Mozart post Amadeus

Mozartstil Zu Mozarts Oper "Così fan tutte", neuen Aufnahmen, unter anderem mit Teodor Currentzis, und darüber wie sich der Mozartstil in den letzten Jahren entwickelt hat.

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Es besteht kaum Zweifel, dass Milos Formans Film "Amadeus" unsere Vorstellung von Mozart grundlegend verändert hat. Im Rückblick ist klar, dass "Amadeus" eine kultur-mythologische Umformatierung war, die zwar zunächst von seriösen Klassik Liebhabern als popkulturelles Massenphänomen halb geschmeichelt halb kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen wurde, allmählich aber doch auch ins Bewusstsein der Klassikkultur durchsickerte.

Gerade wenn man sich die Mozart Aufnahmen der letzten Jahre anhört, wird man das Gefühl nicht los, dass sich hier ein Post-Amadeus Mozartstil herauskristallisiert hat. Sehr oft meint man etwas von jener nervös aufgekratzten Lebendigkeit zu spüren, die Tom Hulce der Mozart Figur mitgegeben hat.

Nun ist "Amadeus" ohne Zweifel ein großartiger Film, und das nicht nur weil das Theaterstück von Peter Shaffer, auf dem der Film basiert, eine Paradebeispiel jener brillant gemachten angelsächsischen Theaterkunst ist, die es schafft ein durchaus anspruchsvolles Thema unterhaltsam und dramaturgisch geschickt zu präsentieren. Doch wenn ein Film wie dieser einen so enormen Erfolg hat, geht das meist über rein handwerkliche Aspekte hinaus.

Man muss "Amadeus" eigentlich im Kontext von Filmen wie "Fame" oder "A Chorus Line" sehen. Was in diesen Filmen zum Ausdruck kommt ist die Entfremdung von bildungsbürgerlichen Idealen. Klassische Musik, Klassisches Ballett und ernsthafte Literatur werden als unzeitgemäß und steif empfunden und die Popkultur als lebendig und heutig gefeiert.

In diese Kerbe schlägt auch "Amadeus". War Mozart in den 1950er und 60er Jahren noch ganz der Heros des Bildungsbürgertums und wurde als von antiker griechischer Kunst beseelter und von Schillerscher Bildung durchdrungener apollinischer Genius stilisiert, wurde Mozart in "Amadeus" von der Popkultur annexiert. Er liest dort nicht Kant oder schwelgt in der Kunst der Antike sondern ist ein anarchisches Originalgenie, das sich wie eine moderner Rockstar einen Dreck um Etikette schert, am liebsten Partys feiert, und in den nüchternen Momenten mal schnell Meisterwerke aufs Papier kritzelt.

Obwohl das natürlich genauso eine Klitterung war wie das frühere Mozartbild ging diese mythologische Umdeutung sehr gut auf. Denn, was man vorher eher verschämt camouflierte, Mozart hatte tatsächlich diese chaotische, nervöse, hedonistische und anarchische Seite in seinem Charakter. Dass diese Seite wieder zum Vorschein kam, darin liegt der Verdienst von "Amadeus". Und darin, dass sich diese Elemente so gut mit dem modernen Popstar Mythos zusammen fügten, das tiefere Geheimnis seines Erfolges.

An dieser Stelle sei nicht verschwiegen, dass der eigentliche Autor dieser Umdeutung Wolfgang Hildesheimer war, dessen Mozartbuch von 1977 Peter Shaffer maßgeblich zu seinem Theaterstück inspiriert hatte. Schon das Buch als auch das Theaterstück waren sehr erfolgreich, doch war wohl nur ein Kinofilm in der Lage, diese Aspekte in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu tragen.

Freilich ist auch das Mozartbild von "Amadeus" nicht wahrer als das des Apollinikers. Denn in Mozarts Brust, und das ist vielleicht das eigentliche Betriebsgeheimnis von Mozarts mysteriösem Genie, wohnten zwei Seelen, die in produktiver Spannung zueinander standen. Neben der spontan anarchischen Spielernatur ist da auch ein starker Zug von Strenge, Ernsthaftigkeit und Konservatismus.

