Exorzierter Tschaikowsky

CD-Kritik Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und der Dirigent Teodor Currentzis wollen den Klassik Mainstream aufmischen.

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Man durfte gespannt sein auf diese Neuaufnahme, in der sich die beiden Exzentriker Patricia Kopatchinskaja und Teodor Currentzis mit dem Violinkonzert von Tschaikowsky ins innerste Zentrum des Klassik-Mainstreams begeben haben. Dass die beiden mit dem eingeschworenen Orchester der Musica Aeterna einen engagiert virtuosen Parfoce-Ritt hinlegen, war zu erwarten gewesen, doch ob diese Rezeptur bei Tschaikowsky anschlagen würde, war durchaus ungewiss.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es haben sich eher die Befürchtungen bewahrheitet als die Hoffnungen erfüllt. In ihrem sonst durchaus herzerfrischenden Übermut ist Patricia Kopatchinskaja deutlich übers Ziel hinausgeschossen. Man ist angesichts ihrer Manierismen, die manchmal Kitsch und Albernheit gefährlich nahe streifen, immer ein wenig peinlich berührt. Man kann förmlich das Entsetzten im Gesicht Tschaikowskys sehen, der aufgefordert wird, gute Miene dazu zu machen, wenn hier jede Contenance gesprengt und infantil die Sau rausgelassen wird.

Doch sind dies nicht die Geister, die er selber rief? Hatte nicht der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick damals geschrieben, der letzte Satz des Violinkonzerts gebe sich so dem effektbewusst populären hin, dass man sich fragt, ob es Musik gibt, die stinke?

Hanslick hätte sich diese Bemerkung wahrscheinlich verkniffen, hätte er geahnt, dass sie dieses Stück über Jahrhunderte weg begleiten würde und irgendwann sogar als Lizenz zur Vulgarisierung herhalten muss. Denn natürlich muss man diese Bemerkung in einem historischen Kontext sehen, ganz ähnlich wie die Bemerkungen über Mozart, wo von "zu vielen Noten" und einer "deutschen Schweinerei" die Rede ist. Jene Bemerkungen aus dem Mund gekrönter Häupter gaben durchaus keine private Meinung sondern vielmehr den aktuellen ästhetischen common sense wieder. In Relation zum galanten Stil des Rokoko, dessen Simplizität nicht naiv sondern ganz im Gegenteil Ausdruck einer ironisch hochgezüchteten Sprezzatura war, wurden selbstbewusstes Handwerk und Innigkeit Mozarts als bürgerlich fremdartig wahrgenommen, wobei die allergische Reaktion auch ein Zeichen der Verunsicherung war. Im Rückblick erschienen solche Verdikte später dann absurd, galt Mozart doch inzwischen als Meister der Ökonomie und einer reinen apollinischen Ästhetik.

Ganz ähnlich ist es mit Hanslick und Tschaikowsky. Das zu Ende gehende 19. Jahrhundert stand ganz im Zeichen einer Steigerungsästhetik, die durch den Rausch der Technisierung und Industrialisierung ausgelöst worden war. Nicht nur wuchsen die Orchesterbesetzungen mehr und mehr, auch der Begriff von spieltechnischer und orchestraler Brillanz nahm beständig zu.

Und wie hundert Jahre vorher war auch Hanslick, der noch ganz vom frühen bürgerlichen Idealismus eines Kant geprägt war, von der heraufziehenden robusten Effizienzästhetik des 20. Jahrhunderts gleichzeitig abgestoßen und verunsichert. Dabei war Hanslick wohl nicht bewusst, dass er es bei Tschaikowsky mit einer klassizistisch gemäßigten Form zu tun hatte und in Russland mit Mussorgsky und Rimsky-Korsakov noch viel schlimmeres im Schwange war. Hätte er Strawinskys "Petruschka" oder "Sacre du Printemps", die Auswüchse dieser Brut, noch erlebt (er starb nur wenige Jahre davor), er hätte wahrscheinlich Erstickungsanfälle bekommen.

