"Serpent and Fire" mit Anna Prohaska

CD-Kritik Auf ihrem Album um die Figuren Kleopatra und Dido präsentiert sich Anna Prohaska in Hochform. Doch eigentlich erwartet man von ihr noch viel mehr

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Es war eine merkwürdige Koinzidenz. Als dieses Album vor ein einigen Monaten herauskam, war ich gerade mit Vergils „Aeneis“ und John Williams‘ „Augustus“ beschäftigt. „Serpent and Fire“ bezieht sich auf die beiden weiblichen Protagonisten Kleopatra und Dido, die dort ihren Auftritt haben, und die Todesarten, die sie für ihren Selbstmord wählten.

Von Anfang an waren die beiden ikonographischen Liebespaare der römischen Kultur, das mythologische von Dido und Aeneas und das historische von Antonius und Kleopatra miteinander verknüpft. Vergil begann seine Arbeit an der Aeneis unmittelbar nach jenen Ereignissen im August des Jahres 30 vor Christus als Marcus Antonius, von Octavian (Augustus) besiegt, und kurz darauf Kleopatra sich das Leben genommen hatten. Kleopatra hatte zudem bereits 18 Jahre vorher ein anderes historisches Liebes Verhältnis mit Julius Caesar gehabt, aus der ein Sohn hervorgegangen war, der dann nach Kleopatras Tod von Octavian ermordet wurde.

Die Verknüpfung dieser Figuren ist auch kunsthistorisch nachzuvollziehen. Denn sie traten immer wieder gemeinsam auf in jenen Epochen, in denen das Interesse an römischer Geschichte und Kultur sich wiederbelebte. Und es versteht sich fast von selbst, dass dieses Interesse immer in Zeiten der Liberalisierung einsetzte. Im elisabethanischen England war es Christopher Marlowe mit „Dido, Queen of Carthage“, dem William Shakespeare mit „Anthony and Cleopatra“ folgte, hundert Jahre später dann Henry Purcell mit „Dido and Aeneas“ und Händel mit „Giulio Cesare“. Selbst das späte bürgerliche 19. Jahrhundert erlebte mit Berlioz „Les Troyens“ und, wenn man sich die mythische Analogie zu Antonius und Kleopatra bewusst macht, in „Tristan und Isolde“ ein Revival.

Was die große Gemeinsamkeit der Gestalten Dido und Kleopatra ist, und in der Folge auch den ästhetischen Zugang aller künstlerischen Adaptionen bestimmt, ist der dekadent destruktive Impuls, alle Vernunft über Bord zu werfen und in einer hedonistischen Lust an der Katastrophe sich ganz dem Selbstgefühl zu überlassen. Der große Unterschied besteht in der Symmetrie bzw. Asymmetrie der Verhältnisse. Dido wird von Aeneas verlassen und nimmt sich alleine das Leben, Antonius und Kleopatra stürzen sich gemeinsam in den Untergang.

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Die Klammer von Anna Prohaskas Album bilden Teile aus Henry Purcells „Dido and Aeneas“. Purcells Miniaturoper (gattungshistorisch am ehesten mit der dreiaktigen französischen Pastorale Lullys verwandt) fängt den Geist von Vergils Vorlage ziemlich getreu ein. Vor allem ist die Rolle des Aeneas bei Purcell ähnlich blass wie bei Vergil. Er tritt zwar als Figur auf, doch bleibt auf merkwürdige Weise ein Statist, der wie ein symbolischer Platzhalter erscheint.

Wie bei vielen mythologischen Geschichten ist auch bei Dido und Aeneas eine allegorische Unschärfe im Spiel. In Überlieferungen vor Vergil ist Dido stärker als amazonenhafte Kriegerin dargestellt, die sich nicht aus Liebeskummer das Leben nimmt, sondern weil sie nicht Gattin des Afrikanischen Königs Iarbas werden will, der Karthago bedroht und sie zur Heirat zwingen will. Die Verbindung mit Aeneas und den Trojanern ist dort eher ein strategisches Bündnis, um diese Bedrohung abzuwenden.