Auf primärer handwerklich kompositorischen Ebene ist Mozart tatsächlich sehr konservativ. Mozart hat schon mit der Muttermilch ein zentrales ästhetisches Gesetzt aufgesogen, das, nebenbei bemerkt, dem heutigen zeitgenössischen Komponieren gänzlich abhanden gekommen ist. Dass man nämlich, um originell zu komponieren, zuerst so etwas wie Normalität herstellen muss. Heute dagegen will alles Singularität sein und treibt einsam im Weltall der künstlerischen Möglichkeiten.

Man könnte sogar sagen, dass Beethoven ohne Mozart und Haydn nicht möglich gewesen wäre, da diese in ihren Sinfonien und Sonaten erst jene Normalität und Regelmäßigkeit etabliert hatten, an der sich Beethoven dann transformativ und zum Teil auch destruktiv abarbeiten konnte.

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Insbesondere an den Mozart Opern Aufnahmen seit "Amadeus" lässt sich tatsächlich so etwas wie eine Entwicklung ablesen. Angefangen mit den Aufnahmen von Arnold Östman über John Elliot Gardiner und René Jacobs bis zu den neuen Mozartaufnahmen von Teodor Currentzis, von denen "Così fan tutte" soeben erschien.

Ganz klar erkennbar ist ein Trend zu Äußerlichkeit und Extremismus. Mehr und mehr fokusiert sich die Aufmerksamkeit auf die klangliche Oberfläche und mehr und mehr wird zugespitzt und forciert. Teodor Currentzis hat das auf eine Spitze getrieben, die eigentlich kaum mehr zu überbieten ist. Bei jedem sforzato scheppern die Saiten, jedes piano wird mit einem hauchigem Zuckerguss überzogen. Jedes Allegro wird an die Grenze der Spielbarkeit gepresst, jedes Adagio mit mahlerhafter Bekenntnishaftigkeit aufgeladen. Eine Ästhetik des permanenten Ausnahmezustands.

Besonders anschaulich ist diese Entwicklung auch beim Continuo-Part zu beobachten. Fing Östman damit an das Continuo aufzulockern und freier zu gestalten, wird bei Jacobs und Currentzis inzwischen eine show abgezogen, ja, inspiriert von der Histrionie von Tom Hulces Mozart, oft rumgehampelt, dass es schon ins affige geht.

Ich gebe ganz offen zu, dass ich gegenüber dieser Entwicklung zwiegespalten bin. Denn ich kann durchaus nachvollziehen, dass der parforce Ritt von Teodor Currentzis großen Eindruck macht und er damit im Grunde eine moderne Art von instant consume- und wow-Ästhetik bedient, die, da mag man als Bildungsbürger noch so jammern, längst zur Leitästhetik der modernen Kultur geworden ist.

Wir leben in einer Zeit der Gladiatoren Kämpfe, das verraten uns nicht nur "Hunger Games" und Casting Shows. Nur noch im Extremismus meint man sich von der alles verschlingenden Masse abheben zu können. Allerorten ist diese allgemeine Ungeduld und Unruhe zu spüren, eine Obsession des jetzt und gleich, eine Sucht nach unmittelbarer Befriedigung. Alle Ambivalenz und Umständlichkeit macht uns nervös.

Doch bei aller Reserve und Aversion: Teodor Currentzis ist nicht nur eine bemerkenswerte künstlerische Erscheinung, er repräsentiert mit seinem Extremismus eben auch eine signifikante kulturelle Strömung unserer Zeit. Ist Christian Thielemann der Dirigent der AfD Wähler, die gerne die alte Bundesrepublik samt D-Mark, rheinischem Kapitalismus und Karajans Salzburger Festspielen zurück hätten, ist Currentzis der Dirigent der ISIS Kämpfer Generation, die jenseits der etablierten kapitalistischen Strukturen nach unverbrauchten Sinnangeboten suchen.

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Mozarts "Così fan tutte" entstand in einem historischen Augenblick. Sie wurde im Herbst 1789, also unmittelbar nach der Stürmung der Bastille, komponiert und im Januar 1790 uraufgeführt. Anders als Figaro und Don Giovanni, war sie eine Auftragsarbeit des Kaiserlichen Hofes in Wien. Entsprechend ist die Oper stofflich eher rückwärtsgewandt, hat seine Wurzeln bei Ariosto und dem Schäferspiel. Die Dienerinnenfigur der Despina ist gewissermaßen eine modernisierte Weiterentwicklung der lebensklugen Schäferin Dorinda.

