Kriegspraktikum

CD-Kritik Die Sängerin Anna Prohaska und ihr Konzeptalbum "Behind The Lines" zum Kriegsbeginn vor 100 Jahren.

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Der Krieg ist ästhetisch ein äußerst schwieriges Thema. Denn wenn der Krieg beginnt, ist es mit aller Kultur vorbei. Eigentlich war nur der Roman mit seiner objektivierenden Distanz und in neuerer Zeit interessanter Weise ausgerechnet das moderne Effektkino mit seiner die Sinnesorgane unmittelbar betäubenden Gewalt in der Lage einen Begriff davon zu geben, was Krieg bedeutet.

Dichtung und Musik jedoch sind dem Thema nicht gewachsen. Das Schlachtfeld ist einfach nicht der Ort der Empfindung und der Reflektion sondern der nackten animalischen Brutalität und existentiellen Panik. So sind die Annäherungen an dieses Thema denn auch meist indirekt. Thematisiert werden antizipierend entweder Euphorie oder Angst oder rückblickend Verlust und Trauer.

Viele, vor allem die Dichter und Komponisten des 20. Jahrhunderts, versuchen auch den irrationalen Wahnsinn des Krieges irgendwie ästhetisch zu fassen. Doch scheitert gerade dieser Ansatz eigentlich immer. Jenem barbarischen und kulturfreien Inneren des Krieges ist mit ästhetischen Mitteln nicht beizukommen. Selbst Berthold Brecht und Hanns Eisler diesseits und Walt Whitman und Kurt Weill jenseits des Atlantiks bleiben in ihren ein wenig wohlfeilen Anklagen bzw. idealisierenden Sentimentalitäten redundant.

Mit Beethovens unverholener Kriegseuphorie im "Egmont" oder Liszt religiös verzückten Amazone Jeanne d'Arc tut sich unsere pazifistische säkulare Kultur ganz grundsätzlich schwer. In gewisser Weise bezeichnend ist, dass das am dunkel dräuendste und verrätselt expressivste Stück auf dem Album, der "Untergang" von Trakl/Rihm von Dichter und Komponisten in heilen Friedenszeiten geschrieben wurden. Diesen hedonistischen Genuss des Schreckens erlaubt man sich nur aus sicherer Warte.

Abgesehen von der schicksalsergebenen Trauer der frühbarocken Liedern von Thomas Traill und Michael Cavendish, die gerade mit ihrer Schlichtheit den angemessenen Ton treffen, sind eigentlich nur die beiden Lieder von Schumann als wirklich gelungen zu bezeichnen. Schumann war ein genialer Liedkomponist, auch deswegen, weil er schon in der Auswahl des Textes untrüglichen Instinkt beweist. Was die Texte von Heine und Chamisso/Andersen interessant macht, ist eben, dass sie ambivalent bleiben. Gerade weil der soldatische Ethos nicht von vorneherein desavouiert gleichzeitg aber in Frage gestellt wird, entsteht hier eine innere Spannung. Und Schumann trifft diese Ambivalenz in der Vermischung von martialischer Bewegung und subjektiver Innigkeit mit der ihm eigenen traumwandlerischen Sicherheit.

*****

Obwohl ich dieses Album durchaus mit Neugierde und Interesse gehört habe - die meisten der Lieder waren mir bis dahin unbekannt - kann ich eine grundsätzliche Skepsis nicht gänzlich verbergen. Die Mischung ist doch ein wenig zu kunterbunt. Nicht nur, dass eher auf eine Gestimmtheit ausgerichtete Lieder wie die von Rachmaninov, Liszt und Mahler einfach mehr Einbettung bräuchten, um ihre Wirkung entfalten zu können. Selbst wenn man einen gewissen zeit- und musikhistorischen Hintergrund mitbringt (oder vielleicht gerade dann) fällt es einem oft schwer zwischen den so völlig verschiendenartigen Kontexten intellektuell und emotional umzuschalten.

