Erweiterung der Kampfzone

CD-Kritik Zur Neuaufnahme von Händels Oper "Partenope" mit Karina Gauvin und Philippe Jaroussky und Macht- und Geschlechterdynamik in aktuellen TV-Serien.

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So schön Philippe Jaroussky auch singt, seine Besetzung als Arsace ist die größte Verfehlung
So schön Philippe Jaroussky auch singt, seine Besetzung als Arsace ist die größte Verfehlung

Foto: LOIC VENANCE/AFP/Getty Images

Eine Oper wie Händels Partenope hat heute das Problem, dass der Titel bei den meisten Menschen keinerlei Assoziationen auslöst. Man darf schon als gebildet gelten, wenn man den Namen Partenope irgendwo in der griechischen Antike verorten kann. Nur studierte Altphilologen dürften sofort parat haben, dass es sich dabei um eine der Sirenen handelt, denen Odysseus auf seinen Irrfahrten begegnen.

Giulio Cesare etwa war im 19. und 20. Jahrhundert nicht zuletzt deswegen die mit Abstand bekannteste Händel Oper, weil der Name Julius Cäsar auch durch die letzten Jahrhunderte hindurch noch eine Gestalt blieb, an der sich gewisse Vorstellungen knüpften, die die Fantasie in Bewegung setzten.

Dem Mythos nach stürzte Partenope sich aus Gram darüber, dass sie nicht von Odysseus erhört wurde, ins Meer und wurde tot an der Küste Italiens angeschwemmt. An eben jener Stelle wurde dann eine Stadt namens Partenopolis gegründet, das heutige Neapel.

Allerdings ist das gar nicht die Geschichte, die Silvio Stampiglia, auf dessen Libretto die Oper basiert, erzählt. Bei ihm schimmern ganz andere mythische Konstellationen durch. In seiner Geschichte ist Partenope die Königin von Neapel und wenn Eurimene als Schiffbrüchiger an ihrem Hof auftaucht, ist die Parallele zu Dido und Aeneas offensichtlich. Noch wesentlicher ist jedoch die Tatsache, dass Partenope nicht nur Königin sondern auch Kriegerin ist, wodurch Figuren aus der Amazonenen Mythologie, etwa Antiope oder Penthesilea, erkennbar werden.

Das besondere am Cast von Partenope ist tatsächlich, dass alle sechs Protagonisten Krieger sind. Im zweiten Akt gibt es eine längere Schlachten Szene und am Ende läuft alles auf einen Zweikampf eines Liebespaares hinaus. Was der Stoff, der als Händel ihn vertonte bereits in zahlreichen Versionen existierte, bei informierten Zeitgenossen an Assoziationen weckte, war: Frauen und Männer spielen Männerspiele.

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Die innere Dynamik, die solchen Stoffen innewohnt, ist uns trotz aller fremden Namen nicht gänzlich fremd, werden wir ja auch im Moment von einer Frau regiert. Wenn Leitartikler heute besonders gerne die Frage thematisieren, ob Angela Merkel durchsetzungsfähig genug ist, um sich gegen die lauernden Alpha Wölfe zu behaupten, bedienen sie damit eben jene Art von Ressentiments, um die es dabei geht. Nämlich ob eine Frau mit ihren mütterlichen und sozialen Instinkten skrupellos genug sein kann, um auch im Ernstfall in einer gnadenlosen Männerwelt überleben zu können

Auch in aktuellen Polit- und Anwalts- TV-Serien, die auf den modernen Kampfschauplätzen der Macht spielen, wird diese Dynamik vermehrt thematisiert. Alicia Florrick aus "The Good Wife", eine Anwältin, die nach einer Auszeit als Ehefrau und Mutter wieder in den Beruf zurückkehrt, muss sich beständig gegen die Unterstellung erwehren, sie sei nicht hart und abgebrüht genug, um vor Gericht gegen die gewieften und vor keinen perfiden Tricks zurückschreckenden Staranwälte bestehen zu können. Und Claire Underwood muss in der dritten Staffel von "House of Cards" schmerzlich erfahren, dass der russische Präsident Petrov (alias Putin) zu ganz anderen Dimensionen von doppeltem Spiel und Skrupellosigkeit in der Lage ist, als selbst sie, die sich für kühl und clever hielt, antizipieren konnte.