Die Oper spielt also in einer aristokratischen Welt, die aus der Ferne bereits das Donnergrollen ihres Untergangs hört. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan und Mozarts Partitur ist eine untergründige Nervosität anzumerken, die schon in der merkwürdigen Ouvertüre, die wie ein führerloser Zug auf irgendeine Klippe zuzusteuern scheint, zum Ausdruck kommt.

Marie Antoinette ist die Referenzfigur für das geistig soziologische Klima der Oper. Wenn Dorabella die sündhaft teure heiße Schokolade, von der Despina heimlich genippt hat, in schlechter Laune vom Tablett stößt, muss man unweigerlich an Marie Antoinettes berüchtigten Ausspruch denken, wenn die armen Leute kein Brot haben sollen sie doch Kuchen essen.

Die ganze Rokoko Welt der Oper ist überhaupt viel frivol zynischer als wir anzunehmen wagen. Der seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu hörende Einwand, die Handlung mit den verkleideten Liebhabern sei unwahrscheinlich und unrealistisch, ist typisch für eine bürgerliche Ästhetik, die jeden Sinn für allegorische Maskenspiele verloren hat. Dass nie jemand moniert hat, dass eine Statue, die lebendig wird, unrealistisch ist, zeigt umgekehrt, dass man in diesem Fall die allegorisch Symbolisierung von Schuld und schlechtem Gewissen auch später noch unmittelbar verstanden hat.

Die Konstellation in "Così fan tutte" hat tatsächlich viel von einem Maskenspiel, wie es auch noch Goethe im Mummenschanz des Faust aufführt, wo die Protagonisten in der Verkleidung sich äußerlich verhüllen, doch in Wahrheit innere Aspekte ihrer Persönlichkeit nach außen tragen. Sinn des Spiels ist nicht ein Ratespiel des Erkennens, sondern das geheime Offenbaren von tief verborgenem. Zudem wird den Protagonisten ein Spiel des "als ob" ermöglicht, das jenen Reiz von kontrollierter Tabuverletzung erzeugt, der Sinn und Zweck erotischer Rollenspiele ist.

In dieses Bild passt auch, dass die Fiordiligi in der Uraufführung von der Ferraresi del Bene gesungen wurde. Ausgerechnet Giacomo Casanova hatte über sie gelästert, dass sie für ihre Karriere mit jedem ins Bett geht, und in Wien war sie, obwohl verheiratet, die Geliebte von Lorenzo da Ponte, worüber am Klatsch-süchtigen Wiener Hof natürlich jeder im Bilde war. Dass Da Ponte die Fiordiligi als besonders tugendhaft darstellt ist also schon in Bezug auf die Besetzung eine frivole Pointe.

Dass irgendwas an dieser Oper moralisch nicht so ganz geheuer ist, hat man wohl immer gespürt. Die Oper war im bürgerlichen 19. Jahrhundert wenig populär. Bezeichnender Weise erlebte sie im fin de siecle eine erste Renaissance, vor allem Richard Strauss' "Rosenkavalier" und "Schweigsame Frau" sind unverkennbar von Così inspieriert. Und auch in den letzten Jahren, wo das Internet ganz neue Möglichkeiten des Fremdgehens eröffnet, hat die Thematik der Oper durchaus Konjunktur.

Doch obwohl die moderne Liberalität uns Così in gewissen Aspekten wieder näher gebracht hat, auf der Bühne wirkt die Oper selten überzeugend. Selbst die viel gepriesene Inszenierung von Michael Haneke fand ich, wohl auch ein wenig "overhyped", enttäuschend. So intelligent und im Detail ausgearbeitet sie ist, wirklich funktioniert hat sie für mich nicht.

Warum Così heute nicht so recht zünden will, hat wohl vor allem mit der heutigen Vorstellung von Geschlechtrollen zu tun. Dass die Oper heute als frauenfeindlich gilt, ist nachvollziehbar, doch gewiss nicht das, was Mozart und Da Ponte im Sinn hatten. Die sahen darin im Gegenteil eine Huldigung ans weibliche Geschlecht.