Doch andere Bedenken wiegen noch schwerer. Die Skepsis darüber, dass sich eine hübsche und erfolgreiche junge Sängerin eines so anspruchsvollen Themas annimmt, erweisen sich leider nicht gänzlich als unbegründet. Zwar ist Anna Prohaska durchaus ernsthaft und keineswegs naiv, doch hat alles ein wenig von der Beflissenheit einer sehr sehr fleißigen Praktikantin. Die Sorgfalt, mit der sie nicht nur versucht die sprachlichen Idiome zu treffen, sondern auch musikalisch alles bewusst bis ins Detail gestaltet, mag die Klassik-Punktrichter erfreuen, macht auf mich aber einen unangenehm angelernt generischen Eindruck. Und bei diesem Thema kommt dann oft noch jene Art von künstlich betroffenem Ton hinzu, wie man ihn von Fernsehansagerinnen kennt, wenn sie von einem Krieg oder einer Katastrophe zu berichten haben.

Dass sie sich im booklet in modischen Military Look zeigt ist heute gewiss kein Grund mehr die Nase zu rümpfen, doch ist es eben auch bezeichnend für eine moderne Ästhetik, die selbst aus etwas so inkommensurablem wie dem Krieg ein hübsches stylisches Produkt macht.

Ich äußere diese Kritik nicht leichten Herzens, denn ich halte Anna Prohaska für eine der größten künstlerischen Begabungen ihrer Generation. Sie hat ein Art der Unmittelbarkeit in ihrer Stimme, die eine seltene Gabe ist. Doch gibt es im heutigen Klassischen Musikbetrieb oft eine falsche verstandene Art des Anspruchsvollen. Man glaubt, wenn man sich mit ernsthaftem beschäftigt, sei man automatisch ernsthaft. Dabei besteht Ernsthaftigkeit im künstlerischen Sinn darin, sich selber zur Entfaltung zu bringen. Mit Fleiß und Beflissenheit ist das nicht zu erreichen.

ANNA PROHASKA

BEHIND THE LINES

Eric Schneider

Release 09 Jun. 2014

Deutsche Grammophon

1 CD / Download 0289 479 2472 2 CD DDD GH

Tracklisting

Traditional 1. Es geht ein dunkle Wolk herein 1:02
Ludwig van Beethoven (1770 - 1827) Music To Goethe's Tragedy "Egmont" Op.84
2. 1. Lied (Clärchen): "Die Trommel gerühret" 2:57
Hanns Eisler (1898 - 1962) Zeitungsausschnitte, Op.11
Zeitungsausschnitte
3. Kriegslied eines Kindes 2:13
Hugo Wolf (1860 - 1903) Mörike-Lieder
4. 5. Der Tambour 2:45
Gedichte von Joseph v. Eichendorff
5. Der Soldat II 0:47
Sergey Vasil'yevich Rachmaninov (1873 - 1943) Six Romances, Op.8
Six Romances, Op. 8
6. Polyubila ya na pechal' svoyu (I Have Grown Fond Of Sorrow) 1:51
Thomas Traill 7. My Luve's In Germanie 3:22
Charles Ives (1874 - 1954) Three Songs Of The War
8. 1. In Flanders Fields 2:18
9. 1, 2, 3 0:31
Three Songs Of The War
10. 3. Tom Sails Away 2:35
Roger Quilter (1877 - 1953) Five Shakespeare Songs, Op.23
11. 1. Fear No More The Heat O' The Sun 3:09
Hanns Eisler (1898 - 1962) The Hollywood Songbook (1943)
12. Panzerschlacht 0:48
13. Die letzte Elegie 1:18
14. Die Heimkehr 1:30
Michael Cavendish 15. Wand'ring In This Place 2:36
Franz Schubert (1797 - 1828) Schwanengesang, D.957
16. Kriegers Ahnung 4:35
Sieben Gesänge aus Walter Scotts "Fräulein vom See", D.837
17. Ellens Gesang I, Op.52 7:33
Wolfgang Rihm (1952 - ) 18. Untergang, Op.1 2:19
Franz Liszt (1811 - 1886) 19. Jeanne d'Arc au bucher, S.293 8:09
Robert Schumann (1810 - 1856) Romances And Ballads, Op.49
20. 1. Die beiden Grenadiere 3:36
Francis Poulenc (1899 - 1963) Chansons villageoises
21. 6. Le retour du sergent 1:36
Robert Schumann (1810 - 1856) Fünf Lieder, Op.40
22. 3. Der Soldat 2:46
Gustav Mahler (1860 - 1911) Songs from "Des Knaben Wunderhorn"
23. Wo die schönen Trompeten blasen 7:30
Kurt Weill (1900 - 1950) Four Walt Whitman Songs
24. 1. Beat! Beat! Drums! 3:14
Four Walt Whitman Songs
25. 4. Dirge For Two Veterans 5:05

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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