Mythos und Logos - Ovids "Metamorphosen"

Jubiläum Vor circa 2000 Jahren starb der römische Dichter Ovid, der die abendländische Kultur, nicht zuletzt durch Shakespeare hindurch, prägte wie kaum ein anderer Dichter

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Myrmidonen: Menschen aus Ameisen – von Zeus auf bitten König Aiakos – aus einer Eiche herauskommend
Myrmidonen: Menschen aus Ameisen – von Zeus auf bitten König Aiakos – aus einer Eiche herauskommend

Bild: Holzschnitt von Virgil Solis/Wikimedia (Public Domain)

Betrachtet man Ovids „Metamorphosen“ im direkten Vergleich zum anderen großen epischen Gedicht der Römerzeit, Vergils „Aeneis“, springt einem die Verschiedenartigkeit der beiden Dichtungen sofort ins Auge. Ganz offensichtlich stehen Ovids „Metamorphosen“, circa 30 Jahre nach der „Aeneis“ entstanden, in einer Spannung zum Werk des älteren Kollegen. Mit Begriffen wie antipodisch, diametral oder komplementär ist dieses Verhältnis allerdings nicht wirklich präzise zu beschreiben. Vielmehr bewegt er sich in einer merkwürdigen Unschärfe von Umarmung und Absonderung.

Auch mit Blick auf die formalen Aspekte sind die Differenzen offensichtlich. Auf einen morphologischen Nenner heruntergebrochen ist die „Aeneis“ eckig und die „Metamorphosen“ sind rund. Die 12 Bücher der „Aeneis“ sind thematisch in jeweils 6 Bücher geteilt und jedes der Bücher hat, in Bezug und komplexer Spiegelung zu Homers „Ilias“ und „Odyssee“, eine klar abgegrenzte Thematik. Die 15 Bücher der „Metamorphosen“ haben dagegen nicht nur in ihrer ungeraden Anzahl eine numerische Unschärfe sondern sind darüber hinaus auch kaum untereinander abgrenzbar. Die Buchgrenzen scheinen oft willkürlich gesetzt und haben nicht selten eher die dramaturgische Funktion von „cliffhangern“.

Ist der Erzählmodus Vergils metikulös und von penibler Strategie und Stringenz, geht Ovid intuitiv und intendiert chaotisch vor. Nicht selten spinnen sich Handlungsstränge bei Ovid von irgendwelchen Nebenhandlungen fort ohne je zur vermeintlichen Haupterzählung zurückzukehren. Man verliert in den „Metamorphosen“ fast zwangsläufig irgendwann die Orientierung, und im Rückblick auf die Lektüre hat man das Gefühl aus einem traumhaften Irrgarten zu kommen, da die vielen, sich oft in manchen Aspekten ähnlichen Geschichten, in der Erinnerung merkwürdig ineinander verschwimmen.

Natürlich haben sich Philologen nicht davon abhalten lassen, Ordnung in Ovids Chaos zu bringen und so gibt es Versuche die 15 Bücher in 5er Gruppen (Pentaden) zu teilen oder unabhängig von der Bucheinteilung eine Ordnung nach Erzählungszusammenhängen herzustellen. Das ist durchaus legitim und in vielen Fällen auch nachvollziehbar, doch für die Lektüre ist das nur bedingt hilfreich, geschweige denn notwendig.

Es gibt eigentlich nur ein Ordnungsprinzip in den „Metamorphosen“: die Chronologie. Das Epos wird von einer Klammer zusammengehalten, die mit der Entstehung der Welt beginnt und am Ende in die historische römische Gegenwart mündet. Auch kultur-anthropologische Entwicklungslinien lassen sich beobachten. Die ersten Mythen bewegen sich eher im privaten und familiären Bereich, im weiteren Verlauf gewinnen tribale und zivilisatorische Strukturen immer mehr an Bedeutung.

Doch ist selbst diese chronologische Ordnung mythologisch unscharf und verwischt. Topographische und historische Wegmarken sind nur in vagen Umrissen erkennbar. An vielen Stellen ist zudem eine zyklische Dynamik zu beobachten, die weniger chronologisch ist als perspektivisch. Immer wieder beginnt etwas und etwas geht zu Ende, ohne dass man einen deutlichen Begriff vom chronologischen Verhältnis der Zyklen bekommt.

