CD-Kritik: Susanna Wallumrød, Giovanna Pessi - If Grief Could Wait

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Authentizität, was ist das schon. Jenes Gefühl von Echtheit, von Lebendigkeit, dem alle nachjagen. Je mehr man ihm habhaft zu werden versucht, als desto flüchtiger erweist es sich. Gleich einem Phantom stellt es sich gerade dann unvermittelt ein, wenn man es am wenigsten erwartet, um, wenn man es zu ergreifen versucht, wieder zu entweichen.

Letztendlich ist Kunst nichts anderes als der Versuch diesem flüchtigen Geist ein Schnippchen zu schlagen. Jenen seltenen Momenten von Lebendigkeit einen Hauch von Dauer zu verleihen, sie der Vergänglichkeit zu entreißen.

Der Orpheus Mythos bedeutet vielleicht genau das: dass Musik in der Lage ist, die entschwundenen Momente der Lebendigkeit, und wann ist man mehr lebendig als wenn man liebt, wiederauferstehen zu lassen. Dass jedoch gleichzeitig im Illusionären dieser Wiederauferstehung sich eben auch das Gefühl des Verlustes und der Vergänglichkeit nicht mildert sondern vielmehr potenziert.

Henry Purcell trägt den Titel des Orpheus britannicus denn auch mit vollem Recht. Kaum eine Musik ist in ihrer Schönheit sosehr von diesem Bewusstsein des Verlusts und der Vergänglichkeit durchdrungen wie die seine. The Plaint, das das hier besprochene Album eröffnet, ist genau jene orphische Klage um den Verlust eines geliebten Menschen, die gleichzeitig eine Klage um die Vergänglichkeit schlechthin ist.

Dieses neue Album der norwegischen Sängerin Susanna Wallumrod und der Schweizer Harfenistin Giovanna Pessi berührt gleichzeitig einen anderen Aspekt von Authentizität. Während das Instrumentarium aus Barockinstrumenten wohl weitgehend dem entspricht, was zu Purcells Zeiten üblich war, ist die Popsängerin Wallumrod ein vermeintlicher Fremdkörper in diesem Kontext. Gleichzeitig werden neben Liedern von Purcell auch Popsongs von Leonard Cohen, Nick Drake und Susanna Wallumrod mit diesem Instrumentarium geboten.

Auf faszinierende Weise lehrt diese ungewöhnliche Konstellation etwas über die Unberechenbarkeit von Authentizität. Wie es zu Purcells Zeiten geklungen hat, weiß ohnehin niemand, doch selbst wenn es ganz anders war, spielt das eigentlich keine Rolle. Entscheidend ist, ob sich so etwas wie Authentizität, die möglicherweise eine ganz andere ist als damals, unter den heutigen Bedingungen einstellt.

Und tatsächlich ist die Art, wie Susanna Wallumrod die Stücke von Purcell, vor allem das erste und letzte des Albums, singt auf merkwürdige Weise vollkommen überzeugend. Sie mag nicht die gesangliche Fülle und Reife haben, mit der eine Lorraine Hunt oder Janet Baker Purcell singen konnten, vielmehr hat ihre Stimme einen fast kindlichen, an Björk erinnernden Charakter.

Doch ist es gerade dieses direkte, offene, ungeschützte, wenn man will auch ein wenig naive, das einen ganz seltsam daran berührt. Die Reinheit von Purcells Musik, die sich ohnehin aufdringlichem Gestaltungswillen widerwillig entzieht, offenbart sich bei ihr wie ganz von selbst. Auch ist es so, dass Popsänger, man konnte das schon bei Stings Dowland Album beobachten, ein natürliche Art haben, musikalische Phrasen ganz aus der Sprachmelodie zu formen, etwas was klassisch geschulten Sängern, die ganz auf den Ton fixiert Sinn, oft abgeht. Tatsächlich scheint es nicht nur zu gut funktionieren, sondern in Wahrheit näher an Purcell dran zu sein.

So verblüffend selbstverständlich die Popsongs von Cohen, Drake und Wallumrod auf Barockinstrumenten gespielt klingen, Musik und vor allem die Texte können den Abstand von 300 Jahren kaum verleugnen. Die subjektivistischen, spielerischen und symbolistisch angehauchten Texte von Leonard Cohen atmen das Klima einer völlig anderen Zeit. Doch seltsamerweise stellt sich das geschwisterliche Einverständnis, das Susanna Wallumrod mit Purcell eingeht, ausgerechnet bei Cohen und Drake nicht so Recht ein.

Cohen und Drake erzeugen, wenn sie die songs selber singen, jenes understatement, das der spielerisch artifizielle Text und die reduktionistische Musik brauchen. Wallumrod und Pessi gehen die Stücke zu direkt und zu emotional an. Dadurch wirken die songs zunächst ernsthafter und anspruchsvoller verlieren aber letztendlich ein wesentliches, spielerisches Element.

Auch bei Purcells wunderschöner "Music for a while" will es nicht ganz klick machen. Zur magischen Versonnenheit der Musik fehlt Susanna Wallumrod ein wenig die selbstreflexive Distanz.

Interessanterweise wirken Wallumrods eigene Stücke literarisch und formal am anspruchsvollsten. Und sind wohl gerade deswegen am schwächsten, was in dieser Gesellschaft allerdings keine Schande ist. Es bedarf eben beträchtliches Genie, die raren Momente der Authentizität nicht nur zu beschwören sondern auch einzufangen.

Im letzten Stück des Albums, Purcells "An Evening Hymn" ereignet sich ein ganz merkwürdiger Augenblick, in dem sich Leonard Cohen und Henry Purcell über Jahrhunderte hinweg dann doch die Hand reichen. Purcells Hymn endet nämlich mit einem "Hallelujah", das ganz unvermittelt kommt und denselben Effekt hat wie in Leonard Cohens berühmten gleichnamigen song.

Dieser Geste, alle Mühsal, alle Schuld und alle Leiden in Demut Höheren Mächten anheim zu geben hat etwas überwältigend tröstendes. Die Klage der Vergänglichkeit weicht der friedlich tröstlichen Ewigkeit.

Ein Album, das vielleicht nicht in allen Teilen gleichermaßen geglückt ist, doch in den gelungen Partien so überzeugt und bewegt wie weniges, was in letzter Zeit zu hören war.

Susanna Wallumrød, Giovanna Pessi, Marco Ambrosini, Jane Achtman - If Grief Could Wait

Musik von Henry Purcell, Leonard Cohen, Nick Drake und Susanna Wallumrod

ECM 2226

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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