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In Partenope geht es um jene Schnittstellen, an denen politische und erotische Dynamiken konvergieren. Gerade in der Konstellation des feindlichen Angreifers Emilio, der Partenope vor die Alternative stellt, entweder seine Frau zu werden oder kriegerisch von seinen Truppen erobert zu werden, wird die Doppeldeutigkeit von Eroberung und einer männlich sexuellen Dynamik der Unterwerfungslust exemplifiziert.

Was sich in der hierarchischen Konvention der Barockoper von Prima donna und Primo huomo, denen alle übrigen Protagonisten nachgeordnet sind, abzeichnet, sind eben jene Macht-Strukturen, die es immer gab und immer noch gibt, die sich nur vom ständischen ins politische und geschäftliche verschoben haben, und die vor allem zwischen horizontalen Auseinandersetzung von gleich zu gleich und vertikalen zu Untergebenen differenzieren. Die Entsprechungen in den intimen interpersonellen Beziehungen sind die von narzisstischem Eros unter gleichen und sexuellem Eros mit dem komplementären. Das ist auch die Grundkonstellation nahezu aller Barockopern.

Jene Art von sich gegenseitig stabilisierender narzisstischer Abhängigkeit hat schon Shakespeare in den Konstellationen von Macbeth und Lady Macbeth sowie Anthony und Cleopatra universell ausdifferenziert. Auch beim Paar Frank und Claire Underwood aus "House of Cards" werden jene Rituale, bei Nacht mit Rotwein im edlen Apartment, inszeniert, wenn sie sich in verschwörerischer Intimität gegenseitig ihrer Einzigartigkeit, Überlegenheit und ihrer absoluten Loyalität versichern. Und für den von seiner eigenen Großartigkeit völlig durchdrungenen Staranwalt Harvey Specter aus der Anwaltsserie "Suits" ist es völlig selbstverständlich, dass, wenn er sich mit jemanden liiert, es nur eine Staranwältin einer anderen Firma sein kann.

Schon bevor sich der Vorhang vor den Opern Händels öffnete, war im Grunde immer klar, dass es diesen narzissistischen Bond zwischen Prima donna, zu jener Zeit Anna Maria Strada als Partenope und Primo huomo, bei der Uraufführung der Kastrat Antonio Bernacchi als Arsace, ein Jahr später der zu Händel zurückkehrende Senesino, gibt. Wie dieser durch politische und erotische Verwirrungen destabilisiert wird, das ist das Spiel, an dem sich das zeitgenössische Publikum ergötzte.

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So sind Partenope und Arsace zu Beginn der Oper denn auch liiert. Und wenn zuerst der vermeintlich schiffbrüchige Eurimene (die als Mann verkleidete Ex-Geliebte Arsaces Rosmira) und dann der Eroberer Emilio auftaucht, sind das eben jene Elemente, die das ursprüngliche Gleichgewicht ins Wanken bringen. Schließlich sind da noch der Prinz Armindo, Partenopes geheimer love interest, der auch seinerseits in Partenope verliebt ist und die neutrale Angelfigur Ormonte, ein Militär in Partenopes Diensten.

Im ersten Akt gibt es ein kleines Duett zwischen Partenope und Arsace ("Pur te moro" - etwa "Ich würde für Dich sterben"), ein weiteres Beispiel jenes bereits erwähnten narzisstischen Stabilisierungs-Rituals, das dann bezeichnender Weise von Eurimene (Rosmira) unterbrochen wird. Diese Mechanik ist vollkommen typisch für die Barockoper, in der die verbale Kommunikation eigentlich immer uneigentlich und ironisch gebrochen ist und die wahren Sachverhalte stattdessen symbolisch über Aktion kommuniziert werden.

So dient auch die Schlachtenszene zu Beginn des zweiten Aktes über die musikalische Kriegskolorierung hinaus vor allem dazu die wahren Beziehungsintentionen auszuagieren. Partenope wird von Armindo gerettet, Arsace rettet Eurimene und überwältigt den Gegner Emilio. Was es damit auf sich hat, dazu später mehr.

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Merkwürdiger Weise wird Partenope in der Literatur oft als "leicht" oder Oper mit komödiantischen Elementen bezeichnet, was jedoch ein historisches Missverständnis ist. Das besondere an der italienischen Oper um 1700 ist, dass es so etwas wie komische Oper gar nicht gab. Händel verwendet den Begriff "Opera seria" nie, eben weil dieser erst aufkam, als mit der Generation von Pergolesi das Genre der Opera buffa Einzug hielt.

