den Anbieter gewechselt, der die Sonntagsruhe garantieren sollte. In Deutschland war das im Jahr 1891.
Der Katalog lässt an dem sich vertiefenden säkularen Trend keinen Zweifel und untermauert ihn mit demoskopischen Angaben, sowohl über den Rückgang des "Kirchgangs", als auch über die statistische Verteilung sonntagstypischer Beschäftigungen. All diese Einstellungsveränderungen sehen Elisabeth Noelle-Neumann und Thomas Petersen als eine "schleichende Erosion", so als ginge es um den Verlust der lebensspendenden Ackerkrume. In einem interessanten Diagramm illustriert der Beitrag die "Abschaffung des Sonntagsstaats". Während sich 1968 noch 83 Prozent der Menschen am Sonntag "besser als an anderen Tagen" kleideten, war das Ende der achtziger Jahre nur noch die Hälfte, die andere kleidete sich "so wie alle Tage". Im Jahr 2002 sind es darüber hinaus schon 11 Prozent, die sich "einfacher als an anderen Tagen" kleiden - offensichtlich als Urlaub von der Disziplin und vom Dresscode der Dienstleistungsgesellschaft. Die Verfasser werten das allerdings so: "Viele verbringen den Tag nachlässiger als früher, doch sein Zauber hat sich erhalten."
Zauberei, Zirkus, Freizeit, Geselligkeit, Spannung, Unterhaltung und Unternehmungen - seitdem die Sonnabende arbeitsfrei sind, verändert sich auch der Charakter der Sonntage. "Samstag gehört Vati mir" (BRD) oder "Freitag nach eins macht jeder seins" (DDR) illustriert in schönster Parallelität die Bedürfnisse der Beschäftigten in den Industriegesellschaften nach regelmäßigen und gesicherten Aus-Zeiten aus ihren kräftezehrenden Jobs. Dass in der frühen DDR die Roten Pastoren mit ihren Appellen für eine "kulturell und gesellschafts-politisch aktive" Sonntagsbeschäftigung der "sozialistischen Persönlichkeit" ebenso scheiterten wie die Schwarzen Pastoren bei der Läuterung ihrer Sünder, machen die Aufsätze über Ostdeutschland deutlich. Seit Ende der sechziger Jahre erlahmte auch der Zugriff des sozialistischen Staates auf das wochenendliche private Refugium seiner Bürger; in West wie Ost war das Wochenende privat und familiär. Am schärfsten zeigt sich der Ost-West-Unterschied noch in der anachronistischen Art, die NVA-Wehrpflichtigen auch sonntags in den Kasernen zu internieren und sie der Langeweile und gegenseitiger Drangsalierung auszusetzen.
Heute ist, vor allem durch den vorgängigen, aktiver genutzten Samstag, der Sonntag für die allermeisten Menschen ein Tag der Ruhe geworden. Während es 1989 noch für 23 Prozent der Befragten "der geselligste Tag der Woche" war, ist es das 1999 nur noch für 13 Prozent. Was für die einen das Ausweichen vom "Kontaktstress" ist und "Ruhe, Harmonie, Geborgenheit" bedeutet, bleibt für die anderen Einsamkeit oder Langeweile. Diese sonntägliche Unterbrechung des Alltags ist, wie neueste Umfragen zeigen, sogar im Sinne der Konsumenten. Sie wollen am Sonntag keine Couchgarnituren oder Fernsehgeräte kaufen, höchstens ein paar Kleinigkeiten, die es heute schon an Bahnhöfen und Tankstellen gibt. Auch der Handel - von Ausnahmen in Toplagen abgesehen - zeigt inzwischen wenig Interesse an Sonntagsöffnungszeiten. Die Kunden flanieren, schauen viel, kaufen wenig, so lautet die ernüchternde Erkenntnis. Der Sonntag, so vermittelt der Ausblick von Katalog und Ausstellung, wird Sonntag bleiben. Ein Tag der Ruhe, ein Tag des Zu-Sich-Selbst-Kommens. Gottseidank!
Am siebenten Tag. Geschichte des Sonntags. Begleitbuch, Hrsg.: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik, 19,90 E. Ausstellung: Haus der Geschichte, Bonn, 25. Oktober 2002 bis 21. April 2003 und im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, 17. Juni bis 12. Oktober 2003.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.