Denn auch Mozart und Da Ponte wussten bereits sehr gut über jenes Mysterium des Begehrens Bescheid, das später Marcel Proust in aller Ausführlichkeit beschreiben wird. Nämlich dass Stabilität der natürliche Feind des Begehrens ist, dass erst das Chaos, die Gefahr, die Verwirrung und das Unvorhergesehene die Leidenschaft befeuern. "Così fan tutte" ist nicht moralisches Verdikt sondern erotische Verheißung.

Gemäß eines englischen Bonmots, Männer lassen sich lenken wie willige Schafe, wenn man sie nur im Glauben lässt, dass sie es sind, die die Richtung vorgeben, lebt auch die Konstellation von "Così fan tutte" von jener Ambivalenz, dass es zwar scheinbar die Männer sind, die die Frauen verführen und überführen, dass aber auf einer intuitiven Ebene eigentlich die Frauen die Oberhand haben.

Es ist denn auch kein Wunder, dass Mozart die Frauen musikalisch viel ernster nimmt als die Männer. Dorabellas "Smanie implacabile" und Fiordiligis "Come scoglie" sind eben keine hysterischen Karikaturen sondern zeichnen Dorabella als eine leidenschaftliche, zum Risiko bereite Frau und Fiordiligi als selbstbewusste Schönheit, die sehr gut weiß, dass sie durch ihre stolze Unzugänglichkeit das Begehren anderer erst recht steigert (wer Downton Abbey kennt, mag an Lady Mary Grantham denken). Die Seria Anklänge dieser Arien sind denn auch nicht parodistisch wie oft unterstellt wird sondern vermitteln Welthaftigkeit und Attraktivität. Guglielmo und Ferrando sind mit dem jovial charmanten "Non siate ritrosi" und dem selbstverliebt schönheitstrunkenen "Un' aura amorosa" als Charakter viel schlichter gezeichnet.

Es steckt eine Menge geschlechterpsychologisches Beobachtung in der Art wie sich die Paare im zweiten Akt annähern. Ähnlich wie in Goethes Wahlverwandtschaften, die stofflich in der Tradition von Così stehen und in denen von chemischen Anziehungen von Elementen die Rede ist, sind Dorabella und Guglielmo chemisch betrachtet der beste Match. Und es ist dann auch kein Wunder, dass sie im Duett "Il core vidono" sofort verschmelzen. Bei Fiordiligi und Ferrando muss die Temperatur noch deutlich erhöht werden, bevor ihre narzisstischen Selbstbilder amalgamieren. Bezeichnend ist, dass Fiordiligi und Ferrando ihren emotionalen Höhepunkt jeweils alleine haben, in "Per pietà" und "Tradito, schernito". Bei Fiordiligi sind es Schuldgefühle, bei Ferrando die Eifersucht, die als Katalysatoren und Aphrodisiakum wirken.

Die geschlechtliche Assymetrie, die bereits in den ersten beiden Szenen exemplarisch exponiert wird, wird heute eher überspielt. Bei Haneke wirkt die Geschichte wie ein Sexunfall unter Alkoholeinfluss wie überhaupt in modernen "Così" Inszenierungen viel gefummelt und geknutscht wird. Dass Don Alphonso Despina sexuell belästigt, ist inzwischen so selbstverständlich, dass es fast schon ein wenig nervt.

Diese Handgreiflichkeiten ziehen die Oper auf die Ebene einer Sex-Klamotte. Um Sex geht es aber in "Così" paradoxer Weise weniger als in Figaro und Don Giovanni, vielmehr um die geheimnisvolle Dynamik des Begehrens. Wenn die Figuren nicht eine gewisse Distanz und damit auch etwas Geheimnis bewahren bleiben sie und damit das ganze Stück unattraktiv.

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Merkwürdiger Weise funktionieren die alten "Così van tutte" Aufnahmen der "vor Amadeus Ära", etwa von Karl Böhm, Karajan oder Klemperer, unterm Strich auf dramatischer Ebene besser als die modernen zwischen Östman und Currentzis. Rollenmodelle von Frauenheld und Kurtisane hatten noch einen gewissen Appeal und waren nicht desavouiert wie heute, wo Komplimente als plumpe Anmache gelten.