Die Opera buffa ist ein Produkt der bürgerlichen Aufklärung, das ebenso wie die mit idealistischer Emphase aufgeladenen Opern Glucks in dezidierter Opposition zu den althergebrachten, mit aristokratischer Ironie getränkten Barock-Opern stand. Die Aufspaltung in seria und buffa hat mit einer inneren Dynamik jener idealistischen Ernsthaftigkeit zu tun, die einen emotionalen und moralischen Überdruck aufbaut, der sich im komödiantischen Gegenstück einen Ausgleich schafft.

Was in einer Oper wie Partenope komödiantisch erscheint, ist tatsächlich vielmehr eine Art von verschärfter Ironie, die jedoch, und das ist der entscheidende Unterschied, nie in den "comic relief" überspringt. Ein ungefähres modernes Äquivalent sind die Filme von Quentin Tarantino, die auch mit Überzeichnungen arbeiten, die eine ironische Spannung aufbauen, die ebenso wenig komödiantisch aufgelöst wird. Und auch wenn der Vergleich ein wenig gewagt erscheinen mag, die Splatter Exzesse in Tarantinos Filmen haben ein durchaus ähnliches Momentum von Spannung abbauender Übersprungshandlung wie die zuweilen exzesshaften Koloraturen der barocken Gesangsvirtuosen.

Was einem an Händels Musik im Vergleich zu anderen Opern als "leicht" erscheint, eine gewisse Reduzierung an instrumentaler und emotionaler Dichte und Farbigkeit, ist eben keine komödiantische Leichtigkeit sondern jene Art von kühlem understatement, wie es einem auch im Vorspann von "House of Cards" begegnet.

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Owen Swiny, ein Agent der Royal Academy, bei der Händel in den 1720er Jahren angestellt war, bekam Schweißausbrüche, als er von Senesino hörte, Händel wolle Partenope in London herausbringen. Das Libretto von Stampiglia, so schrieb er alarmiert, sei das zweitschlechteste, das er je gelesen habe und es würde ein Fiasko geben. Offenbar fanden seine Worte Gehör, denn er konnte erfolgreich verhindern, dass die Oper auf die Bühne kam.

Allerdings dürfte er damit Händel, dessen Dickköpfigkeit legendär war, auch ermutigt haben, als kurz darauf die Royal Academy insolvent war und eine neue Organisation ins Leben gerufen wurde, gemeinsam mit Jacob Heidegger selbst als Produzent einzusteigen, um von da an die völlige Kontrolle über neue Produktionen zu haben. Als zweite Oper unter eigener Ägide brachte er 1729 Partenope heraus.

Doch Swiny behielt im Grunde Recht, Partenope floppte, ebenso wie weitere Versuche mit Libretti von Stampiglia (Serse, Imeneo). Swiny war wohl stärker bewusst, dass das Londoner Publikum zu konservativ war, um solche Stoffe zu goutieren. Händel, der seine prägenden Jahre im liberalen Italien verbracht hatte, schien das nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, was einmal mehr zeigt, dass Händel bei allen kommerziellen Zwängen, denen er unterworfen war, doch immer vor allem das tat, was ihn selbst interessierte.

Mit unserem modernen liberalen Blick fällt es uns ein wenig schwer zu erkennen, was denn so anstößig an Partenope war. Für damalige Zeitgenossen war es offensichtlich. Es war nicht nur die Frivolität gegen Ende, wenn Arsace vor dem Zweikampf mit Eurimene/Rosmira als Bedingung fordert, dass man mit nacktem Oberkörper kämpft, was in einer Zeit, in der ein entblößtes weibliches Knie als Obszönität galt, starker Tobak war.

Noch viel mehr war es jedoch die Art der freien Partnerwahl, die Partenope und Arsace betreiben, die in der aristokratischen Kultur, in der dynastische Erwägungen die oberste Direktive waren, an Tabus rührte. Das war in etwa so wie wenn heute ein Konzernlenker öffentlich gestehen würde, der Erfolg des Unternehmens sei ihm egal.

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Ein anderer liberaler Aspekt, der in Partenope exemplarisch behandelt wird, ist der der Geschlechterdifferenz. Silvio Stampiglia ist im Grunde ein Verbündeter von Marcel Proust. Was Proust in "Sodom und Gomorrah" unternimmt, nämlich in der (von Freud inspirierten) tiefenpsychologischen Untersuchung von männlicher und weiblicher Homosexualität (dafür steht Sodom und Gomorrah), von dieser speziellen Abweichung aus ein universelles Bild von der Dynamik der geschlechtlichen Differenzen zu entwerfen, das spielt auch in Partenope eine zentrale Rolle.

