Vielleicht ist es ja unvermeidlich, dass Bayreuth zerstört werden muss. Die Kunstweihe des 19. Jahrhunderts, für die Wagners Festspiele exemplarisch stehen, ist den meisten Menschen inzwischen suspekt geworden und muss purgiert werden. Es ist ein Gesetz des Epoche-Wandels, dass, was den Vätern heilig war, in einem Akt der Blasphemie ausgetrieben werden muss. Und Katharina Wagner lässt entprechend dem Zeitgeist folgend seit Jahren die Hunde von der Leine, die ihrem Urgroßvater ans Bein pinkeln dürfen.
Natürlich ist das Publikum, und vermehrt auch die Kritik, mit Eifer dabei. Wie zu Wolfram von Eschenbachs Zeiten, als öffentliche Bestrafungen zuverlässig ein zahlreiches Publikum anzogen, war auch die Klima im Festspielhaus, durch sommerliche Temperaturen noch angeheizt, ambivalent zwischen gemütlicher Festspiellaune und Pogromstimmung.
Man kann dem Regisseur Tobias Kratzer daher nicht mal eine gewisse logische Konsequenz absprechen, wenn er die Wartburg im zweiten Akt durch das Festspielhaus ersetzt. Denn ganz richtig: damals stand die Wartburg und ihre adeliges Klientel, die ihr Gottesgnadentum mit der Kanonisierung christlicher Moral erkaufte, für alles, was dem Erotomanen und Pseudo-Revolutionär Richard Wagner alias Tannhäuser persönlich gegen den Strich ging. Wie Wagner die moralisierenden Sänger-Ritter desavouierte, wurden eben jetzt gezielt die Bayreuther Kunstweihe-Rituale auf die Schippe genommen.
Das Problem ist nur, dass das ästhetisch nicht funktioniert. Ähnlich wie die Barockoper im 19. Jahrhundert, als sie mit bürgerlicher Moral gegen den Strich gebürstet wurde, öde und redundant wurde, so wird auch die romantische Oper öde und redundant, wenn man sie mit liberalem Anarchismus gegen den Strich bürstet. In der Oper, viel mehr noch als im Schauspiel, gibt es eine ästhetische Konvergenz der Mittel, der Atmosphäre und der Aussage, die sich nicht auseinanderdividieren lässt.
Was bei dieser Premiere auf der Bühne geboten wurde, war Schülertheater. Was eben rauskommt, wenn heutzutage Deutsche witzig und originell sein wollen. Ein völlig unintegriertes Zusammengeschustere von Slapstick, Zitaten, Sozialkritik, Feminismus, Kapitalismusschelte, Camp und Trash, deren einziger gemeinsamer Nenner war, dass es sich an der hehren bildungsbürgerlichen Kultur reibt. Jeder darf sich etwas aussuchen, woran er sein kleines Mütchen kühlen kann. Und dass selbst der Bayerische Ministerpräsident von der Inszenierung begeistert war, sollte einem zu Denken geben.
Fängt man nur ein paar Sekunden an darüber nachzudenken, was das ganze eigentlich soll, stößt man sofort in sinnentleerte Sackgassen. Ist Clown-Sein Sünde? Ist Wagnertenor zu sein eine existenzielle Daseinsform? Ist ein Aussteigerleben Buße? Darf man als Wagnersopran keinen vorehelichen Sex haben? Hat Schlitzen eine religiöse Komponente? Ist Dichten ein Verbrechen?
Es mag ja sein, dass man diesen Gefühlslagen von hochfliegendem Idealismus und religiöser Ektase, denen man in jenen Jahrzehnten des frühen 19. Jahrhunderts zwischen Byron, Berlioz, Liszt, Schumann, Hölderlin, Mendelssohn und Meyerbeer allüberall begegnet, heutzutage nichts mehr abgewinnen kann. Doch dann sollte man lieber Bayreuth dichtmachen und das Geld gleich in Off-Kultur stecken, statt so zu tun als seien Wagners Arien Musical-Nummern, die man revuemäßig jedem Kontext unterschieben kann.
Dieses völlig Oberflächliche und Zeitgeist-Gesteuerte der künstlerischen Rezeption, ohne jede logische ästhetische Konsequenz oder artistische Abwägung, setzte sich merkwürdig im Applaus und den ersten Kritiken fort. Die Debütantin Lise Davidsen, die durchaus darstellerisches Talent hat, deren Gesang jedoch noch sehr steif und wenig differenziert ist, wird, weil Frau und Opferrolle, sofort zur „Jahrhundertstimme“ hochgejubelt.