Eigentlich ist es offensichtlich, dass eine Oper, deren zentrales Thema die Geschlechterdifferenz ist, im Zeitalter der völligen Gleichstellung nicht funktionieren kann. So hochklassig musikalisch die Aufnahmen von Östman, Gardiner, Jacobs, oder auch die, sängerisch vielleicht erlesenste der letzten Jahre, von Yannick Nézet-Séguin, auch sind, dramatisch bleiben sie alle flach. Ein wenig Hinschmelzen in E-Dur und A-Dur, und ein wenig amüsiertes Geschmunzel sind das höchste der Gefühle.

Was die Aufnahme von Teodor Currentzis angeht, so hat der Extremismus und die Überdeutlichkeit von Teodor Currentzis Ansatz, wo die Sänger wirklich fast jede Phrase "gestalten" und mit irgendeinem Effekt oder Affekt aufladen, einen seltsamen Nebeneffekt. Aufs ganze gesehen wirkt die Oper als Drama merkwürdig amorph, die Figuren merkwürdig fragmentiert. Dem Stück bleibt überhaupt keine Luft mehr zum Atmen. Man kommt sich vor wie im Zirkus, ist bezaubert von schönen Stellen und gebannt von den instrumentalen und vokalen Stunts, doch worum es im Stück geht, darauf achtet man eigentlich gar nicht mehr.

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Dass das Erscheinen von "Amadeus" zeitlich mit dem Zeitpunkt zusammenfiel, an dem die Bewegung der "historischen Aufführungspraxis" allmählich in den Klassik Mainstream aufstieg, ist wahrscheinlich kein Zufall. Die entschlackte Klanglichkeit alter Instrumente, ihre Dünnhäutigkeit und Beweglichkeit waren sehr gut kompatibel mit dem neuen Amadeus-Mozart. Inzwischen spielen selbst die Berliner Philharmoniker Mozart schlank, mit wenig Vibrato und zum Teil historischem Instrumentarium und selbst Pianisten, die sich von ihrem Steinway nicht trennen können, haben ihren Stil soweit möglich angepasst.

Doch wo diese Ästhetik inzwischen Mainstream ist, hat sich auch eine gewisse Gleichgültigkeit breit gemacht. So gab es in den letzten Jahren sehr schöne Aufnahmen der Klavierkonzerte mit Maria Joao Pires oder Mitsuko Uchida, die jedoch untergingen, da es Aufnahmen mit dieser gemäßigten ästhetischen Ausrichtung inzwischen in großer Zahl gibt.

Auf der Suche nach neuen Ansätzen scheint die Ausgelassenheit der Continuo Spieler auch auf die Klavierwerke überzuschwappen. Insbesondere der Südafrikaner Kristian Bezuidenhout versucht Mozart mit eine Prise Tom Hulce aufzupeppen, was genauso wenig funktioniert wie die Prise Tom und Jerry, die Lang Lang seinem Mozartspiel untermischt. Solche kleinteiligen Effekte wirken gerade bei Mozart immer läppisch und lächerlich.

Leider lässt sich auch Nikolaus Harnoncourt in seiner neuen Aufnahme der letzten drei Sinfonien zu einigen aufgesetzten Effekten hinreißen. Immerhin scheint er zu spüren, dass die Mozart Interpretation neue Impulse braucht. Seine Idee, die drei letzten Sinfonien bilden ein "Instrumental-Oratorium", ist jedoch, was er wahrscheinlich auch selber ganz gut weiß, gattungshistorisch völliger Mumpitz. Dass die drei Sinfonien eine Gruppe bilden (wie auch die Haydn Quartette und zahlreiche andere Werkgruppen) und gewisse Bezüge aufweisen, ist wiederum einer der größten Allgemeinplätze der Mozartforschung. Untersuchungen dazu füllen bestimmt eine ganze Schrankwand.

Die Mozart Aufnahmen von Teodor Currentzis machen im Grunde wenig neu, sondern steigern die Merkmale des aktuellen Mozartstils in ein Extrem. Was man sich davon erhoffen könnte, ist ein exorzistischer oder purgatorischer Effekt. Vielleicht hat sich die Epoche des post Amadeus Mozartstils damit dann erschöpft und der Weg ist frei für einen neuen Mozart.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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