Und ähnlich wie Proust nimmt Stampiglia dabei Travestien zu Hilfe. Was in Partenope auf der Bühne steht ist eine Frau in Kriegerrüstung, ein Mann, der in Frauenlage singt, eine Frau, die sich als Mann verkleidet, eine Frau, die einen Mann verkörpert, ein Mann in hoher Männerlage und ein Mann in tiefer Männerlage. Wie schon eingangs festgestellt steht der Akzent klar auf dem maskulinen, doch werden in den personell-geschlechtlichen Konstellationen fast systematisch Abstufungen von geschlechtlicher Differenz vorgenommen.

Gerade die Konstellation von Arsace und Eurimene/Rosmira erinnert sehr an die Konstellation des Erzählers und Albert/Albertine bei Proust. Albertine erfüllt eine ganz ähnliche Doppelrolle, einerseits als männlicher Adressat des männlich homosexuellen Begehrens sowie als weiblicher Akteur weiblicher Homosexualität.

Die Ermittlerin Kalinda Sharma aus "The Good Wife", eine der interessantesten Figuren, der man in aktuellen Serien begegnet, ist ein modernes Exemplar von Eurimene/Rosmira. Obwohl nicht unbedingt umwerfend schön, scheint jeder, egal ob Mann oder Frau, von ihr subtil erotisiert (was sie für ihre Investigationen klug zu nutzen weiß). Sie schläft mit Männern ebenso wie mit Frauen und ist ein Bespiel für das Phänomen der Bisexualität, bei dem sich narzisstische und sexuelle Anziehungspotentiale die Waage halten. Sexuell findet sie wohl Frauen anziehender, doch macht ihr das maskulin kompetitive Rangeln und Raufen mit dem jungen ehrgeizigen Anwalt Cary Agos mindestens genauso viel Spaß.

Rangeln und Raufen tut auch Rosmira mit Arsace im zweiten und dritten Akt von Partenope. Sie (in der Rolle von Euremene) behauptet dreist, sie sei es gewesen, die Emilio in der Schlacht besiegt hat und schwärzt Arsace bei Partenope an, in dem sie ihr von dessen ehemaliger Geliebter berichtet. Die Provokationen führen eben zu jenem Duell, das erst ganz zuletzt platzt, als sie durch Arsaces erwähnte Bedingung sich zu entblößen, ihre wahre Identität offenbart.

Antonia Merighi, die Rosmira sang, war weder besonders hübsch noch ein exzeptionelle Sängerin doch eine hervorragende Schauspielerin, die die Aufmerksamkeit fesseln konnte. Ähnlich wie Kalinda, die gerne im Hintergrund die Strippen zieht, ist auch sie die geheime Akteurin der Oper. Sie ist es auch, die Armindo mit Aufmunterungen und Verunsicherungen dazu bringt, sich Partenope, die darauf nur wartet, zu offenbaren. Und auch in dieser Rolle bleibt sie ambivalent, kommt es dabei auch zu erotischen Reibungen gegenüber Armindo und Partenope.

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Vom Power-Couple unserer Tage "Brangelina" hat die Schnüffelpresse längst offenbart, dass beide sexuell eigentlich anders gerichtete Interessen haben, was für solche narzisstische Konstellationen nicht ungewöhnlich ist. Auch bei Senesino und der Strada, die persönlich nicht liiert waren doch als Primo huomo und Prima donna auf der Bühne in einer durchaus ähnlichen Art ein idealisiertes Rollenmodell repräsentierten, weist vieles auf eine ähnliche Konstellation hin, nicht zuletzt die Tatsache, dass Händel als love interest für die Strada fast immer Frauen in Hosenrollen besetzte, zu jener Zeit meist Francesca Bertolli, die Armindo gab und von deren Schönheit alle hingerissen waren.

Tatsächlich wird in der Beziehung von Partenope und Armindo ein Liebesmodell geschildert, das in seiner intimen, sich gegenseitig zugewandten Leidenschaftlichkeit und seinen stark kooperativen Aspekten typisch für weiblich homosexuelle Beziehungen ist.

Nachdem es in Bezug auf Toleranz gegenüber Homosexualität in den letzten Jahren einen Quantensprung gab, kann man soetwas inzwischen auch im Fernsehen beobachten. Die Beziehungen von Alex Vause und Piper Chapman in "Orange is the new black" oder Nomi und Amanita in "Sense8" ähnelt dem, was zwischen Partenope und Armindo vorgeht auf bezeichnende Weise. Namentlich das Motiv, das der dominante Part der Beziehung sich von seinem Partner retten lässt.