Etwas von diesem amazonenhaften Aspekt ist auch noch bei Vergil nachzuvollziehen, da Dido mit Aeneas auf die Jagd geht, eine bei Frauen den Diana Anhängerinnen vorbehaltene Beschäftigung. Didos Schwester Anna (Belinda bei Purcell) spielt in diesem Kontext eine ambivalente Rolle. Im Diana (Artemis) Kult stehen Geschwister Beziehungen als Chiffre für intime Verhältnisse zwischen Frauen. Auch Penthesilea lebt mit ihrer „Schwester“ Hippolyta, beide sind Töchter des Mars (Ares), zusammen.

Vergil konterkariert die Dido und Aeneas Beziehung aber noch auf andere Weise. Denn bei ihm verliebt sich Dido eigentlich gar nicht in Aeneas sondern in dessen androgyn schönen Sohn Ascanius. Vergils Vorliebe für Knaben war ein offenes Geheimnis und es ist offensichtlich, dass er sich in diesem Zusammenhang nicht mit Aeneas sondern mit Dido identifiziert, was wiederum erklärt, warum Aeneas in seiner Erzählung so blass bleibt.

Diese allegorische Ambivalenz, die Identifikationen aller Couleur zulässt, hat jedoch einen gemeinsamen Nenner, der gewissermaßen die mythische Essenz dieser Figurenkonstellation darstellt. Nämlich der einer vergeblichen Liebe, die, auf Grund von politischen, sozialen oder moralischen Zwängen, keine Erfüllung finden kann.

Kein anderer Komponist war mehr als Purcell, der englische Orpheus, prädestiniert dafür, dem Ausdruck zu verleihen. Das berühmte „When I am laid in earth“ ist das musikalische Epitom dieses apathischen Schmerzes, dieses Zustands der Selbstaufgabe, bereit sich in den warmen Abgrund des ewigen Schlafes ziehen zu lassen.

Schon Christopher Marlowe verkomplizierte die Konstellation der Protagonisten weiter, indem bei ihm Anna nun in Iarbas verliebt ist. In Pietro Metastasio „Didone abbandonata“ wird der Stoff vollends zum Intrigenspiel, in dem sich die Beziehungen weiter verwirren. Bei ihm ist Didos Schwester, die bei ihm Selene heißt, ebenfalls in Aeneas verliebt. Iarbas hat einen Vertrauten Araspe, der wiederum in Selene verliebt ist. Doch sind das nur die offenbarten Beziehungen. Wie immer bei Metastasio dienen diese vor allem zur Instrumentalisierung von Affekten, hinter denen andere, verborgene Begehrlichkeiten stehen. „Didone abbandonata“ war Metastasios erster großer Erfolg und eines der populärsten Libretti des 18. Jahrhunderts mit mehr als 50 Vertonungen.

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„Schlange und Feuer“, schon die Art wie sich Kleopatra und Dido das Leben nahmen, offenbart den großen Gegensatz dieser beiden Persönlichkeiten. Im Feuertod Didos offenbart sich nicht nur ein amazonenhafter Heroismus, sondern die körperliche Selbstvernichtung spielt dabei in Bezug auf Reinheit und Jungfräulichkeit eine wichtige Rolle, waren eben jene auch zentrale Aspekte des Diana Kultes. Jeanne d’Arc (auch Jeanne la Pucelle, die Jungfrau genannt) steht mit ihrem Feuertod in einer mythischen Nachfolge von Dido.

Kleopatras Tod durch den Biss einer Schlange zielt ganz im Gegensatz dazu auf körperliche Unversehrtheit. Sie wählte diese Todesart nach Auskunft antiker Historiker, weil dies der schnellste und schmerzloseste Tod gewesen sei. Darin offenbart sich jene ängstliche Vorsicht gegenüber dem eigenen Körper als zentralem Kapital, der so charakteristisch für den femininen Narzissmus ist. Kleopatra ist die Ahnherrin aller heutiger weiblichen Stars und Sternchen, die zu den Schönheitschirurgen wie zu Priestern ihrer Schönheit pilgern. Es gibt zahlreiche Legenden über Kleopatras Schönheitsobsession, etwa dass sie in Eselsmilch oder in Jungfrauenblut badete. Narzissmus ist auch der zentrale Aspekt von Kleopatras Beziehungen. Dass sie sich nur mit den mächtigsten Männern einließ, ist charakteristisch, auch wenn sie mit Marcus Antonius aufs falsche Pferd gesetzt hatte. Wie so viele hatte sie den jungen Octavian unterschätzt.