Russland, das eben zu jener Zeit auch zu einer der Europäischen Weltmächte aufstieg, spielte innerhalb der europäischen Ästhetik dabei neben Deutschland eine Schlüsselrolle. Die Pariser fin de siècle Kultur ist ohne jenen russischen Einfluss, der auch bewusst gegen den deutschen Wagnerismus in Stellung gebracht wurde, nicht denkbar. Dass die Russen Diaghilev und Strawinsky dann zu zentralen Gestalten dieser Kultur wurden, ist in Bezug auf die kulturhistorischen Bedeutungsverschiebungen vollkommen einleuchtend.

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Der Vergleich von Mozart und Tschaikowsky geht noch über diesen Parallelismus hinaus. Mozart war Tschaikowskys großes Vorbild. Der Komponist, den Tschaikowksy am meisten verehrte und bewunderte. Dass einem diese Verbindung heute ein wenig befremdlich erscheint, hat unter anderem damit zu tun, dass wir Tschaikowsky vor allem über die letzten drei Sinfonien wahrnehmen, die eine subjektivistische Extremposition in Tschaikowskys Werk einnehmen. Berücksichtigt man die Orchestersuiten, Serenaden und die Kammermusik, wird einem Tschaikowskys klassizistische Ausrichtung viel stärker bewusst.

Doch ist es eben auch die bereits erwähnte Expansion der Mittel, an spieltechnischen Virtuosität, an orchestralen Mixturen, an schierer Massenwirkung großer Orchester, die gegenüber der maßvollen Übersichtlichkeit Mozarts leicht ein wenig monströs wirkt. Gerade bei den Instrumentalkonzerten, die in Nachfolge von Liszt und Paganini die technischen Möglichkeiten der Soloinstrumente ausschöpfen, täuscht die so unterschiedliche klangliche Anmutung darüber hinweg wie stark sich Tschaikowsky an Mozarts Vorbild, mehr noch als an Beethoven und Schumann, ausrichtet.

Beim Violinkonzert ist das besonders offensichtlich. Und das weniger in einigen offensichtlichen Anklängen, dem Beginn, der fast wie ein Stilzitat klingt oder dem Thema des ersten Satzes, das an das Thema von Mozarts Flötenkonzert erinnert. Es sind vor allem die formalen Spannungsfelder, die Mozart in seinen Instrumentalkonzerten etabliert hat, an denen sich Tschaikowsky orientiert und die er in ihrer flächigen Kontrast Dynamik intakt lässt, auch wenn er sie modern variiert.

Der erste Satz des Violinkonzerts enthält zwei originelle formale Ideen. Die eine ist die einer Einleitung, die schneller ist als der Hauptsatz (der Normalfall sind langsame Einleitungen, wie im 1. Klavierkonzert). Wenn das Hauptthema mit dem Solisten einsetzt, wirkt das daher zunächst wie ein retardierter Moment, der die Orientierung verwirrt. Man könnte meinen man befinde sich noch mitten in der Einleitung. Erst allmählich wird einem klar, dass dies das Hauptthema gewesen sein muss. Die zweite Idee sorgt dann erneut für Verwirrung. Die Kadenz kommt nämlich nicht wie üblich vor der Coda sondern bereits vor der Reprise. Man könnte die Reprise also für die Coda halten und erneut wird man erst in der schnellen Coda vollends darüber aufgeklärt, wo man sich tatsächlich befindet und wie der Satz im ganzen konzipiert ist.

Diese ungewöhnliche Konstruktion gibt dem Satz etwas verrätseltes und das insgesamt mäßige Tempo hat die Solisten schon immer etwas verunsichert, so dass sich schon früh einige nicht von Tschaikowsky vorgesehene Tempomodifikationen eingebürgert haben, um dem Satz mehr Brillanz zu verleihen.

Ganz wie Mozart, der, wenn er in einem Satz eine originelle Idee erprobt, die übrigen Sätze bewusst ausgleichend regulär behandelt, so sind auch bei Tschaikowsky zweiter und dritter Satz formal konventionell gehalten. Und der dritte Satz ist auch deswegen besonders lebhaft um für das mäßige Tempo des Kopfsatzes einen Ausgleich zu schaffen.

