Moderne Gipfelstürmerei

Igor Levit In der Klaviermatinee im Münchener Prinzregententheater verblüffte der junge Pianist mit Beethovens Hammerklaviersonate.

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Noch nie habe ich eine derart aberwitzig virtuose Aufführung von Beethovens Hammerklaviersonate erlebt wie sie von Igor Levit bei seinem Konzert im Münchener Prinzregententheater zu hören war. Er nahm die von Beethoven geforderten extremen Metronomisierungsvorgaben vollkommen ernst und bot das äußerst vertrackte Passagenwerk des Kopfsatzes und der Fuge mit einer Präzision und Sicherheit, doch auch mit einem Elan und Furor, der schlicht phänomenal genannt werden muss. Wie zum Aufwärmen spielte er vor der Pause die technisch ebenfalls höchst anspruchsvollen Bach-Variationen von Max Reger mit nicht minder staunenswerter Klangfülle und Sicherheit.

Ohne Zweifel wird er für diese herkulische Leistung gebührend gepriesen werden. Doch schon während ich Zeuge dieses technischen Bravourstücks war, fragte ich mich insgeheim: wozu der ganze Aufwand?

Diese Frage kann man sich schon angesichts der Variationen von Reger stellen. Diese Variationen stehen in er Tradition der berühmten Variationenwerke von Bach, Beethoven und Brahms. Das symptomatisch problematische an Regers Variationen ist, dass sie sich einerseits in eine Tradition stellen und diese Tradition in gewisser Weise weiterführen und gar übertreffen wollen, doch andererseits den ursprünglichen Sinn dieser Form überhaupt nicht mehr verstehen.

Schon das Bach-Thema, das Reger wählt ist für Variationen völlig ungeeignet. Es ist zwar schön, doch formal zu versponnen und unklar. Bei den Variationen zwischen Bach und Brahms ist das Thema immer simpel und eingängig, denn der Hörer muss es sich sofort merken können, damit es immer präsent ist. Im "Nebeneinanderhalten" von Thema und Variation besteht Sinn und Reiz eines Variationswerkes.

Auf einer gewissen handwerklichen Ebene sind Regers Variationen meisterhaft. Die thematischen Bestandteile des Themas werden durchaus mit großer Könnerschaft variiert und verarbeitet. Doch hat diese satztechnisch und kontrapunktisch anspruchsvolle Könnerschaft etwas hypertrophierend Selbstzweckhaftes und Selbstreferezielles, demonstriert nur den eigenen Anspruch ohne nach einem eigentlichen Sinn und Zweck der Form zu fragen. Keine Struktur, keine Klarheit, dafür viel Passagengewusel und wichtigtuerisch dröhnende Akkorde mit vier forte- und fünf Ausrufezeichen. Was dem Hörer bleibt, ist ein mäandernder Klangstrom in diffusem h-moll.

Diffus blieben leider auch die "Six epigraphes antiques" von Claude Debussy, mit denen Levit den Abend eröffnete. Die Stücke sind vielleicht überhaupt nicht für den Konzertsaal geeignet (und deswegen wohl für das privat intime vierhändige Klavier bestimmt), zu erotisch-exotisch raffiniert, mit feinsten Nuancen ist die Klangchemie abgemischt. Man muss gewissermaßen noch die Vibration der Saiten fühlen, in der Distanz verliert sich das zu sehr. Mit expressiven und virtuosen Akzenten, wie von Levit praktiziert, lässt sich das nicht beheben.

Ja, und dann noch Beethoven. Die Hammerklaviersonate ist wohl das anspruchsvollste Stück Klaviermusik, das es gibt. Anspruchsvoll in so vielerlei Beziehung, wovon die technischen Anforderungen lediglich ein Aspekt sind. Es ist ein wenig einfach das zu sagen, doch ein 25jähriger kann dem Stück, auch wenn er es technisch auf jene stupende Weise wie Igor Levit zu bieten vermag, nicht gewachsen sein. Was auch keine Schande ist.

Durch was Beethoven in seinem Leben gegangen war, ist ungeheuer. Sein Werk, das vom schieren Umfang gar nicht so gewaltig ist, ist, was es an reichhaltigen und extremen Erfahrungen reflektiert umso gewaltiger. Beethoven war eine jener Künstlernaturen, die eigentlich nur in ihrer Arbeit leben. Und jemand, der in jedem Werk eine neue Erfahrung, einen neuen Horizont für sich erobern wollte. Oft auch mit Gewalt.

Wie Beethoven sich etwa im Spätwerk die Fuge erobert, ist ein Gewaltakt, beim dem sich Bach sicher die Haare gesträubt hätten. Haydn verabscheute Beethovens frühe Kompositionen, weil auch sie schon jene kaltschnäuzige Gewaltsamkeit zeigten.

Beethoven, der nicht nur wegen seiner Taubheit schwer von Schicksal geschlagen war, sondern auch materiell und persönlich viele Katastrophen durchmachen musste, war oft im Leben an einem Punkt, an dem er sich nur noch mit einer schier unmenschlichen Willensanstrenung, und eben oft anhand eines Werkprojektes, wieder ins Leben zurückkämpfte.

Werke wie die Hammerklaviersonate lassen sich mit rein ästhetischen Maßstäben nicht mehr messen. Der gewaltsame Kraftakt, den diese Sonate darstellt, hat eine existenzielle Komponente, ist ein, es mag altmodisch klingen, Ringen mit dem Schicksal.

Dass es so altmodisch klingt, hängt auch damit zusammen, dass wir jenen Glauben, den Menschen der Aufklärung noch hatten, einen utopischen Glauben daran, dass das persönliche und gesellschaftliche Schicksal der Menschheit formbar ist, verloren haben. Was Beethoven diese ungeheure Willensleistung verlieh, war eben auch der Glaube, dass es dabei nicht nur um seine eigene persönliche Befindlichkeit ging, sondern buchstäblich um das Schicksal der Menschheit. Wir haben diesen Idealismus heute ziehmlich verloren, weswegen Beethoven heute nicht mehr jene überragende Bedeutung hat wie noch zu anderen Zeiten.

Doch was bleibt von Beethoven dann noch übrig. Wozu der Aufwand? Der Eindruck der Aufführung blieb denn auch über das Staunen über die technische Meisterung seltsam flach und unerheblich. Das berühmte fis-moll Adagio spielte Levit keineswegs ausdruckslos, doch blieb dieser Ausdruck selbstzweckhaft genauso wie der Furor in der Fuge. Wie soll auch ein junger blendend begabter Pianist am Beginn einer aufstrebende Karriere einen Sinn haben für die Altersdepression und erfahrungs- und leidensgetränkte Weltenklage Beethovens.

Auch das Publikum hat keinen Sinn dafür. Sie goutierte Levits Leistung wie den Stunt eines Felix Baumgartner mit Johlen und Standing Ovations. Das ist die moderne Art der Gipfelstürmerei. Leistung wird abgeliefert, ob irgendein obskurer Rekord oder irgend eine stupende technische Leistung. Doch wozu der ganze Aufwand?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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