Umgekehrt wird Valery Gergiev, weil Putin-Freund und notorisch klimaschädlicher und unpünktlicher Jetsetter, einhellig abgewatscht. Sein Dirigat war vielleicht in der Tat etwas schlampig, doch ganz so schlecht war es auch nicht, hatte durchaus Zug und einen Sinn für große Linien. Da war in den letzten Jahren in Bayreuth langweiligeres und pauschaleres zu erleben.
Stephen Gould und Elena Zhidkova wurden dafür, dass sie sich selbstlos den Selbstentblößungen und Clownerien hingaben, gefeiert. Zhidkova hat durchaus eine komische Begabung, doch sängerisch war das von beiden keine Glanzleistung. Markus Eiche als Wolfram sang Goulds Tannhäuser immer wieder an die Wand, und dass sich Venus und Elisabeth so sehr in diesen ältlichen, stumpf singenden und schmerbäuchigen Tannhäuser verlieben sollten, erforderte ein gehöriges Maß an suspension of disbelief.
Muss man sich in Schale werfen und nach Bayreuth pilgern, um diesen mittelmäßigen Gesang und diese Deutsche Schmalzklamotte anzusehen. Nein, auf alten Platten wird besser gesungen, und Netflix bietet bessere Unterhaltung.
Kommentare 18
dabei hätt's mit einem bisserl guten willen
nochmals gut-ausgehen können...
Man müßte einen Gegenbegriff zu Ent-/Verfremdung finden, um das so trefflich beschriebene Phänomen auf ein Wort zu verdichten. Wie man durch Verfremdung einem zum Zeitgeist in Schieflage gekommenen Kunstwerk wieder zu aktueller Aussagekraft verhilft oder auch nur das noch Gültige bewahren läßt, so kann man das Kunstwerk durch Anverwandlung zerstören. Traurig.
Ich finde das jährliche Show-Laufen beim ehemaligen Hitlerverehrer-Clan unverzichtbar: zeigt es doch jedesmal den aktuellen Stand der Basis, auf der die Transition vom NS zu einer bürgerlichen Demokratie normalwestlichen Zustands stattgefunden hat.
Die inszenatorischen Kapriolen dabei kann man getrost vernachlässigen. Da zudem wenig davon auszugehen ist, dass das Gros der dort auflaufenden Politik- und Celebrity-Prominenz tatsächlich auf den – notdürftig auf »Gegenwart« gerührten –Wagner-Schmonzens steht, ist der in Nachrichten und Yellow-Press-Gazetten publizierte Couteau doppelt aufschlussreich: a) in Bezug auf das Geltungsbedürfnis der dort Aufschlagenden, b) als Symbol dafür, welche Art Geisteshaltung die maßgebenden Eliten in Deutschland nach wie vor pflegen.
den gegen-begriff zum verfremden hat brecht benannt: narkotisieren.
daher ist die wirkung eines narkotisierenden weihe-spiels
auch so schwierig zu verändern.
ganz abgesehen von den erwartungen der junkies...
und nur für wenige sind wagners werke so etwas wie eine
tafel rum-rosinen-nuss-schokolade...
aus beständen, nahe dem verfalls-datum ...
@ denkzone, @ Richard Zietz
Die Kritik an dem alljährlichen Event ist teilweise sehr berechtigt. Das lasse ich so stehen. Mit der Kunst vergangener Zeiten hat man vielfach das Problem, daß man mit den Erfahrungen des Zeitlaufs klüger geworden ist, man erkennt vieles als nicht mehr haltbar. Trotzdem ist große Kunst so bedeutungsschwer, daß sie immer noch viel zu sagen hat. Da ist es einfach unklug, solche Kunst wegen ihrer Beschränktheiten zu verwerfen, insbesondere die Moral zur obersten Instanz aufzubauschen, insbesondere, wenn es sich um Musik, die abstrakteste der Künste, handelt, in der die außermusikalische Semantik (selbst in der Oper) eine vergleichsweise geringe Rolle spielt, und insbesondere, weil Moralismus selbst eine fragwürdige Verengung ist. Aber bitte, das ist jedem unbenommen. Kunstliebhaber sind klüger und werden dafür verschwenderisch belohnt.
ich habe keinen aufruf
zur verdammung des rum-rosinen-nuss-schokoladen-verzehrs initiiert!
deshalb muß ich auch keine fantasy-befreiungs-front gründen,
was von vornherein überflüssige liebes-mühe wäre.
beschränktheiten in der musik-produktion/-rezeption
zu untersuchen und zu exponieren: halte ich aber der mühe wert.
Es ist mehr als anachronistisch, ein Theaterhaus hoch- und am Spielen zu halten, das allein Tempel für das Werk eines Künstlers sein soll. Schon das ist ein Grund, diese Festspiele zu meiden und das ganze Brimborium zu verachten.