Nicht dass ästhetische Kriterien von Proportion und Ausgleich nicht auch bei Beethoven und Brahms eine Rolle spielen würden. Doch drängen sich dort ideelle Vorstellungen und individuelle Dynamiken immer mehr in den Vordergrund und überlagern die formal-ästhetischen Kriterien zunehmend.

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Das Instrumentalkonzert wurde nicht zuletzt deswegen zu einer der zentralen Formen der bürgerlichen Musikkultur, weil sich darin gewisse soziologische Dynamiken der bürgerlichen Gesellschaft prototypisch abbilden. Hatte der Solist im barocken Instrumentalkonzert noch eine Art gehobener Lakaienfunktion, in der er wie ein Koch in solistischen Episoden zwischen den Ritornellen seine Fertigkeiten wie Häppchen präsentierte, drückt sich in den späteren Klavierkonzerten Mozarts, in denen Mozart nicht nur Komponist, Dirigent und Solist in Personalunion war sondern die er auch in selbst veranstalteten Akademien präsentierte, ein neues künstlerisches Selbstbewusstsein aus. Das Genie darf sich endlich selbst repräsentieren und inszenieren.

Die Orchester, die im 19. Jahrhundert aus bürgerlicher Initiative massenweise entstanden, wurden zum Symbol der bürgerlichen Gesellschaft und dass sich Dirigent und Solist bei Beethoven bereits aufgespalten hatten, zeigt eine neue Polarität an. Es gibt für den Künstler ein neues gesellschaftliches Gegenüber und in Beethovens Konzerten ist dieses veränderte Verhältnis, das von Spannungen, Konflikten und Umarmungen gleichermaßen kündet, unübersehbar. Auch bei Schumann und Brahms bleibt dieses Spannungsverhältnis von künstlerischem Außenseitertum und gesellschaftlicher Identifikation als formales Prinzip produktiv.

In modernen Zeiten hat die Gesellschaft die Bühne wieder verlassen. Das Ideal, dass Bürger und Künstler, das heißt soziale, ordnende und bewahrende sowie thymotisch neuschöpferische Elemente, gemeinsam eine Gesellschaft bilden könnten, ist wieder zerbrochen. Das Stadionkonzert von Rock- und Popbands, wo das Bürgerliche geradezu rituell exorziert wird, spiegelt die soziologische Dynamik der aktuellen Gesellschaft angemessen wieder.

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Tschaikowsky erfindet das romantische Instrumentalkonzert in gewisser Weise neu, nicht indem er die formalen Strukturen ändert, sondern indem sich bei ihm die Dynamik von Solist und Orchester wandelt. Tschaikowsky schreibt die Konzerte nicht mehr potentiell für sich selbst als Solisten, sondern für eine dritte Person.

Die Geschichte um Tschaikowskys erstes Konzert, dem berühmten b-moll Klavierkonzert, ist in diesem Fall bezeichnend. Nikolai Rubinstein, dem das Konzert ursprünglich gewidmet war und der es vernichtend kritisierte, spielt dabei eine wichtige Nebenrolle. Die übliche Interpretation, dass Rubinstein hier ein Meisterwerk verkannte, ist nur die Außenansicht einer anderen Dynamik.

Die Geschichte ist in Wahrheit komplizierter. Nikolai Rubinstein war neben der Familie wohl die wichtigste Person in Tschaikowskys Leben, wovon auch das gewaltige Klaviertrio op. 50 zeugt, das er zu seinem Gedenken schrieb. Rubinstein holte Tschaikowsky nicht nur als Lehrer ans Moskauer Konservatorium, er war auch sein Mentor und förderte seine frühe Karriere als Komponist ganz entscheidend. In den ersten Moskauer Jahren wohnte Tschaikowsky auch bei Rubinstein.