Gerade jene letzten „historischen“ Teile um die Helden von Troja Achilles, Odysseus und Aeneas sind, wenn man sie im Spannungsfeld zu Homer und Vergil betrachtet, aufschlussreich im Hinblick auf Ovids Erzählhaltung. Denn Ovid ignoriert die zentralen Erzählstränge von „Ilias“, „Odyssee“ und „Aeneis“ weitgehend und konzentriert sich gänzlich auf Nebenschauplätze, die einem oft eher obskur erscheinen.

Wie eingangs festgestellt: Ovid umarmt alle zentralen kulturellen Paradigmen und Erzählungen der Antiken Welt, hat den Ehrgeiz ein großes summarisches Weltpanorama zu zeichnen. Doch gleichzeitig verweigert er sich allem hagiographischen Pathos. Ovid hat im Gegensatz zu Homer und Vergil überhaupt kein Interesse an einer historisch-teleologischen Geschichtsdeutung. Er betrachtet die Welt gänzlich aus einer anthropologischen Perspektive.

Ovid artikuliert mit dem Wissen und den Mitteln seiner Zeit, was in neuerer Zeit Charles Darwin und Siegmund Freud in wissenschaftlichem Gewand erforschten. Die „Metamorphosen“ sind eine künstlerische Exemplifikation von Evolutionstheorie und Traumdeutung. Ovid hatte ein intuitives Bewusstsein davon, dass der Mensch aus der Natur hervorgegangen ist, dass es eine evolutionäre Verwandtschaft mit Tieren und Pflanzen gibt und der Mensch in jedem Tier und jeder Pflanze auch etwas von sich selbst zu erkennen im Stande ist. Und er spürte, dass sich in der Traum Sphäre und den morphologischen Erscheinungen des Un- und Unterbewussten vitale und essentielle Schichten menschlicher Selbst- und Weltwahrnehmung verbergen.

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Bevor man die Sphäre von Ovids „Metamorphosen“ und der antiken Mythologie betritt, muss man sich darüber klar sein, dass man es mit einer Welt der Zeichen zu tun hat. Dass Figuren und Erscheinungen Repräsentationen von etwas sind, das sie symbolisch oder allegorisch verkörpern. Gewiss kann man die „Metamorphosen“ auch einfach als wundersame und wunderliche Fantasie-Geschichten lesen, doch wirklich interessant und offenbarend werden sie erst, wenn man ein Sensorium für die Bedeutung ihrer morphologischen Bildersprache entwickelt. Kulturell mag uns die griechisch-römische Antike fern sein, doch bewegt sich die antike Mythologie in einem universalen anthropologischen Bereich, der, hat man sich ein wenig zurecht gefunden, auch heute ohne weiteres nachvollziehbar ist.

Gerade bei den Geschichten um den Herrscher-Gott Jupiter, der praktisch in einem fort junge Mädchen und Knaben sexuell belästigt und vergewaltigt braucht es wenig Fantasie um zu begreifen, dass es dabei um jenen, im Moment so aktuellen Typus von narzisstischen Machtmenschen geht, die im Bewusstsein leben, dass alles zu ihrer Verfügungen steht. Die ihre Führer- und Bestimmerrolle ohne weiteres von der Gruppenhierarchie auf die sexuelle Hierarchie übertragen.

Ebenso interessant an diesen Geschichten ist dabei die Rolle der Opfer. Die einen verwandeln sich in schweigende duldsame Kühe, die Angst davor haben den Mund aufzumachen, sich aber nicht gänzlich ohne eine gewisse Zufriedenheit an der Fremdbestimmung in ihr Schicksal ergeben (Io), andere sind tatsächlich angezogen vom bulligen Appeal des in einen Stier verwandelten Jupiter (Europa), wieder andere narzisstisch geschmeichelt und geblendet von der Erwählung und sehen vor allem die sich eröffnenden Karriereperspektiven (Semele). Und natürlich hat auch MeToo seine Anwältin, in Juno, die mit Argus tausend Augen über die Verfehlungen ihres Gatten wacht.