Bei ihrer Affäre mit Julius Cäsar war sie um die 20 doch alles andere als naiv. Händel portraitiert sie eindringlich als selbstbewusste Frau mit eigener Agenda, die alle Register der Verführung zwischen Ironie und Sex beherrscht. Die Arie „Se pietà di me non senti“, die Anna Prohaska für ihr Album ausgewählt hat, ist denn auch weniger eine Klage um den in Gefahr schwebenden Julius Cäsar sondern darüber, dass das Hochgefühl den mächtigsten Mann der Welt erobert zu haben, sich wieder verflüchtigt.

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Von Beginn der Schallplattenhistorie an spielten Zusammenstellungen beliebter Arien des Opernrepertoires eine wichtige Rolle. In den meisten Fällen war die Arie dabei nicht nur ein hübsches Musikstück sondern transportierte etwas von der atmosphärischen Aura der Oper, aus der sie entnommen war. Sie war eine Reminiszenz an ein Opernerlebnis.

Die Mode, einem Album ein Motto oder Thema mitzugeben – etwas, dass sich inzwischen auch schon wieder etwas erschöpft hat - hängt auch damit zusammen, dass das Assoziationspotential von vielen Arien verloren gegangen ist, oder – weil sie aus Opern stammen, die weitgehend unbekannt sind – es nie hatten. Das ist ein Problem auch dieses Albums. Ich kenne Purcells „Dido and Aeneas“ und Händels „Giulio Cesare“ gut, und hörte mir Hasses „Didone abbantonata“ zu diesem Zweck an, doch die übrigen Opern sind auch mir unbekannt.

Dem ganzen mag das grundsätzliche Missverständnis zu Grunde liegen, Barockopern seien ohnehin nur eine Abfolge von Koloraturarien und hübschen Melodien. Dass die Oper damals das zentrale Kunstmedium war, wie es heute Kino und TV-Serien sind, in dem sich Zeitgefühl sowie ästhetische und moralische Werte kristallisierten, können wir kaum mehr nachvollziehen.

Gerade die Opern von Johann Adolph Hasse, der der erfolgreichste Komponist des 18. Jahrhunderts und damit gewissermaßen der James Cameron seiner Zeit war, sind für uns im Grunde verloren, gerade weil sie dem damaligen Zeitgefühl so perfekt entsprachen. Denn ohne die Aura dieses Zeitgefühls bleibt die Musik leblos. So virtuos Anna Prohaska die beiden Hasse Arien auch singt, die dekadente aristokratische Ironie, die in der Ästhetik Metastasios und Hasses steckt, bleibt vollkommen unsichtbar.

Es ist in gewisser Weise bezeichnend, dass die Arien von Christoph Graupner den unmittelbarsten Eindruck machen. Die provinzielle Hübschheit seiner Musik ist etwas, das sich nach wie vor einigermaßen direkt mitteilt. Händel entfloh jener Provinzialität in Hamburg in Richtung Italien mit denselben Motiven wie sich ein deutscher Regisseur heute nach Hollywood orientiert. Dort schlug das Herz der Kultur.

Klassische Musik ist heute zur provinziellen Kultur herabgesunken, weil es sein Herz nicht mehr schlagen hört. Schon immer ging es bei Kultur in erster Linie darum, Welthaltigkeit zu vermitteln, dem Publikum ein Gefühl zu vermitteln, in irgendeiner Weise am Weltgeist zu partizipieren. Das gelingt der Klassischen Musik immer weniger. Zu sehr glaubt man, mit der akkuraten und engagierten Reproduktion des Notentextes sei man automatisch auf dem richtigen Weg, doch ist der Geist der Kunst durch so prosaische Mittel nicht einzufangen.

