Entschwundene Ritterromantik

Christian Gerhaher In seinem neuen Album nähert er sich der frühen romantischen Oper. Aller akribischen Gesangskunst zum Trotz bekommt man keinen wirklichen Begriff von deren Gefühlswelt.

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Der musikhistorische Mehrwert dieses neuen Albums von Christian Gerhaher mit romantischen Arien von Schubert, Schumann, Weber, Nicolai und Wagner, ist, dass es augenfällig zeigt, wie stark Richard Wagners Opern stofflich doch den aktuellen Moden folgten. Tannhäuser, Lohengrin und selbst Tristan und Isolde stammen eben derselben Sphäre von Ritterromantik wie alle hier gebotenen Opern.

Das besonderer dieses Albums, und Zeichen von Gerhahers konzeptuellen Gestaltungswillens, ist, dass der Anteil von Rezitativen für ein Arienalbum erstaunlich umfangreich ist. Schon Woframs Ansprache, mit dem das Album eröffnet, ist ein eigentlich ein klassisches Accompagnato Rezitativ und keine Arie.

Das sorgt nicht nur für Abwechslung sondern bietet Gerhahers außergewöhnlichem rhetorisch-sängerischem Talent Raum zur Entfaltung. Seit Fischer-Dieskau hat sicher kaum ein anderer Sänger mit vergleichbarer Akribie jede Phrase geformt und gestaltet wie Gerhaher. Nicht selten meint man Fischer-Dieskau selber zu hören, so sehr hat sich Gerharer dessen unvergleichliche vokale Modulierungs- und Akzentuierungskunst zu eigen gemacht.

Was nicht nur ein Kompliment ist. Hätte Gerhaher nicht auch ein starke individuelle Ausstrahlung, könnte man dieses Epigonentum eher bedenklich finden. Gewiss steckt in dieser Ausstrahlung Gerhahers größtes Potenzial und macht ihn zu einer der zur Zeit bedeutendsten Sängergestalten. Sein Auftritt als Wolfram war, durchaus zu Recht, sein bisher größter Erfolg. Diese Rolle des selbstreflektiven Individualisten scheint ihm auf den Leib geschrieben.

Warum dieses Album über die Wofram Partie hinaus trotzdem nicht so recht zünden will, hat diverse Gründe. Alle geboten Opern waren, wenn sie überhaupt zur Aufführung kamen, Misserfolge und konnten sich trotz wiederholter vehementer Rehabilitierungsversuche auch in jüngerer Zeit nicht durchsetzen. Und das durchaus zu Recht. Schumann und Schubert fehlte letztlich der theatralische Instinkt zur Großflächigkeit. Gerade was sie zu großen Liedkomponisten macht, die Fähigkeit mit zusammengefasster Innigkeit in einem Lied von wenigen Minuten ein Gefühlswelt zu einem einzigen Ausdruck zu verdichten, brachte sie bei der Großform Oper in große Verlegenheit. Man kann nicht drei Stunden lang innig sein.

Das ist in ähnlicher Weise auch die Problematik mit der genuine Liedsänger wie Gerhaher konfrontiert sind. Schon wenn Fischer-Dieskau Opernpartien sang, konnte man das beobachten, dass nämlich die Detailfülle mit der er auch Opernpartien behandelte, en gros nicht in ähnliche Fülle mündete, sondern sich eher kontraproduktiv erwies. Es mag seltsam klingen, doch große Operndarsteller müssen eine Fähigkeit zur Neutralität haben, um überhaupt etwas wie ein Charakterprofil zeichnen zu können. Der Wille von Liedsängern jeder Phrase Ausdruck und Bedeutung zu verleihen steht dem eher im Weg.

Es ist eigentlich eine banale Feststellung, dass eine Oper wie ein großes Fresko ist, das einen großflächigen Strich braucht und viele neutrale Hintergrundfläche, um in großem Abstand zu wirken. Umso erstaunlicher, wie wenig das berücksichtigt wird. Man wird heute fast immer mit einem permanenten penetranten Dauerausdruck befeuert.

Auch Gerhaher gestaltet in den Opernszenen auf diesem Album letztendlich zu viel, ebenso wie Daniel Harding mit dem stupend virtuosen BR Sinfonieorchester. Man ist immer wieder momentweise entzückt über sinnige Details, einen fahlen Ausdruck dort, mitreißende Streicherpassagen hier, doch eine übergeordnete Atmosphäre, ein charakterliches Rollenprofil ergibt sich daraus nicht.

Mag auch sein, dass uns die Ritterromantik, die im 19. Jahrhundert enorm populär war, inzwischen zu fern gerückt ist. Der alte Goehte war wie Richard Wagner gleichermaßen begeisterter Leser von Walter Scotts historischen Romanen und der Pseudohistorismus von Tieck und Wackenroder war populär wie heute die Tolkien Sagas. Doch ähnlich sind sich diese Stoffe lediglich in ihren eskapistischen Momenten. Der gefühlsbetonte Edelmut, die heldenhafte elegant ritterliche Geste kommen uns, im Zeitalter von tough and cool, eher peinlich vor.

Typisch für diese Peinlichkeit ist der Schwan in Lohengrin, den wir uns heute eigentlich nur noch parodistisch vorstellen können. Natürlich war das von Wagner ganz ernst gemeint und der Auftritt Lohengrins ein coup de theatre, der damals massenhaft Tränen der Erschütterung auslöste.

Zumindest bei Schumann ist diese Erschütterung auch vorgesehen und komponiert. Doch man müsste sich als Hörer noch stärker in diese Gefühlswelt versetzten und es müsste vor allem auch theatralisch sinnfälliger geboten werden, um dessen teilhaft zu werden.

Gerhaher ist als Liedsänger wohl letztendlich zu kultiviert für jene Art von theatralem Schmiss, die dazu nötig wäre. Er kann sich zudem nie recht von der Rolle des aktiv gestaltenden Erzählers lösen. Obwohl er als Siegfried in Schumanns Genoveva gerade von der (vorgetäuschten) Untreue seiner Frau erfahren hat, fährt er fort jedes Wort expressiv, engagiert und schön abgetönt vorgetragen. Dabei müsste ihn diese existenzielle Erschütterung eher passiv und in sich gesunken machen.

So sehr man dieses Album wegen seines klugen Programms begrüßen muss und gewiss auch deswegen, weil ein Album eines solch gewichtigen Künstlers wie Gerhaher immer hörens- und bedenkenswert ist. Einen wirklichen Begriff von der emotionalen Essenz dieser Welt der frühen romantischen Oper bekommt man leider nicht.

Romantische Arien

Christian Gerhaher, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Daniel Harding

Die CD ist bei Sony Classical erschienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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