Hinter allen Verwandlungen und Wundersamkeiten verbergen sich zeichenhaft psychologische Konnotationen, die gerade durch ihre morphologischen Ambivalenzen oft überaus sinnig und vielsagend sind, und in ihren biologischen Kodierungen instinktive Bereiche ansprechen, die tiefer reichen als intellektuelle Analyse. Lernt man diese Symbole, Metaphern und Allegorien aufzulösen, ergeben sich hoch faszinierende Beschreibungen von Psychopathologien aller Art. Was durchaus nicht immer angenehm ist, das Buch ist voll von Gewalt und Grausamkeit. Ovid interessiert sich vor allem für die extremen, und in ihrer Extremität exemplarischen Morphologien.

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Der Beginn der „Metamorphosen“, der vom schrittweisen Übergang vom goldenen Zeitalter zu dem von schlechtem Eisen erzählt, zeigt ganz klar, dass Ovid die Geschichte der Menschheit als Verfallsgeschichte sieht. Und es scheint als ob er seine eigene Zeit als Tiefpunkt betrachtete, jener Epoche von schlechtem Eisen des lykäischen (wölfischen) Menschen, wo selbst Kinder, Eltern und Geschwister sich aus Habgier töten (was in der römischen Kaiserzeit in der Tat an der Tagesordnung war).

Ähnlich wie Vergils „Aeneis“ enthalten auch die „Metamorphosen“ ein paar Augustus Passagen mit dem obligatorischen Herrscherlob. Doch scheint Ovids Verhältnis zu Augustus ebenso ambivalent gewesen zu sein wie das Vergils, wofür die Verbannung Ovids durch Augustus, deren konkrete Ursachen bis heute im Dunkeln liegen, indirekt ein Hinweis ist.

Erstaunt ist man von der Verbannung nicht, bedenkt man den charakterlichen Typus, der hinter Ovids Werken hervorscheint. Provokation war Ovids zweite Natur, nicht nur in der „Ars amatoria“, die weniger durch Freizügigkeit als durch ihren zynischen Unterton irritiert. Auch in den „Metamorphosen“ spürt man diese Lust, an Bereiche zu rühren, die jenseits der Komfortzone liegen. Exemplarisch dafür ist die Erzählung von Phaeton, dem unehelichen Sohn des Sonnenlenkers Helios. Dieser trotzt seinem Vater das Zugeständnis ab, einmal den Sonnenwagen lenken zu dürfen, was in einer Katastrophe endet. Wie Ovid diese Katastrophe schildert, in einer fast sadistischen Ausführlichkeit, ist bezeichnend.

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Nachdem Jupiter die schlechte Welt durch eine Sintflut gereinigt hat, bekommt die Welt einen zweite Chance, doch ähnlich wie in der Bibel lässt sich der unschuldige Urzustand nicht wieder herstellen und die Welt bleibt vom Virus der Schlechtigkeit infiziert. Wer jedoch das Schlangenmonster Phyton tötet, ist Apollo, der Gott der Kultur und der Künste. Apollo repräsentiert in diesem Kontext griechische Philosophie und Wissenschaft, die die Vernunft in die Welt brachten (Apoll ist tatsächlich der einzige der zentralen Götter, dessen Name unverändert aus der griechischen Göttermythologie in die römische übernommen wurde).

Die Geschichte, die den Reigen der Verwandlungsmythen eröffnet, ist die von Apollo und Daphne. Was wohl kein Zufall ist, ist sie doch gewissermaßen der Urmythos zur Entstehung der Kunst (auch die erste Oper der Musikgeschichte, Jacopo Peri‘s „La Dafne“, noch einige Jahre vor Monteverdis „L‘Orfeo“ entstanden, behandelt eben diesen Stoff).

Die Geschichte ist kurz und simpel. Von Amors Pfeil getroffen verliebt sich Apollo in Daphne, die ihn jedoch (von einem anderen Pfeil Amors getroffen) verabscheut. Um den Bedrängungen Apollos zu entkommen, verwandelt sie ihr Vater Peneios auf ihr Flehen in einen Lorbeerbaum. Doch selbst in Form des Baums liebt Apollo sie weiter.