Ob Wagners Kunst durch die Festspiele samt Promizirkus (den ewigen Zirkus um die Familie Wagner nicht zu vergessen) wirklich ein Dienst erwiesen wird, sei einmal dahingestellt.
Man kann nur hoffen, dass der arme Beethoven nächstes Jahr (BTHVN 2020) nicht zu arg durch die Eventschleuder gejagt wird. Aber vermutlich wird es so kommen.
Die Rum-Rosinen-Nuss-Schokoladen-Melange ist allerdings zur Charakterisierung von Wagner eher wenig geeignet, da wäre eine süß-sauer/bitter-Mischung fernöstlichen Zuschnitts treffender.
Was das Untersuchen der „beschränktheiten in der musik-produktion/-rezeption“ betrifft, bin ich mehr als einverstanden. Es ist ja das gute Recht des Rezipienten, zu sehen, hören, reflektieren oder nicht, was er wahrnehmen kann und will, und es ist das Recht des (Unterhaltungs-)Künstlers, den Bedarf zu stillen, aber es ist ein Armutszeugnis, wie wenig die Rezipienten sehen und hören, was sie sehen und hören (was zu hören ist), und daß die Künstler damit zufrieden sind. Das wird in Bayreuth leider gut bestätigt. Indes rein künstlerisch diese Festspiele immer wieder einiges zu bieten hatten.
Die Idolatrisierung einzelner Künstler ist hauptsächlich in ihrer Einbettung in den Verwertungsprozeß der Kulturindustrie natürlich ziemlicher Quatsch, die muß man ursprünglich im Zusammenhang des Geniekults sehen, das hatte etwas durchaus Unschuldiges, die Entdeckung der künstlerischen Autonomie und einer Welt aus dem Geiste der Kunst. Heute belächelt man solchen Romantizismus, das wird aber dieser geistigen Erfahrung nicht gerecht. Bayreuth stand ja für das Gesamtkunstwerk, ähnliches hat später Scriabin initiiert, und der Ernst, mit dem sich die Kunst ihren eigenen Ansprüchen stellte, sollte dabei in Rechnung gestellt werden. Freilich, der Heroismus der Kunst ist sehr schnell unter den weltkriegerischen Zeitläufen zusammengebrochen, und daher kann nicht mehr gedacht werden, wie es mal war.
Insofern: Ja, das Abfeiern hoher Kunst hat etwas unübersehbares Abgestandenes. Und in gewisser Weise hatte Boulez ja recht mit seiner Provokation über die Opernhäuser. Und trotzdem ist es gut, daß er sich untreu geworden ist und uns besonders schöne Wagneraufführungen geschenkt hat.
Ja, sicher muss man den Geniekult und die Meisterverehrung mit Ursprung im 19. Jahrhundert im Hinterkopf haben. Ich hatte mir es vorhin nur gespart, darauf Bezug zu nehmen.
Wenn ich "Idolatrisierung einzelner Künstler [...] hauptsächlich in ihrer Einbettung in den Verwertungsprozeß der Kulturindustrie" richtig verstehe (die Vokabel "Idolatrisierung" kenne ich nicht, meine sie aber zu verstehen), so beschreibt das sicher, wie von einer Substanz gezehrt wird, wo etwas vergleichbar Gegenwärtiges fehlt. Das ist natürlich richtig, denn die Tempel der bürgerlichen Hochkultur wie auch die klassischen Musikverlage leben tatsächlich fast nur (noch) von dieser Substanz.
Aber wir dürfen uns auch nicht vormachen, dass es im 19. Jahrhundert grundsätzlich so viel anders funktioniert hätte. Die unmögliche Genieerhöhung eines Beethoven und Befestigung als Titan der Musikkunst, wie sie bereits mit seinem Tod einsetzte, wäre so nicht möglich gewesen, wäre sie nicht mit der Kernzeit der Etablierung einer (Kultur-) Musikindustrie auf deutschem Boden zusammengefallen. Wer dagegen zu Schaffens- und Lebzeiten 'hinten runtergefallen' ist, wissen wir entweder nicht oder ein z. B. Schubert oder Schumann sind nur durch Zufälle oder beharrliches Nachkarteln durch Dritte (im Falle Schumanns durch z. B. Clara als posthume Herausgeberin und v.a. Interpretin) noch zu posthumen Ruhm gekommen. Wir romantisieren also auch, wenn wir allein eine "Autonomisierung der Kunst" und "eine Welt aus dem Geiste der Welt" kategorisieren - so richtig das in gewisser isolierender Betrachtung auch ist.
