Auf Friedensmission: Christopher Blattmans „Warum wir Kriege führen“
Sachbuch Der renommierte Konfliktforscher präsentiert in seinem Buch „Warum wir Kriege führen und wie wir sie beenden können“ Vorschläge zur Lösung von Krise und Konflikt. Nicht alle sind empirisch belegt, dafür aber originell und diskussionswürdig
Ein Problem: Blauhelm-Kontingente der UN stellen oft nur arme Staaten, um so Einnahmen zu generieren
Foto: Rene Burri/Magnum Photos/Agentur Focus
Im Sommer 1932 wandte sich Albert Einstein mit einer drängenden Frage an Sigmund Freud: „Gibt es einen Weg“, heißt es in seinem Brief, „die Menschheit vom Verhängnis des Krieges zu befreien?“ Eine Patentlösung haben sie damals ebenso wenig gefunden wie Generationen von klugen Köpfen vor und nach ihnen. Was den Gedanken nahelegt, dass es den einen allgemeingültigen Schlüssel zum Frieden nicht gibt.
Für den Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Christopher Blattman ist dieser ernüchternde Befund jedoch schon deshalb kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, weil Menschengruppen es in der Regel schaffen, ihre Konflikte ohne Gewalt zu bewältigen. Ist das Kind jedoch erst mal in den Brunnen gefallen, so legt er in seine
r in seinem Buch Warum wir Kriege führen. Und wie wir sie beenden können nahe, erweist sich die Wiederherstellung von friedlichen Zuständen als eine vertrackte Angelegenheit, die nur durch ein kluges, schrittweises Vorgehen zu erreichen ist.Das System der CousinageBesonders interessant ist seine zugänglich geschriebene Darstellung immer dann, wenn der (besonders in Bürger- und Bandenkrieg bewanderte) Autor seine Überlegungen anhand von Beispielen entwickelt, die nicht zum Kanon der europäischen Staaten- und Konfliktgeschichte gehören. Etwa wenn er darlegt, wie es dem im 13. Jahrhundert an den Ufern des Flusses Niger in Westafrika gegründeten Reich Mali gelang, die zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen seines Territoriums entstehenden Konflikte schon im Vorfeld einzudämmen. Man bestimmte, dass Personen aus verschiedenen Sprachgruppen, die jeweils einen Namen trugen, der in etwa dasselbe bedeutete, miteinander verwandt seien, obwohl einander völlig fremd. Trafen solche Namensträger aufeinander, waren sie aufgefordert, einander zu foppen, wobei sie sich gegenseitig mit einer Reihe von Standardwitzen belegten.Durch diese Neckerei wurde Spannung abgebaut und dort ein Näheverhältnis aufgebaut, wo vorher keines bestanden hatte. Dieses System der sogenannten Cousinage leistet in weiten Teilen des Landes bis heute einen wertvollen Beitrag zur Befriedung von Konflikten, die in den umliegenden Staaten weitaus heftiger zutage treten. Nicht einbezogen in dieses rein symbolische Verwandtschaftsnetzwerk sind allerdings die zu den Berbervölkern gehörenden Tuareg, worin womöglich zumindest eine Teilantwort auf die Frage zu suchen ist, warum diese mit dem Staat auf Kriegsfuß stehen.Schwer einzuschätzen für den Konfliktforscher ist die Rolle, die bewaffnete sogenannte Friedenstruppen – Blauhelme im Dienst der Vereinten Nationen – bei dem Versuch spielen, solche Konflikte wieder einzudämmen oder einen Waffenstillstand in eine Dynamik zu überführen, bei der am Ende die Waffen endgültig schweigen. Denn negative Erfahrungen gibt es zuhauf. Finanzschwache Regierungen lassen sich hohe Geldbeträge dafür zahlen, ihre Truppen in sogenannte Krisenregionen wie Liberia zu schicken. Statt das Geld aber in die Ausbildung, Ausstattung und die Versorgung ihrer Soldaten vor Ort zu investieren, nutzen sie es zur Aufrüstung oder stecken es sich im schlimmsten Fall in die eigene Tasche.Empirisch nicht immer belegtDas Outsourcing der Friedenssicherung durch wohlhabende Länder hat, so legt Christopher Blattman nahe, schwerwiegende Konsequenzen. Immer wieder erreichten Berichte das Licht der Öffentlichkeit, nach denen der Einsatz der zumeist aus Männern bestehenden Einheiten in manchen Regionen zu einem erheblichen Anstieg von Prostitution mit der Folge zuvor nicht gekannter Probleme mit HIV oder Geschlechtskrankheiten führte. Sehr häufig, betont der Autor, erweise sich die Arbeit der Truppen aus „Entwicklungsländern“ als auffällig ineffizient. Dafür, große Probleme zu lösen, die vor Ort auftauchen, fehlen oftmals die notwendigen Fähigkeiten – angefangen mit ausreichenden Sprachkenntnissen.Gleichwohl ist Blattman davon überzeugt, dass der Einsatz von ausländischen Streitkräften als dritter Partei im Anschluss an Bürgerkriege zwar häufig nicht so gut sei, wie er sein könnte, aber andererseits die in der Regel schlechten Situationen ein wenig besser mache. Einen wichtigen Beitrag dazu leisteten Zivilisten, „die es sich zur Aufgabe machen, an der Seite der Truppen Streitigkeiten zu schlichten, für Versöhnung zu sorgen und Anreize für den Frieden zu schaffen“.Bei solchen UN-Friedensmissionen gehe es darum, im Auge zu behalten, ob die Konfliktparteien die getroffenen Vereinbarungen einhalten. „Sie schaffen Foren, in denen sich beide Seiten treffen, austauschen und Vertrauen aufbauen können.“ Dadurch lasse sich die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen verringern, die aus Wahrnehmungsfehlern und Unsicherheiten der vormaligen Gewaltakteure resultierten, die ansonsten in ihren eigenen Informationsblasen gefangen wären. Nach dem Bürgerkrieg in Liberia habe die UN Vertreter beider Seiten zum Radio geschickt, um Gerüchte zu zerstreuen und alle Seiten zu beruhigen. Erheblich erschwert, wenn nicht verunmöglicht würden die positiven Effekte solcher Interventionen unter der Regie der Vereinten Nationen allerdings immer dann, wenn eine oder mehrere der Konfliktparteien von Großmächten unterstützt würden, die an der Beendigung der Gewalt gar kein Interesse haben.Trotz dieser nur allzu häufig auftretenden Schwierigkeiten gibt sich Blattman davon überzeugt, „dass es in den letzten dreißig Jahren wahrscheinlich weniger Kriegstote gegeben hätte, wenn die Welt in mehr und größere Friedensmissionen investiert hätte“. Blattman kann seine Vorschläge nicht immer, das gesteht er selbst zu, hieb- und stichfest mit empirischen Daten belegen. Was nichts daran ändert, dass sein Buch durchaus bedenkenswert ist. Es bleibt Stückwerk, will aber auch gar nicht mehr sein.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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