Das ist, was in der erwähnten Schlachtenszene passiert, und dass es im Falle von Arsace und Eurimene umgekehrt ist (Eurimene wird von Arsace wider Willen gerettet), lässt bereits ahnen, dass es hier um entgegengesetzte männlich homosexuelle Dynamiken geht. "Sense8" enthält auch ein männliches Paar, Lito und Hernando, und interessanter Weise kann man auch auf dieser Seite Parallelen beobachten, allem voran in der Dynamik des sich Entziehens (Hernando verlässt Lito zwischenzeitlich) und den damit verknüpften masochistischen Färbungen (die man in aller Ausführlichkeit auch in "Die Gefangene" und "Die Entflohene" bei Proust studieren kann). Unverkennbar ist auch bei Arsace, der zur allgemeinen Verblüffung auf die Provokationen Eurimenes nicht reagiert, eine masochistische Befriedigung im Spiel.

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Es tut mir fast ein wenig Leid über die Einspielung mit Karina Gauvin und Philippe Jaroussky in den Hauptrollen, die vor einiger Monaten erschien, so scharf richten zu müssen. Die Sänger sind hochkarätig und namentlich Philippe Jaroussky ist durchaus zu Recht im Moment der populärste unter den Countertenören, kann er doch mit einer bestrickenden, nicht nur virtuos sondern auch mit großem Sinn für Melos geführten Stimme und einer natürlichen Musikalität für sich einnehmen. Auch sind alle Beteiligten mit großer Sorgfalt und großem Engagement bei der Sache.

Doch ist Aufnahme eben, und damit steht sie nicht alleine da, bereits auf einer ganz fundamentalen Ebene völlig verfehlt, so dass auch mit Sekundärtugenden nichts mehr zu retten ist. Es gelingt heute einfach nicht mehr, überhaupt den richtigen Tonfall herzustellen. Im Klassischen Gesang hat sich eine Art pauschalen Dauer-Espressivo eingebürgert, das für die kommunikative Atmosphäre der Barockoper gänzlich ungeeignet ist. Für Ironie und Understatement bedarf es einer Neutralität und Beiläufigkeit, die durch die Daueremphase erst gar nicht entstehen kann.

Schon beim ersten Rezitativ der Partenope, in dem sie die Feier zur Stadtgründung einleitet, möchte man abwinken. Karina Gauvin gestaltet es mit einem Engagement und einer Variabilität, die in einem Vorsingen wohl bei Punktrichtern gut ankommt, doch im Grunde völlig fehl am Platz ist. Wer herrscht muss nichts vorführen oder beweisen.

Sie sollte sich eher an Jessica Pearson, dem Boss der Anwaltskanzlei aus "Suits" ein Beispiel nehmen. Die weiß sich nicht nur vom office dress code durch eine perfekt dosierte Prise Extravaganz abzusetzen, sie hat auch im Auftreten jene Art von herrschaftlicher slow motion und distanziert tigerhaftem Lächeln verinnerlicht, die die Angestellten schon beim Betreten des Büros nervös und unterwürfig macht.

Die Kolaturen der ersten Arien "L'amor ed il destin" singt Karina Gauvin ganz ordentlich, was aber eigentlich nicht gut genug ist. Erst wenn man sie mit lässiger Überlegenheit zu meistern im Stande ist, stellt sich jene Aura von Macht und Luxus ein, die damit bezweckt wird.

Anders als im 19. Jahrhundert bewegt sich die Tessitura (der Tonumfang, in dem gesungen wird) in der Barockoper immer in der Komfortzone der Sänger und es war auch ganz selbstverständlich für Händel die Koloraturarie "Furibondi spira il vento" einen Ton tiefer zu legen, um sie, als Senesino die Rolle übernahm, perfekt an seine Bedürfnisse anzupassen. Arien sind in der Barockoper auch ein wenig etwas wie extravagante Kleidung. Man muss es tragen können, was heißt, es muss sitzen und sich quasi mit der eigenen Persönlichkeit verbinden. Gerade für Partenope ist Glanz und Repräsentanz von enormen Bedeutung und ihre mit Koloraturen gespickten Arien zelebrieren mit narzisstischer Obsession beständig das eigene Selbstbild.