Zwei zentrale Aspekte von Kunst werden hier dargestellt. Dass Kunst in ihrem ursprünglichsten Movens Sublimierung von unerfüllten Sehnsüchten ist. Und dass Kunst tatsächlich in der Lage ist, ein Abbild von zentralen emotionalen Erfahrungen der Vergänglichkeit zu entreißen und zu konservieren (im immergrünen Lorbeer).

Doch hat die Geschichte auch eine anthropologische Komponente. Daphne ist als Jägerin mit Pfeil und Bogen, die von Heirat nichts wissen will, eine Emanation von Apolls Zwillingsschwester Diana. Anders als in den Jupiter Geschichten, die immer von Macht-Asymmetrie und sexueller Unterwerfungsdynamik gekennzeichnet sind, geht es hier um die narzisstische Anziehung durch das Selbstähnliche und Vertraute. Zu den morphologischen Sinnigkeiten der Geschichte gehört die Beobachtung, dass dieser Diana Typus von maskuliner Frau tatsächlich eine Neigung zur physiognomischer Anverwandlung an die Welt der Pflanzen hat.

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Sexualität ist ein wichtiges Thema in den „Metamorphosen“. Beginnend mit der Daphne Erzählung spielen die Geschichten um Liebe und Sex vor allem in den frühen Teilen eine prominente Rolle. Durch diese Stellung macht Ovid deutlich, wie primär und mächtig der Eros als anthropologischer Faktor ist. Er lässt im Grunde keinen Zweifel daran, dass jeder Mann ein potentieller Vergewaltiger ist, der durch familiären und zivilisatorischen Kodex gebändigt werden muss.

Gleichzeitig sucht man jede Art von Moralisierung bei Ovid vergebens. Wie Freud und Darwin ist Ovid ein nüchterner Kartograph anthropologischer und evolutionärer Phänomene.

Zudem ist Ovids Perspektive in Beziehung auf Sexualität merkwürdig ambivalent. Nicht nur gibt es neben heterosexuellen Erzählungen auch solche von homosexuellen Beziehungen unter Männern und Frauen, es gibt sogar mehrere Geschichten von Geschlechtswandlungen. Schon in der „Ars amatoria“ hat Ovid sowohl die männliche als auch die weibliche Perspektive eingenommen und die „Heroides“ sind Elegien in Briefform, die von Frauen an Männer adressiert sind. Es wäre müßig über Ovids Sexualität zu spekulieren, doch an seinem außerordentlichen Interesse für alle Facetten der Geschlechterdifferenz gibt es keinen Zweifel.

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Aus der großen zeitlichen Distanz von 2000 Jahren ist man leicht geneigt den Ovid der „Metamorphosen“ lediglich als einen Anthologen zu betrachten, der die Geschichten der antiken Mythologie zusammenfasste. Doch wäre das ein Missverständnis. Nicht nur weil die Erzählungen Ovids oft signifikant von früheren Versionen, wie sie etwa in Hesiods „Theogonie“ überliefert sind, abweichen und sich Ovid die Geschichten individuell aneignet. Überhaupt ist Ovids Verhältnis zum Mythos das eines Spätlings einer säkularen Epoche. Es ist nicht mehr theologisch oder demiurgisch sondern vielmehr psychologisch und ästhetisch. Wie Hans Blumenberg in „Arbeit am Mythos“ sehr treffend formuliert, sei aus dieser „genuinen Beziehungslosigkeit zum Mythos […] ein Wunder des Ineinander von Rezeption und Konstruktion entstanden“.

Gleichzeitig fragt man sich, ob es denn ein Zufall ist, dass die Entstehung jenes dekadent säkularen Zeugnis der antiken Mythologie zusammenfällt mit der Lebenszeit des Schöpfers jenes Mythos, der die nächsten 2000 Jahre europäischer Geschichte bestimmen wird: Jesus Christus. Ob nicht tatsächlich die Koinzidenz damit zu tun hat, dass die alten Mythen, auf die Ovids „Metamorphosen“ den Abgesang anstimmen, sich erschöpft hatten, oder, wie Blumenberg es ausdrückt, gänzlich „vom Logos katalogisiert“ worden waren, und damit den Weg freimachte für neue mythische Prägungen.