Die Ansicht von der "Abgestandenheit" des bloßen "Abfeierns hoher Kunst" findet ihre Richtigkeit darin, dass es sich um das Abfeiern von zu Säulenheiligen erhobenen Künstlern und natürlich - vermutlich noch wichtiger, aber auch das hat eben eine sehr lange Geschichte - das Selbstabfeiern einer gesellschaftlichen Filterblase handelt. Natürlich war Boulez' Wort von der "Zerstörung der Opernhäuser" nur im übertragenen Sinne zu verstehen. Dass er schließlich sogar nach Bayreuth fand, ja und sogar ein Schlingensief, lässt mich immer noch sehr, nunja, zumindest zwiegespalten zurück.
Eine kleine Anmerkung, die hier, wo es um die mißbräuchliche Ent- und Verwertung älterer Kunst und ihrer institutionalisierten Traditionspflege geht, ot ist, aber als ein eigenes Thema einmal diskutiert werden könnte: die Autonomie der Kunst und ihre Bedeutung in der zivilisierten Gesellschaft.
Ich meine mich an eine Anekdote zu erinnern, in der Beethoven in einem Konzert wütend das Publikum beschimpft hat, weil es, wie wohl noch üblich zur der Zeit, sich undiszipliniert, „respektlos vor der großen Kunst“ verhalten hat. Mit der Säkularisierung einher ging die Idealisierung der Kunst als eines holden, heiligen, kultischen Tuns. Und auch des ausübenden Musikers nicht mehr nur als Techniker, sondern als Magier, Gott (Tartini, Liszt). Der professionelle und der Amateurstatus drifteten radikal auseinander (das ist bis heute so). Wobei schon damals die Schere zwischen Virtuosentum und Effekthascherei sich auftat. Und natürlich die Verwandlung von Kunst in Warenproduktion.
"Für solche Schweine spiele ich nicht!". Mit diesen Worten soll Beethoven sein Spiel in einem der Wiener Fürsten-Salons abgebrochen haben, weil ein Teil der Gäste lieber plauderte, als ihm zu lauschen.
Ja, "die Autonomie der Kunst und ihre Bedeutung in der zivilisierten Gesellschaft" wäre einmal ein Thema. An Beethoven in Wien kann man das für die Historie, das frühe 19. Jh., tatsächlich sehr gut abhandeln und das ist auch z. B. von Tia deNora mit ihrer soziologischen Studie "Beethoven and the construction of genius" schon unternommen worden. Interessanterweise tut sich zwischen den Wiener Fürsten und "ihrem Beethoven" und der Gönnerszene für die heutige kontemporäre Kunst und Musik eine interessante Parallele auf.
Ja, es ist wirklich grauenhaft, was man uns häufig als Opern-Inszenierung vorzusetzen wagt, und ich frage nur Eines zurück, nämlich warum da Wagner, mit oder ohne Bayreuth, eine Ausnahme machen sollte. Drei von fünf Opern-DVDs sind so widerlich „aktualisiert“, daß man nur mit geschlossenen Augen zuhören kann, um wenigstens von der Musik etwas zu haben. Dabei ist Aktualisierung ja nicht an sich von Übel, im Gegenteil, nur muß eben die Oper, um die es geht, dabei erhalten bleiben. Es gibt wirklich auch gelungene Beispiele, zum Beispiel die Semele von Händel mit der Bartoli, vielleicht kennen Sie das, zum Totlachen und doch mit Niveau, ich habs gerade entdeckt. Und überhaupt gibt es natürlich viele gute Inszenierungen, also what shall’s, könnte man sagen. Nicht alles, was Kunst sein will, ist es eben auch tatsächlich. Beim Tannhäuser habe ich vor jetzt schon vielen Jahren den Tiefpunkt in der Deutschen Oper Berlin erlebt, das wurde von einer Frau inszeniert, den Namen weiß ich nicht mehr, die meinte, es sei heute nicht mehr zeitgemäß, daß Elisabeth am Ende sterbe, statt sich über die sinnliche Liebe zu freuen, und daher schrieb sie das Stück um, Elisabeth lebt und hat Sex... Heute abend wird die Inszenierung, über die Sie schreiben, ja im Fernsehen gebracht und ich werde mal reinschauen, aber sehr wahrscheinlich wird man mehr vom Abend haben, wenn man Dortmund gegen Bayern guckt.
Warum haben Sie meinen Kommentar versteckt? Ich habe mir die Inszenierung übrigens gestern angeschaut und fand sie gut, habe dazu hier eine Notiz gemacht.
Hand aufs Herz, ich habe Ihren Kommentar nicht versteckt. Ich hatte eine e-mail bekommen, die mich aufforderte einen Kommentar zu prüfen, habe aber nichts weiter getan.
Jetzt ist der Kommntar auf einmal wieder da, war wohl ein Irrtum der Moderation gewesen.