Die Hauptrolle spielt jedoch der junge Pianist und Komponist Sergei Tanejew, der bei Rubinstein und Tschaikowsky am Konservatorium studierte. Beide hatten ein Faible für ihn und Tschaikowsky, sonst als Kritiker eher nüchtern abwägend, pries Tanejew, der die Moskauer Erstaufführung des Konzerts spielte, mit verräterischem Enthusiasmus. Tschaikowsky war inzwischen bei Rubinstein ausgezogen und als er ihm sein Konzert vorlegte, ging es wohl nicht nur um eine ästhetische Beurteilung. Vielmehr entluden sich dabei narzisstische Eifersüchteleien. Man mag dabei auch an Monsieur Charlus bei Proust denken, der im Delirium ist, wenn er seinen Protegée, den Geiger Morel, in von ihm organisierten Soireen im besten Licht präsentieren kann und der umgekehrt fast außer sich gerät als der Erzähler sich seinem Protektorat verweigert.

Auch die anderen Konzerte stehen im Spannungsfeld privater Kontexte, die eine homoerotische Akzentuierung haben. Im Violinkonzert ist Joseph Kotek, im zweiten Klavierkonzert Alexander Siloti, beide wie Tanejew Schüler von Tschaikowsky, der Adressat.

Diese Verliebtheit, der Wunsch das Objekt des Begehrens im besten Lichte erscheinen zu lassen, ist nicht die schlechteste Inspiration und hat sich gerade für die Dynamik des Instrumentalkonzerts auf geradezu großartige Weise bewährt. Während die Konzerte Beethovens und Brahms heute kaum noch großen Eindruck machen, vor allem weil es keine starken Perönlichkeiten mehr gibt, die der angedeuteten Dynamik die entsprechende Spannung und Überzeugungskraft verleihen könnten, lässt Tschaikowsky auch durchschnittlich begabte junge Leute ganz gut aussehen.

Die Geschichte mit Alexander Siloti hatte allerdings noch ein verhängnisvolles Nachspiel. In seiner Verliebtheit ließ Tschaikowsky Siloti gewähren, Revisionen in den Klavierkonzerten vorzunehmen, die er vielleicht unter normalen Umständen nicht akzeptiert hätte.

Vor allem eine davon hatte beträchtliche Auswirkungen. Die fetten Klavierakkorde zu Beginn des 1. Klavierkonzertes stammen gar nicht von Tschaikowsky, der an dieser Stelle ursprünglich dezent arpeggierte Akkorde geschrieben hatte. Doch ohne Zweifel hatte der Eindruck dieser Stelle mit ihrem effektbewussten Grandioso, eine der bekanntesten Tschaikowsky Stellen überhaupt, das Bild von Tschaikoswky um eine entscheidende Nuance beeinflusst.

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Tschaikowsky stammte ähnlich wie Tolstoi und später Proust aus wohlhabenden Verhältnissen, in denen sich bürgerlicher Bildungseifer und mit überkommenen aristokratischen Ritualen und Traditionen und progressiven Ambitionen vermischten.

Tschaikowsky wuchs in einem gleichsam Rostowschen Haushalt auf, mit vielen Kindern, Kindermädchen, Kutschern und Dienern. Doch wie beim Tolstoischen Vorbild erwies sich der aristokratische Glanz als überständig und der Aufwand musste irgendwann empfindlich eingeschränkt werden, so dass Tschaikowsky später finanziell auf sich gestellt war. Einige Jahre waren seine Mittel durchaus knapp, was sich dann aber mit zunehmendem Erfolg als Komponist wieder änderte.

Jenes Soziotop, in dem er aufwuchs und in dem sich bürgerliche Privatheit und gesellschaftliche Öffentlichkeit verschränkten, hat ihn zu einem Gesellschaftsmenschen geformt. Hypersensibel und zu hysterischen Weinkrämpfen neigend, eignete er sich früh ein prekäres Taktgefühl an. Tschaikowskys Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit waren geradezu legendär. Hans von Bülow, sonst eher zu Boshaftigkeit neigend, nannte ihn den liebenswürdigsten Menschen, dem er in seinem Leben begegnet sei. Und Alexander Glasunow berichtet von Tschaikowskys erstem Besuch im Balakirew Kreis in Sankt Petersburg, wo man beschlossen hatte ihn wegen seiner ästhetischen Zweifelhaftigkeit, er galt als "unrussisch" und "verwestlicht", betont reserviert zu empfangen. Als Tschaikowsky dann eintraf, ließ er alle mit seiner Natürlichkeit und Herzlichkeit ihre Reserve im Handumdrehen vergessen und man verbrachte eine denkwürdigen Abend.