Denn in seinem ursprünglichen Wesen ist der Mythos unbegreifbar, eine kompensatorische Metapher, um der Unbegreifbarkeit des Daseins einen Sinn zu verleihen. Auch in unserer Zeit scheint der Logos die Übermacht zu haben, scheint nichts, weder Kosmos noch Genom, der Katalogisierungswut des Logos zu entgehen. Gleichzeitig zeigen Phänomene wie die Epidemie „alternativer Fakten“, dass es dieses dunkle Bedürfnis nach einer fiktiven, irrationalen Anderswelt gibt, die der Herrschaft der Faktizität und rationalen Rechtfertigung entzogen ist.

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Ovids Einfluss auf die abendländische Kultur ist enorm. Hans Blumenberg geht so weit festzustellen: „Die europäische Phantasie ist ein weitgehend auf Ovid zentriertes Beziehungsgeflecht“. Es ist in der Tat das Untergründige, Intuitive und Subkutane, eben die Welt der Fantasie, in der Ovids Wirkung über die Jahrhunderte wie ein dunkler Bewusstseinsstrom fortwirkte. Dante wählte sich demonstrativ den moralischen Idealisten Vergil als Begleiter seiner „Commedia“, doch die Manifestation seiner schuldbehafteten Obsessionen, die im Inferno seinen Weg kreuzen, sind Erscheinungen und Figuren aus Ovids morphologischer Hexenküche.

Ist der Einfluss Ovids in der Literatur und Malerei des Renaissance und des Barock noch vollkommen offensichtlich, verschwand er mit der bürgerlichen Kultur der Romantik ziemlich abrupt aus dem kulturellen Bewusstsein. Doch sein Geist wurde fortgetragen durch einen anderen Heroen, der eben zur selben Zeit seinen Aufstieg erlebte und in gewisser Weise Ovids Rolle übernahm: William Shakespeare.

Unter Shakespeare Forschern ist die zentrale Bedeutung Ovids ein Allgemeinplatz, doch im öffentlichen kulturellen Bewusstsein wird das kaum wahrgenommen. Vor allem in Shakespeares früher Produktion sind die Verbindungen zu Figuren, Szenen und Formulierungen aus Ovids „Metamorphosen“, die 1567 in einer englischen Vers-Übersetzung von Arthur Golding erschienen waren, Legion. Namentlich „Venus and Adonis“, „The Rape of Lucrece“ und die Sonette sind vollkommen durchdrungen von Ovidschen Erzählungen und Motiven.

In Shakespeares erster Tragödie „Titus Andronicus“ antwortet der Knabe Lucius auf die Frage nach dem Buch, das beim Spiel mit seiner Tante Lavinia zu Boden gefallen war: „Grandsire, ’tis Ovid’s Metamorphoses; My mother gave it me.“ Es war vielleicht neben Montaigne auch eines der Bücher, mit denen Hamlet später das düstere Helsingör durchstreifte. „The taming of the shrew“ ist eine Parodie der Daphne Erzählung, im „Midsummernight’s Dream“ wird die Pyramus und Thisbe Geschichte verballhornt. Und noch in Shakespeares spätem Drama „The Tempest“ zitiert Prospero eine Zeile aus der Medea Erzählung (und wenn man weiß wie die Medea Geschichte endet, wirft das auch ein Licht auf Prospero).

Worin sich Ovid und Shakespeare jedoch am nähesten sind und was Shakespeare mythisch in die moderne Welt weitergetragen hat, sind die apokalyptischen Perspektiven, die großen Geschichten des Scheiterns, die die Menschheit über die Zeiten und Kulturen begleiten. Hamlet, King Lear, Othello, Coriolanus sind Nachkommen jenes Phaeton, die in heilloser Selbstüberschätzung die Menschheit ins Unheil stürzten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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