Kunst ist viel fragiler und komplexer und der Grat des Gelingens durchaus schmal. Auch bei Filmen und TV-Serien gibt es nur wenige Perlen unter viel Ausschuss. Vielseitigkeit ist eine der großen Schimären des Klassikbetriebs. Viele glauben alles machen zu müssen, machen doch aber fast alles nur halbgar. Dabei hat jeder Künstler auf Grund seines Charakters und Temperaments nur beschränkte Potenziale. Diese eigenen Potenziale zur Entfaltung zu bringen, ist das eigentliche Geheimnis eines bedeutenden Künstlers. Claude Debussy sagte einmal sehr treffend, er habe im großen Garten der Musik nur ein sehr kleines Beet zu bestellen, doch um dieses kleine Beet müsse er sich mit größter Sorgfalt kümmern.

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Anna Prohaska ist auf diesem Album sängerisch in Hochform. Ihre Kontrolle über die Register und Farben der Stimme ist erstklassig und die Souveränität, mit der sie Hasses Koloraturen meistert, beeindruckend. Ohne Zweifel gehört sie zu den großen Sängerbegabungen ihrer Generation.

Die Idee, die hinter dem Album steht, ist originell und auch dramaturgisch ist das Album durchaus klug aufgebaut. Gerade wenn man es mit den Arienalben anderer Sängerinnen vergleicht, die in letzter Zeit in großer Fülle herauskamen und die eher beliebig zusammengewürfelt wirken, auch wenn sie meistens ein verkaufsförderndes Motto verpasst bekommen, ragt das Album weit heraus. Völlig zu Recht war auch das kritische Echo durchgehend positiv. Und doch bin ich nicht so recht glücklich. Vor allem, wenn man sich bewusst macht, welches Potential das Projekt hätte haben können.

So wäre es interessant gewesen, den Gegensatz der beiden Gestalten Dido und Kleopatra irgendwie erfahrbar zu machen. Doch wird das nicht nur durch die kompilierte Zusammenstellung konterkariert, Hasses Dido hat im Grunde mehr Ähnlichkeit mit Händels Kleopatra als mit Purcells Dido. Anna Prohaskas Zugang bleibt auch zu pauschal, im Grunde singt sie alle Arien mehr oder weniger ähnlich. Sehr schön, mit Geschmack und Engagement, doch eben ohne jene feine psychologische Unterscheidung, die den eigentlichen Unterschied machen würde.

Dass sie in Purcells „When I am laid“ Verzierungen anbringt, ist zwar „by the book“ doch psychologisch ein Fehlgriff. In diesem existenziellen Ausnahmezustand ist man nicht aufgelegt Schminke aufzulegen. Am besten gelang die Arie meiner Ansicht nach bisher Catherine Bott (auf der Einspielung mit Christopher Hogwood). Sie singt nicht so schön und geschmeidig wie Anna Prohaska, doch ist bei ihr ein Hauch von herber Gefasstheit zu spüren, der am Ende den entscheidenden Unterschied macht.

Händels „Se pietà“ singt sie wiederum fast eine Spur zu lamentos. Kleopatra ist eine Frau, die nicht so leicht ihre Selbstkontrolle verliert. Im Falle Händels hätte es sich eventuell angeboten noch andere Arien aus „Giulio Cesare“ aufzunehmen, denn ihre charakterlichen Facetten werden bei ihm fast exemplarisch ausdifferenziert. Doch vielleicht ist Händels Kleopatra auch kein Charakter, der Anna Prohaska wirklich nahe steht.

Anna Prohaska könnte eine Jennifer Lawrence der Oper sein, könnte sie sich vom Provinzialismus des Klassik Betriebs befreien. Würde sie sich weniger an interessanten Konzepten orientieren, um Rezensenten und Programmgestaltern zu gefallen, als vielmehr nach den Figuren im reichen Opernrepertoire suchen, die ihrem Temperament entsprechen, um darin ihren Charakter zu entfalten. Damit würde sie einem großen Publikum Identifikationsfläche bieten und selbst zu einer Identifikationsfigur werden, die dem Klassikbetrieb neues Leben einhaucht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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