So schön Philippe Jaroussky auch singt, seine Besetzung als Arsace ist die größte Verfehlung. Sein Timbre hat eine fast mädchenhafte Anmutung und dass er Arsace singt ist ungefähr so als hätte man Elijah Wood als Frank Underwood besetzt. Gewiss hatte ein Kastrat wie Sensino eine androgyne Austrahlung aber eben auch eine extrem dominante, was auch dadurch exemplifiziert wird, dass er es ist, der Emilio besiegt und damit den Krieg entscheidet.

Diese exzeptionelle Stellung, die die Kastraten hatten, führt eben auch zu jener Art von extremen Narzissmus, der in allen nur noch Spielzeug sieht. So wie für Frank Underwood alle Menschen nur noch Figuren in einem Schachspiel sind oder der geniale Diagnostiker Dr. Gregory House seine Mitarbeiter in erster Linie unter dem Gesichtspunkt auswählt, ob sie für seine Psycho-Spiele interessant sind. Bei Dr. House kann man auch jene Art der von Ironie völlig durchdrungenen Kommunikation beobachten. Bei allem, was er sagt, kann man nie sicher sein, ob er nun meint, was er sagt, oder ob er wieder eines seiner manipulativen Spiele spielt.

Jaroussky missversteht Arsaces erste Arie, als er in Eurimene die verlassene Rosmira zu erkennen meint, denn auch völlig als weinerliches Schmachten. Arsace ist wohl durchaus leise erregt durch die vertrauten Züge, die ihm hier in attraktiver männlicher Form entgegentreten. Doch ist es vielmehr ein völlig unsentimentales raubtierhaftes Lauern, das ein neue Beute zum Spielen wittert.

Teresa Iervolino als Eurimene/Rosmira scheint auf merkwürdige Weise auf Jarousskys Vorlage zu reagieren indem sie mit einem Bierernst agiert als ob sie ihren weichlichen Gatten mit dem Nudelholz zurück an den heimischen Herd prügeln wolle. Dass das ganze ein erotisches Kampfspiel ist, zu dem sie selbst am Ende des ersten Aktes mit einer Jagdhörner Arie das Signal gibt, scheint völlig jenseits ihrer Vorstellung.

Emöke Baráth wird als Armindo noch am ehesten ihrer Rolle gerecht. Ihre Stimme hat durchaus sinnliche Ausstrahlung, doch könnte sie ihre Attraktivität noch steigern, wüsste sie um die sinnlichen Potenziale des Menuetts (das für das 18. Jahrhundert war, was der Walzer für das 19. war), worum es sich bei ihrer Auftrittsarie handelt. Bei Armindo, Emilio und Ormonte ist der Mangel an Einsicht in die Ironie auch eher zu verschmerzen, da sie hierarchisch untergeordnet sind und schon aus diesem Grund naiver sein dürfen.

John Mark Ainsley wirkt als Emilio, der in der Farbskala der Geschlechterdifferenz das jugendlich männlich-heterosexuelle repräsentiert, eine Spur zu kultiviert, auch wenn er vorzüglich singt. Den Testosteron Überschuss will man ihm nicht so recht abnehmen. Auch Luca Tittolo singt Ormonte untadelig doch ohne eigentliches Profil.

Händel Opern wird gerne vorgeworfen sie seien im Grunde alle gleich. Doch ist es vor allem die Nacht der Ahnungslosigkeit, die uns alle Opern grau erscheinen lässt. In Wirklichkeit gleicht keine Oper der anderen. In jeder Oper erprobt Händel neue dramaturgische und musikdramatische Strategien, gibt jeder Oper eine eigene klangliche Aura. Neben der militärischen Farbe mit Pauken und Trompeten dominieren in Partenope vor allem die von französischer Inegalität infundierten Bewegungsgenres, die eine Atmosphäre von luxuriös schlendernder Gebremstheit vermitteln.

Das kommt leider kaum heraus, vielmehr hat sich heute in einem universellen Mangel an geschmacklichen Differenzierungsvermögen eine Strategie der Übertünchung festgesetzt. So ist man bei den Allegro Sätzen immer gleich mit dem Chilli-Würzer zur Hand, mit dem dann alles hemdsärmig aufgepeppt wird. Und in den langsamen Sätzen schmiert man gerne Girlanden wie Mayonnaise drüber.

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Wie fast immer in der Barockoper, ist das happy end auch in Partenope in Wahrheit keines. Es ist eben keine komödiantische Auflösung, in der das Gleichgewicht der Macht und der Beziehungen wieder hergestellt ist. Partenope und Arsace werden, sobald sie sich beginnen zu langweilen, wieder zueinander zurückkehren und darauf warten, dass das Schicksal ihnen neue Beute ans Ufer schwemmt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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