Goethe sagte einmal zu Eckermann, es sei am Ende allein der Charakter eines Künstlers, der auf das Publikum wirkt. Und in der Tat hat die ungeheure und ungebrochene Popularität seiner Musik eben im innersten mit jener Aura von aristokratisch festlichem Glanz, erotisierter Hingabe und natürlicher Herzlichkeit zu tun, die seinem Wesen entsprang.

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Natürlich darf man sich fragen, wie man mit der Musik Tschaikowskys im 21. Jahrhundert, gerade weil sie in ihrer Omnipräsenz in den Konzertprogrammen eher Reflexe von Überdruss auslöst, als Interpret noch fruchtbar umgehen kann. Gerade dadurch, dass Tschaikowksy mit seinem Wirkungsüberschuss selbst in durchschnittlichen Aufführungen befriedigend ausfällt, gibt es umgekehrt auch zahllose durchschnittliche Aufnahmen, doch erstaunlich wenige wirklich bemerkenswerte.

Vor allem die aristokratischen Aspekte sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend verkümmert. Wie man einer Melodie eine charakteristische Intonation verleiht, einem Walzer Eleganz, einer Polonaise federnde Exuberanz, das alles ist einer glatten und leblosen Exaktheit gewichen. Was im Grunde auch nicht verwunderlich ist, ist doch auch die entsprechende Kultur verblasst. Heute ist es nicht mehr der Walzer, der adoleszente Nostalgie heraufbeschwört sondern Rock and Roll oder Diskomusik (der sentimentale Ton in den David Bowie Nachrufen war unüberhörbar).

Der Anarchismus, den Patricia Kopatchinskaja und Teodor Currentzis nun Tschaikowsky angedeihen lassen und in dem eben auch jener von Rockstars inspirierte Exorzismus mitschwingt, der vor allem bei jungen Leuten anschlägt, ist ohne Zweifel zeitgemäß und ein Ausläufer dessen, was im Regietheater schon lange auf dem Vormarsch ist.

Beide Entwicklungen verstärken sich in gewisser Weise. Denn in dem Maße, in dem klassische Werke an immanenter Lebendigkeit verlieren, desto mehr ist man geneigt ihnen Gewalt anzutun, um über diesen Umweg noch einen Zustand von Intensität zu generieren, das an Lebendigkeit erinnert.

Ob allerdings Tschaikowsky ein geeignetes Objekt für solche exorzistischen Aktionen ist, scheint zumindest zweifelhaft. Das Gefühl der Peinlichkeit, von dem eingangs die Rede war, entspringt eben auch dem Gefühl, dass Tschaikowsky nicht robust genug ist, um den Angreifern produktiven Widerstand zu bieten und es so nur zu einer einseitigen Misshandlung kommt.

Trotz allem halte ich Patricia Kopatchinskaja und Teodor Currentzis für zwei der aktuell bedeutendsten Künstler und bin gespannt auf weitere Auftritte und Aufnahmen. Dass riskante Projekte auch misslingen können, gehört zur Natur der Sache. Tatsächlich ist ein Künstler, der nicht mindestens einmal grandios gescheitert ist, eigentlich nicht viel wert.

Allerdings habe ich auch schon viele junge, anfangs viel versprechende Künstler, verglühen sehen. Sich jung und übermütig zu fühlen, was die beiden auch im ironischen Cover und den Briefen im Booklet zelebrieren, ist nicht verkehrt aber noch kein Garant dafür, dass ihnen irgendwann auch großartiges gelingen wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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